Umstrittener Neoliberalismus

von Gerfried Sperl © Bild: News

Er ist fast ein Modewort, wenn es um Kritik an Fehlentwicklungen in der EU und darüber hinaus geht: der Neoliberalismus. Besser als Franz Schellhorn, Profil-Kolumnist und Direktor von Agenda Austria, kann man ihn nicht definieren. In seiner Kolumne "Total neoliberal" beschrieb er ihn so: "es geht um eine Politik gegen die Schwächsten der Schwachen, um radikalen Sozialabbau, um gekürzte Staatshaushalte, um die Zerschlagung öffentlicher Unternehmen, um Steuersenkungen für die Reichen".

Für Schellhorn ist diese Beschreibung, wie er im letzten Absatz enthüllt, aber nicht ernst gemeint. Sie skizziere ein Hirngespinst von Schriftstellern, die über "so gut wie alles Bescheid wissen". Abgesehen davon, dass Künstler manchmal die Wirklichkeit schärfer sehen, ist Schellhorn einäugig.

Er tut so, als hätte Wolfgang Schüssels erste Regierung vor 18 Jahren keine Privatisierungen inszeniert (viele fehlgeschlagen, jene der Buwog gerichtsanhängig). Er tut so, als hätte man damals die Sozialpartnerschaft nicht attackiert (ihre Abschaffung hätte vermehrt sozial Schwächere geschaffen). Und er tut so, als sei die Schere zwischen Reich und Arm nicht auch in Österreich weiter aufgegangen. Vor allem: Er tut so, als sei Österreich tatsächlich eine Insel.

Philipp Ther (Uni Wien), für sein Werk "Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent" mit dem Sachbuch-Preis der Leipziger Buchmesse 2014 ausgezeichnet, verweist indes nicht nur auf den Thatcherismus, der die Gewerkschaften entmachtete, die Bahnen privatisierte und Sozialleistungen zusammenstrich. Er beschreibt auch die Ideologie des US-Ökonomen Milton Friedman, der 1980 und 1990 in TV-Serien den Wohlfahrtsstaat verteufelte und den Markt zum neuen Gott erhob.

Auf dem europäischen Kontinent sei es zwar gelungen, schreibt Ther, den Sozialstaat einigermaßen zu verteidigen, aber insgesamt habe der Neoliberalismus den Wettbewerb gegen die Soziale Marktwirtschaft und die vom Keynesianismus geprägte Sozialdemokratie gewonnen. In Osteuropa, wo es kaum demokratische Traditionen gab, habe er leichtes Spiel gehabt -u. a. durch die Verwandlung riesiger Staatsbetriebe in Oligarchen-Reiche.

Einige Tage vor der Publikation der Schellhorn-Kolumne schrieb im "Falter" Peter Michael Lingens eine Abrechnung mit der neoliberalen Politik. Sie liest sich wie eine Antwort auf Schellhorn. Lingens konstatiert, derzeit strebten Gewinne und Löhne massiv auseinander, es gebe sogar sinkende Reallöhne. Sein Fazit: Die Vision der Neoliberalen, dass die Herrschaft des Marktes und der globale Freihandel schnurstracks ins Paradies führten, hätten Marxens Vision abgelöst, dass am Ende der klassenlosen Gesellschaft ein sozialistisches Paradies stünde.

Als Anhänger der Sozialen Marktwirtschaft neige ich zur Ansicht von Lingens.

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