Der Korrektheitswahn frisst seine Kinder

Sebastian Kurz arbeitet bei einem Monsterkapitalisten. Aber sich wie Alfred Gusenbauer einem kasachischen Menschenrechts-Gangster anzuvertrauen, ist ihm nicht eingefallen. Darf man ihn samt Famile trotzdem in ein Gemälde aus dem Jahr 1616 collagieren?

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Zum Fürchten ist das: wie Ereignisse, die unser Minimundus eben noch bis in die Bausubstanz erschüttert haben, binnen zwei, drei Wochen ins Nichts verrauschen. Dennoch soll nicht alles, was ich mir während der kurzen Weihnachtspause notiert habe, ungeschrieben bleiben. Sebastian Kurz (war da jemand?) verdient beim neuen Arbeitgeber ein Mehrfaches seines Kanzlergehalts und wurde dafür von der Bobo-Publizistik serienverdroschen. Nun ist mir das Geschäftsmodell des Investors Peter Thiel von Herzen zuwider. Aber andererseits hat Kurz auf ein halbes Jahr Gehaltsfortzahlung verzichtet und arbeitet bloß bei einer Finanzfirma des Thiel-Imperiums. Und nicht etwa beim hauseigenen Bespitzelungssoftware-Anbieter Palantir wie die frühere SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Laura Rudas. Zudem ist Thiel bisher nicht als Menschenrechtsverbrecher aufgefallen wie der kasachische Diktator Nasarbajew, der den sozialdemokratischen Altkanzler Gusenbauer für Beraterdienste generös dotiert hat. Anders als Nasarbajew, von dessen Brut soeben jede Anwandlung des Aufbegehrens in die postsowjetische Erde gestampft wurde, hat Thiel auch nicht die Pressefreiheit außer Kraft gesetzt. Oder doch? Ja, er hat einen schmierigen Denunzianten-und Ehrabschneider-Blog über Strohmänner in die Insolvenz getrieben. Chapeau, möchte ich ihm da zurufen, und weiter so!

Es ist nämlich dringend an der Zeit, anzugehen, was die grüne Justizministerin mit ihrem karikaturhaften Gesetz gegen den Hass im Netz versäumt hat. Legislative und Exekutive, in zivilisierten Gemeinwesen stets streng getrennt, vereinigen sich im Internet zum Ku-Klux-Klan 4.0. Man braucht das nur in linksliberalen Bobo-Zeitungsforen zu beobachten (die pöbelnden rechten sind ein anderes, bedrohliches Kapitel): Während sich unsereins frühmorgens ächzend ins Geschäft bemüht, warten offenbare Tagediebe schon mit dem Finger an der Computertaste auf die Morgenmeldungen. Statt AMS-Schulungen in Anspruch zu nehmen, begrüßt man einander mit wohlgelaunten Befindlichkeitsbekundungen, um dann in den "Diskurs" einzutreten. Unter dem Schutz dieser Schwindelmarke aus dem geschwollenen, täglich lästigeren Soziologen-Pidgin ("Narrativ", "sexistisch", "immersiv") verabredet sich da eine Bassena-Runde mit Maturaabschluss zum Lynchkommando, das über das Multiplikationsmedium Twitter zur Vollstreckung per "Shitstorm" ausrückt. Was war das für ein alle Grenzen des Tolerierbaren missachtender Unrat, der sich dort seinerzeit über Kurz, seine Frau und beider ungeborenes Kind ergossen hat! Das Ermutigende daran ist, dass die Situation wie zu Zeiten der Französischen Revolution ihre eigenen Verursacher zu fressen beginnt. Offenbar ermuntert durch das seinerzeitige Jauche-Bombardement, hat das geschätzte Bobo-Zentralorgan "Falter" die Köpfe des Ehepaars Kurz auf ein Sakralgemälde aus dem Jahr 1616 montiert. In der Tat war das eine Schande, aber ausschließlich aus professionellen Gründen: Eine derart mit der Nagelschere durchgeführte Collage könnte unserer Graphik schon insofern nicht unterlaufen, als es jeder Logik entbehrt, Kickl, den Todfeind des Altkanzlers, unter die Anbeter der Heiligen Familie zu versammeln.

Das Sujet selbst? Miserabel, aber harmlos. Der einschlägig adorierte Böhmermann produziert monatlich auf ebenso deplorablem Niveau Beobachtungswürdigeres. Nicht zu reden vom genialen Manfred Deix, der sich heute gegen die Korrektheitskommandos schon einen Leibwächter nehmen müsste. Aber die Empörung über den "Falter" war unermesslich und erfasste keineswegs nur die schwindende Klientel des emeritierten Erlösers: Wie der Krawall belegt, ist Empörung für die Internet-Abhängigen offenbar ein Suchtmittel, zu dessen Beschaffung man auch auch Gewalttaten im eigenen Familienkreis nicht mehr scheut. An der Spitze der einschlägigen Erbitterungen stehen übrigens die jeweils führenden Fernsehansager aus dem öffentlich-rechtlichen wie dem privaten Segment. Ganz schlimm ist es mit ihnen geworden, seit sie "Anchor" heißen. Teils inquisitorisch, teils mit dem Blick sanfter Fassungslosigkeit, mit dem Montessori-Kindergartenpädagoginnen die ihnen Anvertrauten dauerhaft traumatisieren, legen sie via Twitter die Grenzen des Schicklichen fest. Waren das Zeiten, als Fernsehansager noch einfach fernsehangesagt haben!

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