Verzaubert
und entzaubert

Österreich ist im Ausnahmezustand. Der Bundespräsident beruhigt; der Kanzler schielt auf den Wahltermin.

von Leitartikel - Verzaubert
und entzaubert © Bild: News/ Matt Observe

Eigentlich hat er ja nur seinen Job gemacht. Aber das eben ziemlich gut. Und genau das ist in Zeiten wie diesen nicht selbstverständlich. "So sind wir nicht, so ist Österreich nicht", sagt Bundespräsident Alexander Van der Bellen im Hinblick auf das unter "Ibiza-Gate" kursierende Video. Er entschuldigt sich für das Bild, das die Politik hinterlassen hat. Er wirbt um Vertrauen, Mut und Zuversicht. Er wirkt beruhigend und entschlossen. Und versichert (fast schon in Merkel-Manier): "Wir kriegen das schon hin." Eine Wohltat in Zeiten der Message-Control und der Worthülsen-Reden, die uns in der Vergangenheit allzu oft eingenebelt haben. Ein Staatsmann eben. Es hätte ja auch anders kommen können. Mit einem Norbert Hofer in der Hofburg würden wir jetzt wohl über "Jeder macht mal Fehler" und ein "Augen zu und weiter geht's" reden Jene, die die Republik politisch ins Taumeln gebracht haben, tun sich da schon schwerer mit Schuldbekenntnissen. Für den einen ist es eine "b'soffene G'schicht". Abseits der "betrunkenen Peinlichkeiten" habe er sich nichts zu Schulden kommen lassen und "ein reines Gewissen", befindet Strache nach ein paar Mal Drüberschlafen. Fortsetzung folgt. Garantiert.

Und Kurz? Er findet nach einer mehr als 24 Stunden dauernden Schrecksekunde Worte über das Skandalvideo und seinen Regierungspartner. Krisenmanagement und beruhigende Worte im Sinne eines Staatsmannes sieht sein Message-Control-Drehbuch aber offensichtlich nicht vor. Dafür gibt es viel Selbstmitleid und einen bereits auf Wahlkampf getrimmten Satz: "Genug ist genug." Alle - immerhin beachtliche zwei Millionen TV-Zuschauer - warteten am Samstag zur besten Sendezeit auf den Kanzler und bekamen einen wahlkämpfenden und in Selbstbeweihräucherung zerfließenden Parteichef zu Gesicht. Erwartbar. Und doch enttäuschend. Die deutschen Kollegen haben mitgezählt: Das Wort "ich" fiel in der kurzen Ansprache 32-mal. Er will die Mehrheit im Land. Ohne ihn geht es nicht. Ob die Rechnung aufgeht, werden schon die nächsten Tage zeigen. Mit Blick auf die aktuellen Umfragen muss er sich derzeit jedenfalls keine Sorgen machen.

Auch wenn es Kurz gern unter den Teppich kehren würde: Er war es, der die FPÖ salonfähig gemacht und auf die Regierungsbank geholt hat. Auf zehn Jahre war das Projekt vollmundig angelegt; gescheitert ist es nach eineinhalb Jahren. Journalistenfragen waren dazu bei den ersten Kanzlerauftritten nach dem "Ibiza-Gate" nicht erwünscht. Dafür bekam Deutschlands größte Boulevardzeitung ein Interview: "So viel, wie in den letzten beiden Jahren in Österreich weitergegangen ist an Veränderungen im Land, das muss erstmal jemand nachmachen", sagt Kurz. Über die vergiftete politische Kultur im Land, eine gespaltene Gesellschaft und darüber, dass die Grenzen des Sagbaren in den letzten Monaten immer weiter verschoben wurden, verliert er kein Wort. Auch nicht darüber, dass jetzt weite Teile des Regierungsprogramms im Mistkübel landen, weil keine Gesetzesentwürfe vorliegen. Längst geht sein Blick in Richtung Wahltermin. Er werde als Parteichef Wahlkampf führen und für den Kurs der Regierung werben und als Bundeskanzler seiner Verantwortung nachkommen, unabhängig vom Wahlkampf, verspricht Kurz am Mittwoch. Ein Spagat. Ob er gelingt? Fraglich.