ANALYSE
Durchschnittlich zehn Prozent werden den Grünen in Umfragen für die Nationalratswahl Ende September ausgewiesen. Viereinhalb Monate vor der Nationalratswahl 2017 lagen sie bei neun Prozent und flogen dann mit 3,8 Prozent aus dem Hohen Haus. Schon klar: So wird sich das kaum wiederholen. Parteichef und Vizekanzler Werner Kogler ist aber gewarnt.
Lena Schilling oder das, was manche als "Causa Schilling" bezeichnen, hat nur am Rande damit zu tun. Das Problem der Partei ist, dass sie bei Wahlen schon länger verliert. Stimmen und Macht kommen abhanden. Zuletzt etwa das Bürgermeisteramt in Innsbruck oder auf Länderebene nach der Regierungsbeteiligung in Wien auch jene in Tirol und Salzburg. Das bedeutet, dass es schwieriger wird für sie, aufzuzeigen. Das hätte sie gerade in Städten nötig, weil dort die meisten ihrer Wähler wohnen und weil sie dort zunehmend Konkurrenz bekommt, sei es durch Kay-Michael Dankl (KPÖ plus) oder durch Dominik Wlazny (Bierpartei) – bei der Präsidentschaftswahl 2022 hat er die meisten Stimmen von Anhängern der Grünen erhalten. Das war und ist alarmierend für die Grünen: Bei der Nationalratswahl im Herbst will er ja auch antreten.
Woher kommen die Probleme der Grünen? Regierungsbeteiligungen setzen ihnen zu. Im Bund haben Kogler und Co. mit der ÖVP Dinge durchgezogen, die Anhänger von ihnen nachhaltig enttäuscht haben, von der Impfpflicht bis zur Einstellung der Wiener Zeitung. Und: Die allgemeine Themenlage entspricht ihnen mit der Teuerung im Zentrum so gar nicht.
Relevant sind aber auch Veränderungen in der Partei selbst: "Message Control" ist an die Stelle von Basisdemokratie getreten. Funktionäre haben sich unterzuordnen. Inhaltlich, aber auch personell, ist wenig bis nichts Neues möglich. Das eine sorgt für Frust, das andere ist dazu angetan, die Partei langfristig zu schwächen.
Zu schaffen macht den Grünen im Übrigen eben diese Wähler-Sehnsucht nach unverbrauchten Politikern wie Dankl oder Wlazny. Für die EU-Wahl hat Kogler geglaubt, dem Rechnung tragen zu können, indem er auf die bisherige Klimaaktivistin, vor allem aber Nichtpolitikerin Schilling setzt. Sie ist nun mit Vorwürfen konfrontiert, Unwahrheiten über Bekannte und Journalisten verbreitet zu haben.
Das Schlimmste für die Grünen insgesamt sind dabei nicht die Vorwürfe, sondern dass sie von eigenen Leuten nach außen getragen worden sind. Bei der Quereinsteigerin Schilling war für diese Leute Schluss mit der Disziplin, sie gingen zu parteischädigendem Verhalten über. Und zwar zur Unzeit – im EU- und vor dem Nationalratswahlkampf.
BERICHT
Doppelter Reformdruck bei Pensionen
Doppelter Reformdruck bei Pensionen
Der Vorsitzende der SPÖ hieß Werner Faymann, der Obmann der ÖVP Michael Spindelegger: Es war Dezember 2013, und die beiden besiegelten nach geschlagener Nationalratswahl die Fortsetzung einer Regierungszusammenarbeit ihrer Parteien. Zu den Pensionen hieß es im Arbeitsprogramm: "Priorität" habe die Anhebung des faktischen Pensionsalters. Ähnlich war es im Programm, das Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ) Ende 2017 für Türkis-Blau vereinbarten, sowie im Programm, das Kurz und Werner Kogler (Grüne) Anfang 2020 für die türkis-grüne Koalition fixierten, die noch immer existiert. Allein: Das Alter, in dem Männer und Frauen in Pension gehen, hat sich kaum verändert. Ohne Fälle, in denen es aus gesundheitlichen Gründen früher notwendig ist, das Berufsleben zu beenden, belief es sich 2023 auf 63,4 bei Männern und 60,8 bei Frauen. Bei den Männern war es 2015 mit 63,6 Jahren zwischendurch sogar schon einmal höher gewesen.
Bei den Frauen wird es in absehbarer Zeit zu einem leichten Anstieg kommen, weil das gesetzliche Pensionsalter für sie von 60 auf 65 angehoben wird. Bei Männern wird sich auf Basis geltender Bestimmungen nichts bewegen: Viele können mit 63 in Pension gehen – und tun es daher.
Wachsende Budgetbelastung
Der Reformdruck nimmt jedoch zu. Aus zwei Gründen wird es immer schwieriger, die bestehenden Verhältnisse aufrechtzuerhalten: Zum einen wächst die budgetäre Belastung massiv. Gemessen an den Steuereinnahmen, die dem Bund zur Bewältigung seiner Aufgaben verbleiben, muss er ab 2025 schon fast die Hälfte für Pensionen aufwenden. 2019 hatte es sich noch um gut ein Drittel gehandelt. Zum anderen wächst der Fachkräftemangel. Die Lösungsmöglichkeiten sind gezählt. Zu den wirkungsvollsten gehört jedoch eine Erhöhung des Pensionsantrittsalters.
ZAHL
Wem gute Beziehungen zu Russland wichtig sind
Wem gute Beziehungen zu Russland wichtig sind
Harald Vilimsky, freiheitlicher Spitzenkandidat bei der EU-Wahl, weist die Darstellung zurück, seine Partei stehe Russland nahe. Um das zu untermauern, signalisierte er in einem Interview mit dem "Standard" Bedauern über den Freundschaftsvertrag, den sie 2016 in seinem Beisein in Moskau mit Wladimir Putins Partei "Einiges Russland" eingegangen ist. Außerdem meinte er, dass andere "im politischen Rektum von Putin unterwegs gewesen" seien. Vilimsky nannte Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Türkise.
Fakt ist jedoch, dass das Abstimmungsverhalten der Freiheitlichen im Europaparlament besonders russlandfreundlich ist. Das hat eine Untersuchung des Budapester Analyseinstituts Political Capital ergeben. Fakt ist zudem, dass die Freiheitlichen die EU-Sanktionen gegen Russland auf nationaler Ebene am deutlichsten ablehnen. Diese sind aufgrund des Angriffskrieges gegen die Ukraine verhängt worden und werden von Österreich mitgetragen.
Parteichef Herbert Kickl spricht von einem Verrat an der Neutralität. Damit setzt er gezielt auf ein diffuses Neutralitätsverständnis, das dafür steht, es sich mit niemandem zu verscherzen bzw. mit allen zu können. Tatsächlich sind noch immer 22 Prozent der Österreicher für gute Beziehungen zu Russland. Unter FPÖ-Wählern ist der Anteil mit 30 Prozent am größten. Allerdings: Auch unter Anhängern der ÖVP ist er mit 27 Prozent beträchtlich. Das zeigt, wie heikel das Thema für ihren Obmann, Kanzler Karl Nehammer, rein parteipolitisch ist. Unterdurchschnittlich sind die Anteile bei Wählern der SPÖ (16 Prozent), der Grünen (zehn), der Neos (vier) und der Kommunisten (zwei Prozent). Das hat die Uni Innsbruck im Rahmen des "Austrian Foreign Policy Panel Projects" festgestellt. Befragt wurden mehr als 3.000 ab 18-Jährige.
Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at