Über Jamaika
nach Europa

Merkels vierte Amtszeit muss und wird anders werden.

von Christoph Lehermayr © Bild: News/Ian Ehm

Am Abend nach der deutschen Wahl war im TV nur einer wirklich aufgedreht: Martin Schulz. Der Verlierer, der Kanzler werden wollte, bei 20 Prozent landete und erst nach seiner Niederlage Angela Merkel angriff. Zu spät, zu schwach, zu lächerlich. Klar, die Kanzlerin hat auch verloren, gar mehr als acht Prozent eingebüßt. Aber schon bei der Wahl 2009 war ihr Ergebnis nur einen Prozentpunkt besser gewesen. Und damals gab es noch keine Flüchtlingskrise und ihren damit verbundenen Kontrollverlust.

Merkels vierte Amtszeit muss und wird anders werden. Schon allein, weil ihr nach Schulz' Rotlauf nur eine Koalitionsoption bleibt: Jamaika. So wird der Farben wegen das Bündnis aus ihrer CDU/CSU mit FDP und Grünen genannt. Ein neues Terrain und eigentlich ein politisches No-Go, weil die ideologischen Unterschiede zwischen (neo)liberaler FDP und öko-fundamentalen Grünen zu groß seien. Doch richtig gemacht, liegt genau darin der Reiz, da Ideologie in den Hintergrund zu treten hat und Raum frei wird für sachorientierte Politik.

Wohin die führen kann, zeigte sich diese Woche in Paris. Dort präsentierte Frankreichs Präsident, Emmanuel Macron, seinen Plan für die EU. Was er sagte, kam einem Traum gleich, einer Vision, ja: einer Neugründung. Es reicht vom gemeinsamen Grenzschutz über ein eigenes Budget für die Euro- Zone bis hin zur Angleichung von Sozialstandards, Mindestlöhnen und einer Finanztransaktionssteuer. Vieles davon klingt fern, kühn und dazu angetan, als unrealisierbar abgehakt zu werden. Das wäre falsch, denn es ist seit Langem das erste Mal, dass die EU nicht für Krise, sondern für Zukunft steht. Gerade nachdem sich Brüssel erst in der Euro-und dann in der Flüchtlingskrise als schwach erwies, braucht es den Neustart. Denn das Gegenwartsbild ist düster genug. Großbritannien driftet weg. Spanien droht mit dem Katalonien-Referendum am Sonntag Spaltung und Zerwürfnis. Und Polen holt gar Reparationsforderungen an Deutschland aus der Mottenkiste.

All das weitergedacht, führt zum Zerfall Europas. Zu Staaten, die sich allein selbst die nächsten sind und in denen alle einen hohen Preis dafür bezahlen würden. Besser ist es, über Macrons Plan zu streiten. Ihn europaweit auseinanderzunehmen, zu ergänzen, zu verbessern um am Ende zu einem stärkeren gemeinsamen Europa zu gelangen. Und an diesem Punkt kommen Merkel und Jamaika wieder ins Spiel. Ist sie noch in der Lage, sich nach zwölf Jahren neu zu erfinden, um mit Macron den Kontinent besser aufzustellen? Ohne Deutschland geht das nicht. Zudem braucht es die Stimmen kleinerer Staaten und die Einbindung der Osteuropäer. Es wäre eine Mission Merkel 4.0, und sie müsste gelingen.

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