Was nun, Herr Nehammer?

Wer in der Schule beim Schummeln erwischt wird, hat Pech gehabt. Zettel weg. Note futsch. Immerhin: Der Umfaller kann ausgebessert werden. Aber man muss liefern.

von Leitartikel - Was nun, Herr Nehammer? © Bild: News/ Matt Observe

Das Zeitfenster war da. Genutzt wurde es nicht. Damals, als im Dezember 2021 Karl Nehammer seinen Job als Bundeskanzler und "Lernender" für dieses Land antrat, hätte er aufräumen und einen Schlussstrich ziehen können. Einfach so, weil es dringend an der Zeit gewesen wäre. Aber auch, weil neue Besen ja bekanntlich besonders gut kehren. Er hätte zeigen können, dass es ihm und seiner Partei tatsächlich einmal um das Land geht. Hätte er. Hat er aber nicht. Vielleicht war der Wille da, schließlich hat der Neue an der Spitze in seinen Antrittsreden viel versprochen -etwa das schon (zu) viel zitierte Transparenz-und Informationsfreiheitsgesetz und ein neues Parteienfinanzierungsgesetz. Vielleicht haben er und die Seinen aber auch damals schon gehofft, mit dem vollmundigen Gerede von der "vollen Transparenz" irgendwie und einmal mehr über die Runden zu kommen. Denn schon damals stand dem Gerede die Einsicht im Weg. Sie steht noch immer dort. Man hätte es ahnen können.

Jetzt weiß man es. Selbsterkenntnis? Fehlanzeige. "Wo sehen Sie ein Korruptionsproblem?", fragte dieser Kanzler noch im Februar bei einem Interview mit News. Nachsatz: "Ich lehne solche Pauschalverdächtigungen ab." Zu dieser Zeit lag schon ziemlich viel auf dem Kanzlertisch -Hausdurchsuchungen im Kanzleramt und in der ÖVP-Zentrale zum Beispiel. Aber auch Medienkorruption und geschönte Umfragen. Zwischenzeitlich ist einiges dazugekommen: Ermittlungen der Wirtschafts-und Korruptionsstaatsanwaltschaft, ein U-Ausschuss, der die mutmaßliche Korruption rund um die ÖVP zum Thema hat, eine Steuerprüfung beim Wirtschaftsbund in Vorarlberg und Korruptionsermittlungen gegen ÖVP-Landeshauptleute. Aktuell zweifelt der Rechnungshof die um Jahre verspätet gemeldeten Wahlkampfkosten für die Nationalratswahl 2019 an und schickt zugleich einen Wirtschaftsprüfer, der nochmals genauer hinschauen soll. Damals als Generalsekretär verantwortlich für den ÖVP-Wahlkampf: Karl Nehammer.

Das alles lässt sich nicht mehr wegreden. "Gelassen" - ein Wort, das im ÖVP-Umfeld besonders gern und häufig fällt -schon gar nicht. Denn es bleibt die Frage: Was kommt da noch? Wer beim Schummeln erwischt wird, hat Pech gehabt. Da ist man zum Beispiel in der Schule gnadenlos. Zettel weg. Note futsch. Die eigene Verantwortung kleinzureden oder gar die Schuld auf andere abzuschieben, bringt nichts. Immerhin: Der Umfaller kann ausgebessert werden. Aber man muss liefern. Zeitnah und mit vollem Einsatz.

»Wille, Glaubwürdigkeit, Einsicht und Demut sind jetzt gefragt.«

Eine funktionierende Demokratie braucht eine -redliche -konservative Partei. Viele Chancen, die Lage in den Griff zu bekommen, hat die ÖVP aber nicht mehr. Die Abwärtsspirale in die Bedeutungslosigkeit nimmt rasant Fahrt auf. Das beste Rezept gegen Korruption lautet übrigens schonungslose Transparenz. Aber auch Tempo - der Untersuchungsausschuss geht im Herbst weiter -, ehrlicher Wille, Glaubwürdigkeit, Einsicht und Demut sind gefragt. Ganz schön viel auf einmal, könnte man meinen. Möglicherweise zu viel für eine Partei, die nach wie vor der Meinung ist, kein Korruptionsproblem zu haben.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: gulnerits.kathrin@news.at