High Noon in Salzburg

Osterfestspiele in Turbulenzen: Mit Pult-Star Thielemann und Intendant Bachler wird es wohl nichts mehr

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Das jetzt mit Getöse Eintretende war bis ins Detail prognostizierbar, als die teilverstaatlichten Salzburger Osterfestspiele ihre neue Führung ab Juli 2020 bekannt gaben: Ab diesem Zeitpunkt übernimmt Nikolaus Bachler, derzeit Münchner Oper, zunächst als kaufmännischer, ab 2022 auch als Gesamtdirektor. In beide Entscheidungen wurde der amtierende künstlerische Leiter, der Dirigent Christian Thielemann, offenbar nicht einbezogen. Dass er mit Bachler nicht arbeiten will, hat er mehrfach deponiert.

Thielemann übernahm die Osterfestspiele 2013 in existenzbedrohenden Umständen: Die alte Festspielführung hatte über einen Malversationsprozess mehrjährige Gefängnisstrafen ausgefasst, worauf sich Stadt, Land und Fremdenverkehr am bis dahin privaten Konstrukt notbeteiligten. Der brillante Kulturmanager Peter Alward hatte die Leitung übernommen, doch am Hauptproblem konnte er nichts ändern: Zwei Opernamateure, nämlich das Kollektiv Berliner Philharmoniker und sein Chefdirigent Simon Rattle, produzierten ein österliches Golgatha nach dem anderen. 2011 gaben sie bekannt, sich mit 2012 ins besser zahlende Baden-Baden zu verändern, und da sah Alward die Chance: Er verpflichtete Thielemann und die von ihm geleitete Dresdner Staatskapelle - neben den Wiener Philharmonikern der einzige Klangkörper von Weltrang, der ständig Opern spielt. Der musikalische Aufschwung war enorm. Szenisch war man nicht besser unterwegs als davor, doch störten die Resultate weniger als die verflossenen, teils dilettantischen Regietheater-Eskapaden. Sah Thielemann sein Prinzip, die unbedingte Vorherrschaft der Musik, gefährdet, setzte er den einen oder anderen bereits verpflichteten Regisseur ohne zu zögern vor die Tür. Alwards Nachfolger, der nun scheidende Intendant Peter Ruzicka, ordnete alles mit kluger, kundiger Hand.

Bachler hingegen räumt an der Münchner Oper dem Szenischen höchsten Rang ein. Dass das Haus auch musikalisch blüht, ist in erster Linie das Verdienst des Chefdirigenten Kirill Petrenko. Der aber verändert sich 2019 zu den Berliner Philharmonikern, und auch Bachler quittiert mit Ende der herrlichen Zeiten.

Nun konnten Informierte schon im vergangenen Sommer in Salzburg die Nachtigall pfeifen hören: Die gastierenden Berliner wurden nicht müde, ihre Sehnsucht nach den herrlichen Salzburger Osterzeiten zu deponieren. Mit anderen Worten: Allerallerspätestens 2022 sollen sich Bachler und Thielemann so weit entzweit haben, dass die Berliner mit Bachler-Intimus Petrenko Heimkehr feiern können. Letztgenannter ist ein großer Operndirigent. Aber kann er die einschlägig blanken Berliner rechtzeitig ins Genre einweisen? Karajan konnte es. Aber was konnte er nicht?

Noch lauter allerdings tönt die Frage nach dem Verhalten des Stammpublikums, das u. a. über einen Förderverein nach wie vor die wirtschaftliche Hauptlast trägt. Die emotionale Infrastruktur hat anno 1967 der Festspielgründer Herbert von Karajan geschaffen: Für ihn entrichtete man aberwitzige Eintrittspreise, die man in seinem Gedenken bis heute erduldet. Das Szenische war für Karajan dabei so unerheblich bis störend, wie es für das österliche Publikum bis heute ist.

Thielemann hingegen wurde von diesen begeisterten, großteils betuchten Kunstfreunden wie ein wiedergeborener Karajan angenommen. Für ihn fährt man zu den Osterfestspielen, die fraglos nicht dem letzten Stand der Ästhetik entsprechen. Ob es sich lohnt, sie zur Tankstelle für die Karawane des Zeitgeistes umzurüsten, wird abzuwarten sein.