Tom Schilling: "Ich
lebe im Hier und Jetzt"

Der deutsche Schauspieler Tom Schilling steht im Zentrum von David Schalkos Serie "Ich und die Anderen" (ab 29. Juli auf Sky). Ein Gespräch über Pandemie, Perfektion und die destruktive Kraft von Social Media

von Tom Schilling © Bild: imago images/Future Image

Fünf Tage währte die Arbeit am Wiener Drehort. Dann war Schluss. Auf unbestimmte Zeit. Das war im März des vergangenen Jahres. Ein Virus aus China hatte die Welt und somit die Aufnahmen von David Schalkos Serie "Ich und die Anderen" zum Stillstand gebracht. "Ich fuhr nach Hause und wusste nicht, wie es weitergehen würde", erinnert sich Tom Schilling im Gespräch mit News an die Zeit der Verstörung.

Der feinnervige 39-jährige Berliner steht im Zentrum von Schalkos Serie. Er verkörpert einen Exzentriker namens Tristan im Ausnahmezustand. Seine Gedanken beim morgendlichen Erwachen werden zur skurrilen Realität. Wenn sich Tristan danach sehnt, dass alle alles über ihn wissen, geschieht das. Will er, dass alle Menschen sagen, was sie denken, passiert auch genau das. Ein Meisterwerk des Surrealen hat Schalko da vorgelegt.

Wann und ob überhaupt Schilling seine Figur vor einer Kamera zum Leben erwecken werde, blieb wochenlange Ungewissheit. "Aber ich habe mich der Sache dann hingegeben und fand den Zustand gar nicht so schlecht, nämlich einmal entschleunigt zu sein. Ich war während dieser Zeit mit meiner Familie zusammen."

© © Sky Deutschland/Superfilm Feinnervig verstörend. Tom Schilling, 39 und einer der gefragtesten Schauspieler seiner Generation, steht im Zentrum von David Schalkos Serie "Ich und die Anderen"

Dass er trotz Pandemie weiterarbeiten durfte und die sechs Episoden ab 29. Juli auf dem Bezahlsender Sky zu sehen sind, ist Schalko, dem Regisseur und Produzenten der Serie, zu verdanken. Mit anderen Filmproduzenten, Verbänden, Sendern und dem Virologen Hans-Peter Hutter entwarf Schalko ein Sicherheitskonzept für die Arbeit am Set, das auch bei Theater-und Opernproduktionen angewendet werden konnte. Dennoch wollte er nur zu drehen beginnen, als auch das finanzielle Risiko minimiert war und sich der Staat zur Ausfallshaftung bereit erklärte. So geschah's.

Anarchie, Wortwitz und Eleganz

"Ich hatte eine wunderbare Zeit in Wien", sagt Schilling und hebt die Qualitäten von Schalkos Drehbuch hervor. Das folge keinen herkömmlichen Mustern, sondern besteche durch "abseitigen Humor, Wagemut, Anarchie, Wortwitz und sehr elegante Dialoge", benennt Schilling die Vorzüge von Schalkos Text.

© © Sky Deutschland/Superfilm Dreh in Wien. "Wir haben mit dem Urvertrauen gedreht, dass die Welt nicht in diesem Ausnahmezustand bleiben wird": Tom Schilling mit Filmpartnerin Katharina Schüttler

Was aber, wenn der Begriff "Virus" im Text vorkommt, während draußen, in der wirklichen Welt, die Pandemie wütet? Was, wenn in einer Szene die Rede davon ist, dass sich die Wahrheit wie ein Virus verbreitet? Oder Worte zu Viren werden können? "Wir haben mit dem Urvertrauen gedreht, dass die Welt nicht in diesem Ausnahmezustand bleiben wird. Trotzdem fand ich es gut, dass wir zumindest inhaltlich über Virus sprechen."

»Es geht nur noch darum, Personen herabzuwürdigen«

In gewisser Hinsicht sei "Ich und die Anderen" auch die Serie zu unserer Zeit, erklärt Schilling. "Denn darin wird verhandelt, wie das Internet und Social Media den Einzelnen verändert haben, wie wir uns verstellen, wie wir frustriert sind und dass wir unser Glück davon abhängig machen, welche Bestätigung wir bekommen. Und wie wir uns selbst darstellen müssen, um uns zu vergewissern, dass wir das richtige Leben führen."

Entwürdigung im Netz

Seine Kollegen haben Social Media genützt, um gegen die Theaterschließungen zu protestieren, und wurden auf sämtlichen Kanälen mit Shitstürmen überhäuft. "Das war unangenehm, aber man hat gesehen, wie Diskurse heute geführt werden. Dass es nicht mehr um die Sache an sich geht, sondern mehr darum, Personenkreise herabzuwürdigen", sagt Schilling. Er selbst habe sich an den Protesten nicht beteiligt, fand es aber "merkwürdig, wie rasch man darauf reagiert hat".

Dann wendet sich das Gespräch wieder dem ursprünglichen Gegenstand zu.

"Man kann mit ganz verschiedenen Augen auf diese Serie blicken, sie als absurde Erzählung sehen, sich an den Querverweisen erfreuen. Man kann aber auch den Witz genießen oder ganz philosophische Diskurse führen", setzt er sein Lob für seinen Drehbuchautor und Regisseur fort.

Präzise Vorbereitung

Wie bereitete sich der Perfektionist Schilling auf Schalkos surreale Welt vor? Für seine Darstellung eines Künstlers in Florian Henckel von Donnersmarcks Verfilmung von Gerhard Richters Lebensgeschichte, "Werk ohne Autor", studierte er das Handwerk des Malers. Als er in Jan Ole Gersters "Lara" einen Klaviervirtuosen gab, lernte er, das Instrument selbst zuspielen. Und wie bereitet man Ausnahmezustände vor, die Schalkos Serie bestimmen? "Bei so einer Erzählung ist es wichtig, dass man als Schauspieler fest im Sattel sitzt und das Drehbuch und seinen Text in- und auswendig kennt. Man muss eine hundertprozentige Vorstellung davon haben, wie man eine Szene spielt."

»Ich hätte auch Lust, einen Film zu drehen, wo ich sage, ich kann richtig schlecht sein«

Er empfinde ständigen Druck, perfekt sein zu müssen. "Das ist oft eine große Last. Ich hätte auch Lust, einen Film zu drehen, wo ich sage, ich kann richtig schlecht sein. Das wäre eine große Befreiung. Ich halte mich nicht für einen begnadeten Schauspieler, und das soll nicht als Koketterie verstanden werden. Aber ich sehe immer mehr meine Defizite, und mit sehr großer Präzision und guter Vorbereitung kann ich die kaschieren", beschreibt er bescheiden seine Qualitäten.

© © Sky Deutschland/Superfilm Exzentrische Mutter. Sophie Rois als Schillings Filmmutter. Die Tierfreundin will nicht wahrhaben, dass ihr Pferd nicht mehr liebt, und ließ es präparieren

Noch ein Wort zu seinem Kollegen Lars Eidinger, der in der Serie einen exzentrischen Firmenchef verkörpert und diesen Sommer der Jedermann in Salzburg ist: "Die Arbeit mit ihm hat mir große Freude gemacht, er hat all das, was ich gerne hätte. Er empfindet nicht so einen großen Druck, er kann sich viel schneller fallen lassen und sich auf eine Situation einlassen. Er ist auf eine gewisse Art wagemutiger. Ich habe noch nie so viel gelacht wie mit Lars. Ich schätze ihn unglaublich."

Für einen Rückblick auf die dunklen, jüngst vergangenen Zeiten ist Schilling nicht zu haben. "Ich blicke gar nicht zurück und schaue nicht nach vorne. Ich lebe im Moment, im Hier und Jetzt."

Wo das Leben eines Schauspielers eben stattfindet.

Glanzbesetzung

"Ich und die Anderen". Nach "Braunschlag","Altes Geld" und der Neuverfilmung von "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" nun der nächste Coup von David Schalko. Die Besten sind dabei: Neben Tom Schilling spielen Lars Eidinger, Michael Maertens, Sophie Rois, Martin Wuttke, Mavie Hörbiger, Sarah Viktoria Frick, um nur einige aus der Glanzbesetzung zu nennen. Sky zeigt die Serie ab 29. Juli

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Ausgabe 28+29/2021 erschienen.