Was Tourismus in
Österreich jetzt braucht

Die ehemalige Chefin der Österreich Werbung, Petra Stolba, die am 1. Juni 2021 das Zepter an ihre Nachfolgerin übergeben hat, über die aktuellen Herausforderungen im heimischen Tourismus und den internationalen Wettbewerb der Urlaubsdestinationen.

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Wirtschaft - Was Tourismus in
Österreich jetzt braucht

Eineinhalb Jahrzehnte lang war Petra Stolba an der Spitze der ÖW. Dass sie Anfang des Jahres erklärte, sich nicht mehr für eine weitere Periode als oberste Tourismuswerberin des Landes bewerben zu wollen, überraschte viele in der Branche. Ihr Vertrag läuft zwar noch bis Ende Oktober, bereits mit 1. Juni tritt aber Ex-TUI-Österreich-Chefin Lisa Weddig die Nachfolge in der mit 210 Mitarbeitern und 50 Millionen Euro Budget größten heimischen Tourismusorganisation an. Ein Abschiedsinterview über die schwierige Situation des heimischen Tourismus und darüber, wie das Urlaubsland Österreich international konkurrenzfähig bleiben kann.

Die Tourismusmanagerin, 56, studierte technische Chemie, absolvierte einen Unilehrgang für Marketing und Werbung, schloss eine Fotografieausbildung ab, studiert Betriebswirtschaft und Politikwissenschaft. Ihre Karriere führte sie über mehrere Branchenjobs, Wirtschaftsministerium und Wirtschaftskammer 2006 an die Spitze der Österreich-Werbung. Jetzt zieht sie sich davon zurück.

Frau Stolba, wie stark hat sich der Tourismus in Österreich in den letzten Jahrzehnten verändert?
Für mich ist der Tourismus nach wie vor einer der spannendsten Bereiche überhaupt, weil sich in ihm die gesamte gesellschaftliche Entwicklung sozusagen wie auf einer Folie abzeichnet. Deshalb ist die Frage auch eine der Veränderung der Gesellschaft. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es die Phase des Hochfahrens des modernen Tourismus. Damals war Österreich noch ein Sommertourismusland ohne wesentlichen Wintertourismus. Ab den 1970er-Jahren ging es vor allem um Wachstum. Der Wintertourismus kam stärker auf, was ab den 2000er-Jahren zu einem Gleichstand bei den Nächtigungen geführt hat. In den vergangenen 15 Jahren gab es dann die Entwicklung hin zu einer dritten Stufe -beschleunigt durch die Digitalisierung in allen Bereichen. Das hat die Branche total verändert. Und jetzt stehen wir aus meiner Sicht vor einer Weggabelung - die durch Corona wie durch ein Brennglas noch sichtbarer geworden ist.

»Wir stehen jetzt vor der Frage, ob wir in das alte Normal zurück- oder in ein neues Normal hineinwollen«

Inwiefern?
Im Jänner 2020 -und das klingt, als ob es ewig her wäre - hatten wir eine intensive Diskussion über Overtourism, bei der es um Obergrenzen und die Frage, wie man eine Verträglichkeit zwischen Einheimischen und Gästen schafft, ging. Kurz davor gab es die Thomas- Cook-Pleite; etwas Unvorstellbares trat ein -nämlich der Begründer des modernen Reisens ging in Konkurs. Corona hat da nur einen Stillstand, ein kurzes Atemholen erzwungen. Wir stehen jetzt vor der Frage, ob wir in das alte Normal zurück-oder in ein neues Normal hineinwollen. Ich bin der festen Überzeugung, dass der Tourismus vor großen Veränderungen und Herausforderungen steht. Es geht um die Frage, wie wir weiter vorgehen.

Und in welche Richtung?
Viele, und das ist verständlich, wollen so schnell wie möglich das alte Geschäft wieder hochfahren. Aber aus meiner Sicht gibt es vier Veränderungstreiber, die eine neue Normalität bedingen. Zum einen die digitale Transmission, die sich nicht mehr auf die Betriebe bezieht, sondern darauf, in Daten zu denken. Ein Beispiel: Wenn jemand eine Woche Skiurlaub in Österreich macht, hat er es im Schnitt mit 43 Leistungsträgern zu tun - von Hotel und Wellnesseinrichtung über Lift und Skiverleih bis hin zu Transport oder Gastronomie. Touristische Erlebnisse müssen heute anders gedacht und aufbereitet werden -nämlich auf einer digitalen Plattform. Es braucht sozusagen ein neues Betriebssystem für den Tourismus. Wir haben das im Vorjahr prototypisch im Rahmen unseres Austrian Experience Data Hubs zu zeigen versucht -beginnend bei den Staudaten der Asfinag über die Wetterdaten der ZAMG, die Routenpläne von Freytag & Berndt, Infos zur klimaschonenden Anreise oder Barrierefreiheit bis zu den Points of Interest der Landestourismusorganisationen wurden Daten zusammengeführt und Startups eingeladen, etwas daraus zu machen. Zum Beispiel ein skalierbares Produkt namens "Make my day", bei dem anhand von drei Fragen ein individueller Vorschlag für einen Tagesaufenthalt in Wien erstellt wird. Daten sind da der zentrale Treiber im Tourismus.

Was wird sich noch ändern?
Zur digitalen kommt noch die grüne Transmission. Österreich soll laut Regierungsprogramm bis 2040 netto emissionsfrei sein, was eine enorme Veränderung in der Art und Weise, wie wir konsumieren und wirtschaften, bedeutet. Mit Gesetzen allein wird das nicht zu schaffen sein, sondern nur durch eine neue Zusammenarbeit von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Der Tourismus wird sich fundamental verändern; man denke nur an die geplante Einschränkung der Kurzstreckenflüge. Die Frage ist: Wie sehen da die Auswirkungen für den Kongress-oder Messetourismus aus? Dazu kommt noch die kulturelle Transmission, das heißt, es braucht ein neues Miteinander, eine neue Begegnungsqualität zwischen Einheimischen und Gästen. Es kann nicht sein, dass der Tourismus nur die Ressourcen aus der Region nimmt und nichts zurückgibt. Es wird vor allem darum gehen, die Wertschöpfungsketten viel stärker zu vernetzen -damit lokales Handwerk, Gewerbe, Landwirtschaft und Kultureinrichtungen noch stärker profitieren. Mein Credo ist, Tourismus lebt mit der Region und nicht von der Region.

Viel Zukunftsmusik; oft hat man aber noch den Eindruck, Österreichs Tourismus sei in den 1970er-Jahren stecken geblieben
Genau. Wir stehen an einem Scheideweg: Gehen wir wieder ins alte Normal zurück und verbessern zum Beispiel einzelne Hotels - was auch notwendig ist - oder denken wir viel systemischer, in vernetzten Zusammenhängen? Dazu braucht es eine entsprechende Tourismuspolitik sowie Unternehmer und Einheimische, die gemeinsam an einem Strang ziehen. Es gibt ja genug Täler in Österreich, die substanziell vom Tourismus leben.

»Förderungen als Karotten vor der Nase werden nicht reichen«

Wie soll das geschehen?
Das ist ein zäher Prozess, der sicher nicht mit einem von oben verordneten Miteinander funktioniert. Sondern nur, indem man direkt in die Regionen hineingeht, Programme entwickelt, Diskussionen veranstaltet und beginnt, gemeinsam daran zu arbeiten. Förderungen als Karotten vor der Nase werden nicht reichen. Aber das beginnt ja auch bereits: Wenn sich etwa einzelne Regionen Gedanken darüber machen, wie sie gemeinsam Arbeitskräfte bekommen.

Der Arbeitsmarkt ist ja ein touristisches Dauerthema
Der ist momentan extrem schwierig und das Problem schlechthin. Rund die Hälfte der touristischen Arbeitskräfte kommen aus dem Ausland, und die hatten jetzt in Ungarn oder Tschechien keine Kurzarbeit. Die sind weg und in anderen Branchen. Und auch österreichische Mitarbeiter haben den Beruf gewechselt oder sich umschulen lassen, zum Beispiel zu Pflegekräften. Die sagen, das ist ein sicherer Job.

Das Image der Branche ist nach wie vor stark verbesserungsfähig. Und jetzt wird wieder einmal händeringend nach Mitarbeitern gesucht
Das sind Themen, die die Branche angehen wird müssen - auch in Richtung Ganzjahrestourismus. Dafür sind entsprechende Wertschöpfungsketten in den Betrieben nötig, dann können diese auch Ganzjahresarbeitsplätze anbieten. Für Saisonbetriebe wird es wegen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf immer schwieriger - speziell bei den Jungen. Wir sagen immer, wir sind eine Gastgebernation. Aber Gastgeber zu sein, heißt auch, dann zu arbeiten, wenn die anderen Freizeit haben. Diese Probleme werden sich zuspitzen, wenn es nicht gelingt, an den Rahmenbedingungen zu arbeiten.

»Viele Dinge könnten in Kooperationen in der Region besser gelöst werden. Anders wird es nicht funktionieren«

Und zwar konkret?
Da geht es um rechtliche Aspekte, aber auch um die Zusammenarbeit vor Ort. Wenn sich fünf Betriebe eine Kinderkrippe teilen und Betreuungsplätze bereitstellen, ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf schon einmal besser. Auch Personal-Sharing bei größeren Events wäre eine Option. Viele Dinge könnten in Kooperationen in der Region besser gelöst werden. Anders wird es nicht funktionieren.

Und warum machen das die Betriebe dann nicht?
Gute Frage. Vielleicht weil sie Sorge haben, dass sie dann im direkten Vergleich stehen hinsichtlich Gehältern und anderer Dinge.

Was hat sich in den letzten 15 Jahren für die ÖW verändert?
Die hat sich natürlich mit dem Tourismus mit verändert. Die ÖW wurde ja 1955 gegründet, um Gäste ins Land zu holen, also Markenführung zu betreiben und Werbung zu machen. Das wurde dauernd an die neuen Gegebenheiten angepasst. Mit der letzten Strategie, die im Vorjahr erarbeitet wurde, haben wir uns zu einem Kommunikationshaus gewandelt. Werbung funktioniert heute nicht mehr so wie früher. Deshalb bewegen wir uns viel stärker hin zu redaktionellem Arbeiten und Content-Marketing. Das ist ein großer Kulturwandel: Während früher das Geld in die ÖW-Büros in den Märkten geflossen ist, die dann Marketing-und Werbekampagnen gemacht haben, konzentrieren wir uns jetzt als gesamtes Unternehmen auf relevante Themen zum Urlaub in Österreich. Und wir geben der Branche Unterstützung bei Innovationen, beispielsweise in der Digitalisierung, damit sie sich weiterentwickeln kann.

Wurden in den vergangenen Jahren die richtigen Werbeschwerpunkte gesetzt?
Die haben gepasst. Die Deutschen werden für den heimischen Tourismus sicher weiter am wichtigsten bleiben; die Frage ist aber, ob man weiterhin in Schubladen denkt oder über Themen spricht. Letztlich hat etwa ein Mountainbiker in Deutschland dieselben Interessen wie einer aus den Niederlanden. Natürlich gibt es kulturelle Unterschiede, aber letztlich geht es darum, Antworten auf die Fragen und Sehnsüchte der Menschen zu finden. Warum sollen sie auf einen Urlaub nach Österreich kommen? Es geht nicht darum, zu sagen: Hier ist es super, also kommt. Es geht um die Dinge, die die Menschen antreiben -die müssen wir voranstellen.

Und die wären?
Die Sehnsüchte kommen aus den vier großen Freizeitbereichen Ernährung, Bewegung, Inspiration und Erholung. Hier gilt es jedes Mal aufs Neue, das Wesentliche herauszudestillieren, das die Menschen anspricht. Und die Geschichten, die Österreich dazu erzählt.

Bei Kulinarik dreht es sich dann wie gehabt um Kaiserschmarren und Apfelstrudel?
Nein. Es gibt beispielsweise sehr viele österreichische Köche, die ins Ausland gehen, irgendwann zurückkehren und dann hier mit all ihrer Erfahrung wieder tätig werden. Das ist ein spannendes Muster, und wenn wir diese Geschichten erzählen, sagt das viel mehr über ein Land und eine Mentalität aus. Wir stellen nicht den Kaiserschmarren in den Vordergrund, sondern die Menschen, die ihn herstellen, und warum sie ihn so herstellen, wie sie es tun. Unsere Zielgruppe sind sehr reiseerfahrene und ausgabefreudige Gäste, und die sind an solchen Dingen interessiert.

Besteht die Gefahr, dass Österreich gegenüber der internationalen Konkurrenz den Anschluss verliert?
Die sehe ich nicht. Wir sind immer unter den Top-15-Ländern -2019 an zwölfter Stelle. Vom Produkt her ist Österreich schon sehr wettbewerbsfähig und vom Preis-Leistungs-Verhältnis im internationalen Vergleich sowieso.

»Man muss dazusagen, dass es vielleicht nicht jeder Betrieb zum Schluss schaffen wird«

Haben sich die Betriebe auch genügend verbessert?
Die Investitionen sind sehr rege. Viele Betriebe haben die Zeit während der Pandemie genutzt und Infrastrukturverbesserungen vorgenommen. So gesehen könnten wir gut aus der Krise kommen, wenngleich man dazusagen muss, dass es vielleicht nicht jeder Betrieb zum Schluss schaffen wird.

Wie viele werden das sein?
Laut Experten sind 14 bis 15 Prozent gefährdet. Speziell im städtischen Bereich ist die Lage sehr herausfordernd.

Wie sind Ihre Erwartungen für das heurige Jahr?
Wenn die Rahmenbedingungen so bleiben, wie sie derzeit sind, wird es laut Prognosen gegenüber dem Vorjahr ein Minus von 20 Prozent geben. Der Sommer wird hoffentlich an den des Vorjahres anschließen -und wenn wirklich alles gut geht, dann könnten wir den vielleicht sogar übertreffen. Da bin ich vorsichtig optimistisch, auch wenn das Wetter derzeit nicht so optimal ist. Auf der anderen Seite wollen die Menschen wieder raus. Es wird dieses Mal vielleicht nicht so schlimm sein, wenn einmal zwei Tage Regen dabei sind.

Oder es zieht die Menschen doch ins Ausland...
Das kommt darauf an. Wir sehen aus unseren Umfragen, dass viele Menschen ein hohes Sicherheitsbedürfnis haben und gleichzeitig den entsprechenden Vorkehrungen der österreichischen Betriebe viel Vertrauen entgegengebracht wird. Es wird wohl ein Abwägen geben, ob man sich gut aufgehoben fühlt, ob es bequem und kurzfristig disponibel ist. Und da steht das Inland hoch im Kurs.

»Die Menschen entwickeln sich weiter, also muss sich auch die Branche weiterentwickeln«

Und wohin geht die weitere Reise für die Branche?
Der Tourismus als Experience Economy, die Freizeit-und Urlaubserlebnisse gestaltet, wird nicht nur weiter relevant bleiben, sondern an Bedeutung gewinnen. Ich denke aber, wir werden uns in kürzester Zeit mit Fragen wie Emissionen und Klimaneutralität beschäftigen müssen. Die Zukunft des Tourismus wird davon abhängen, wie sehr wir uns mit Digitalisierung, dem grünen und kulturellen Wandel und der Zusammenarbeit in den Regionen auseinandersetzen. Die Menschen entwickeln sich weiter, also muss sich auch die Branche weiterentwickeln. Wenn man sich den Entwicklungen nicht anpasst, wird es stückweise eine Entfernung von den Marktgegebenheiten geben und der Tourismus sukzessive an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. That's it.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der Printausgabe von News (21/2021) erschienen.