Witze und Popoklopfer

Matthias Hartmann wird von alten Vorwürfen eingeholt

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich unterstelle keinem der 60 Burgtheater-Bediensteten, die sich per offenem Brief gegen den 2014 entlassenen Direktor Matthias Hartmann gewandt haben, unlautere Absichten. Gewiss nicht den (auffallend wenigen) unterzeichnenden Schauspielern von Rang: Dass sie einem großteils von Angehörigen des nicht künstlerischen Personals getragenen Manifest Gewicht verleihen, ist ehrenwert. Auch dritten Ensemblegrößen, die sich nun in Medien zu Wort melden, spreche ich die Lauterkeit nicht ab; und auch nicht jenen Unterzeichnern, die der seit vier Jahren abwesende Hartmann nicht einmal namentlich kennt.

Was hat der Alt-Direktor eigentlich begangen? Er hat vor fünf Jahren auf der Probe einen unanständigen Witz erzählt, den ihm zuvor eine berühmte Schauspielerin anvertraute. Auch hat er Ensemblemitgliedern (Frauen und Männern) beim "Toi, toi, toi"-Sagen vor der Premiere auf die Kehrseite geklopft. Ob man mit Beschuldigungen von solcher Wucht der Metoo-Debatte Gutes erweist, bliebe zu überprüfen. Auch soll Hartmann ein repressives, autoritäres Betriebsklima erzeugt haben. Das stimmt vermutlich, aber das Mitbestimmungstheater hat sich schon anno 1968 als nicht praktikabel erwiesen. Und sehr vielen großen Intendanten wäre diesbezüglich Gravierenderes vorzuwerfen als Hartmann.

Dass sich nun der Münchner Opernintendant Klaus Bachler als Branchenpazifist zu Wort meldet und seinem ungeliebten Burgtheater-Nachfolger rüden Führungsstil vorwirft, gefällt mir noch weniger. Denn Bachler hat als nicht inszenierender Manager leicht säuseln: Hartmann fertigte an der "Burg" 13 beim Publikum sehr erfolgreiche Inszenierungen, und Regieführen hat mit Harmonie nichts zu tun. Gert Voss und der Regisseur Peter Zadek, die gemeinsam Geschichte schrieben, wären mehrfach gegeneinander fast handgreiflich geworden, auch Peymann ist ein harter, kompromissloser Arbeiter.

Bemerkenswert jedenfalls ist der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Briefes. Hartmann wurde 2014 wegen mutmaßlicher Malversationen seiner Co-Geschäftsführerin Silvia Stantejsky entlassen. Nun hat vor Kurzem die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen ihn in den wichtigsten Punkten eingestellt: Der künstlerische Direktor konnte nicht erkennen, was sogar der Wirtschaftsprüfungsfirma entgangen war.

Also könnten nun Hartmanns Schadenersatzforderungen schlagend werden. Die sind zwar geringer als vermutet, denn sie beziehen sich nur auf die wenigen Monate, in denen Hartmann kein Einkommen hatte (er entwickelt jetzt weltweite Projekte für Dietrich Mateschitz). Aber dennoch strebt man seitens der Bundestheater einen Vergleich an. In solchen Fällen ist es üblich, dem Geschädigten Regiearbeiten anzubieten. Das aber soll an der fast lückenlosen Weigerung der Schauspieler scheitern, an einer solchen Produktion mitzuwirken. Weil ihnen Hartmann auf den Popo klopfen könnte? Mitnichten. Im Herbst 2019 tritt Martin Kušej als Burgtheater-Direktor an, Hartmanns erklärter Branchenfeind, von dem befürchtet wird, er werde den Großteil des Ensembles kündigen. Sich jetzt mit Hartmann in einer Produktion blicken zu lassen, wäre ein Selbstmordkommando.

Der offene Brief ging übrigens am Tag vor der europaweit beachteten Premiere des David-Bowie- Musicals "Lazarus" in Düsseldorf an die Öffentlichkeit. Hartmann hat inszeniert, das Resultat überzeugte Publikum und Kritik wesentlich mehr als der Brief.