Weshalb Roscic im Amt bleiben wird

Die Zukunft der beiden wichtigsten Bühnen des Landes wird noch in diesem Jahr entschieden. Heute soll der Status quo der Staatsoper erörtert werden. Die "Burg" kommt später dran

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Ja, ich weiß schon, wir haben andere Sorgen. Aber was herauskommt, wenn die Regierung andere Sorgen hat, erleben wir gerade: Unter der Drohung des Krieges führt das österreichische Seuchenmanagement geraden Wegs in den Abgrund. Lassen Sie mich also meine Sorge darüber artikulieren, dass noch in diesem Kalenderjahr, eventuell noch vor dem Sommer, die Direktionen der Staatsoper und des Burgtheaters ausgeschrieben werden. Bogdan Roscic und Martin Kusej haben ihre erste Amtszeit in absehbarer Zeit abgedient, und ihnen eine zweite zu verweigern, wäre im Lichte jahrzehntelanger Gepflogenheiten ein, elegant formuliert, spektakulärer Akt. Dass Staatssekretärin Mayer zur Überprüfung der Qualifikation zweier vor den Augen der Welt erprobter Theaterleiter neben einer Findungskommission auch noch ein Personalberatungsbüro bemüht, habe ich schon kürzlich mit Unverständnis kommentiert. Unvorstellbar, dass große Kulturpolitiker wie Rudolf Scholten, Helmut Zilk, Franz Morak oder Ursula Pasterk ihre fußnotengroßen Einträge in die Kulturgeschichte an eine Headhunter-Firma delegiert hätten! Andrea Mayer selbst hat der Volksoper mit der Avantgarde-Regisseurin Lotte de Beer einen riskanten Paradigmenwechsel verordnet. Verständlich, dass sie sich da helfen ließ. Aber Roscic und Kusej?

Im Fall des Operndirektors müssten die Verhältnisse klarliegen. Roscic hat, wie nur noch die Philharmoniker und die Salzburger Festspiele, während der Pandemie leuchtturmstark in die Welt gewirkt, Präventionskonzepte entwickeln lassen und über den Sender ORF III vielmals mehr Zuseher als in Zeiten der Regularität erreicht. Er hat dabei interessante junge Kräfte verpflichtet, gesanglich insgesamt Tadelloses aufgeboten und sein Haus szenisch mit Fortüne in die Neuzeit geführt. Dass er bewährte Arbeiten zugekauft hat, war eine sinnvolle Maßnahme, und die Neuproduktionen sind zumindest mehrheitlich gelungen.

»Nach dem Rausch der szenischen Erneuerung wäre jetzt Pragmatismus wünschenswert«

Dass sich noch ein paar interessantere Dirigenten (und auch ein paar seriöse Agenten) zu Gemeinschaftsaktivitäten aufdrängen würden, habe ich nicht verschwiegen. Und noch etwas müsste in der zweiten Runde, nach dem Rausch der szenischen Erneuerung, bedacht werden: Die Staatsoper ist ein Repertoirehaus, das nicht nur hochkarätige, sondern auch praktikable Inszenierungen verlangt. Wie die beschaffen sein können, darüber belehren uns nicht nur die Klassiker von Wallmann, Zeffi relli und Schenk, sondern auch glückhafte Wiederbelebungen älterer Arbeiten von Willy Decker, Harry Kupfer, Christine Mielitz oder Robert Carsen. Wenn aber verlässliche Repertoirestücke wie "Faust" oder "Traviata" von Videozuspielungen der Premierensänger abhängig und damit nur unter riesigem Aufwand umbesetzbar sind, lähmt das den Betrieb. Die Serienabsagen verursachende Pandemie hat hier erhellende Aufschlüsse vermittelt. Oder Herbert Fritsch' fabulöser "Barbier", der sogar auf Requisiten verzichtet und sich purer, gestenscharfer Pantomime verpflichtet: Aus einem rasch aufrufbaren Repertoirestück wird da eine Rarität, abhängig von Konstellationen oder mehrtägigen Proben. Insofern ist es schade, dass Boleslav Barlogs unzerstörbare "Salome" dem Vernehmen nach im nächsten Jahr weichen muss (am besten hätte man schon seinerzeit Wieland Wagners Geniewerk, ein Monument wie die Pyramiden von Gizeh, im Programm belassen). Insgesamt wäre ein pragmatischer Zugang zum Szenischen zu wünschen: behalten, wo es sich lohnt, ersetzen, wo es nötig ist, dann aber mit Courage und auf Weltniveau.

Kein Einwand kann indes das Grundsätzliche außer Kraft setzen: Roscic, der in der Tourismuskrise dem Ausfall von bis zu 50 Prozent Publikum begegnen muss und der es daher schwerer hat als die anderen zusammen, leistet bravouröse Arbeit. Sein Verbleib sollte, allen Informationen folgend, außer Diskussion stehen.

Jetzt wäre zu Kusej überzuleiten, dessen Wirken samt theoretischer Nachfolgerschaft doch ausschweifenderer Erörterungen bedarf. Ich belasse es deshalb bei diesem hoffentlich Neugierde weckenden Luftholen und verweise auf die nächste Woche.

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