Nein, FILM nicht braucht Quote

Erfreut Sie das in Stammel-Englisch postulierte Glaubensprinzip "Cancel Culture"? Die globale Analphabetisierungskampagne schreitet insgesamt fort. Galoppierend auch in Österreich

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Schon wieder eine dieser Presseverlautbarungen, die unsereinem gleich noch einen Schwall Novembergrauen in den Arbeitstag praktizieren. "Braucht FILM Quote?", will das Österreichische Filminstitut in gebrochenem Deutsch von mir wissen. Anlass sei die "Präsentation des 2. Österreichischen Film Gender Reports". Welcher nebstbei den fehlenden Bindestrich zwischen gekoppelten Hauptwörtern, das beliebte Deppenleerzeichen, gleich zwei Mal im Titel trägt (Englisch ist das nämlich auch nicht, woher käme sonst das Genitiv-S in der Aussendung?). Aber wir wollen nicht pedantisch sein und lieber unverzüglich zur Beantwortung der titelgebenden Frage schreiten. Über der sich übrigens gerade der "Verband Filmregie" spaltet, als wäre in dieser Zeit nichts Dringenderes anzubahnen. Nein, FILM nicht braucht Quote. Nichts und niemand braucht Quote, nicht im Leben und schon gar nicht in der Kunst. Doch, eine, die aber ohne Nachsicht: die der Qualifikation, die in der Kunst im Idealfall sogar Genie heißen kann. Im Augenblick nämlich taumeln wir in die Pandemie der Ungebildeten und Unbegabten, und zwar in allen Bereichen der Kunst (vom Leben versteht unsereins in seiner Kulturverliebtheit zu wenig). Den namhaften Dirigenten Roberto Paternostro, dessen Familie mütterlicherseits in der Shoa ausgelöscht wurde, erinnert die Situation schon an Zeiten, da Mendelssohn und Mahler aus den Musikgeschichten "gecancelt" wurden (Seite 94). Heute durchkämmt die Covent Garden Opera in London das klassische Repertoire nach Unstatthaftem. Womit "Meistersinger" oder "Carmen" aus dem Repertoire zu "canceln", tunlichst durch die unmaßgebliche "Afrikanerin" von Meyerbeer zu ersetzen wären. Freilich nur, wenn eine entsprechend "diverse" Besetzung zur Verfügung stünde, denn auf eine solche soll im Umfang von mindestens 30 Prozent geachtet werden. Wie man auf diese Weise die zu Posten in der Statistik erniedrigten Frauen, Schwarzen oder Homosexuellen demütigt!

Schon macht sich die Literaturwelt verwirrt auf die Suche nach dem Schaffen des aktuellen Nobelpreisträgers. Schon gibt es in Oxford Bestrebungen, koloniale Relikte wie Mozart oder das Singen nach Noten auf die Plätze zu verweisen. Schon entschuldigen sich akademische Germanisten dafür, dass sie für ihre Leselisten aus der klassischen und der romantischen Epoche zu wenige Autorinnen aufbieten konnten. Vor einiger Zeit haben chinesische Studentinnen in England einen Literaturprofessor verklagt, weil sie durch die vorwarnungslose Lektüre von Shakespeares "Titus Andronicus" verstört worden seien. Und der Autorenvertreter Gerhard Ruiss hat kürzlich darauf aufmerksam gemacht, dass Verlage ihre Neuerscheinungen zusehends vorauseilend "triggern". Das Idiotenwort bezeichnet den niederschmetternden Vorgang, auf der Titelseite den Verlauf oder gar das Ende des Werks bekanntzumachen, um die Leserschaft vor Beschädigung zu bewahren. Hier nützt nur radikale Selbstvorsorge: Wer von Kunst nicht verstört zu werden wünscht, soll sich von ihr fernhalten, sie vor allem um keinen Preis studieren. Besser, die Person orientiert sich dann in Kulturkreise, die für ihren Umgang mit den Grundrechten geschätzt werden. Zum Beispiel nach China.

Das Problem, in einen Begriff gefasst, lautet Unbildung, kein Wunder in Zeiten beherzter Analphabetisierungskampagnen an den Schulen. Die dort an Stelle von "Faust" oder "Buddenbrooks" gelehrten Leserbriefe und Bewerbungsschreiben muss niemand "triggern". Und wissen Sie auf Anhieb, wer der jeweilige Kultursprecher der einst staatstragenden Parteien ist? Die emeritierte Ballprinzessin Großbauer (ÖVP) ist Ihnen vielleicht als Jokus in Erinnerung. Und von Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) las man kürzlich, wieder per Aussendung, den folgenden Rätselsatz: "Die Salzburger Festspiele gehören zur wichtigsten Kulturinstitution Österreichs." Welches dadaistische Pendant soll man der immerhin lang praktizierenden Hauptschullehrerin da entgegensetzen? Eventuell "Heinisch und Hosek gehören zum schlechtesten Unterrichtsminister der Zweiten Republik"? Was sich nicht einmal bestreiten lässt.

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