"Frau Netrebko verkörpert den Brückenschlag ..."

Wie aus einer unterwürfigen Interview-Anfrage eine gehässige Kampagne gegen die führende Sopranistin unserer Zeit wurde. Und wer Fabian Bremer ist

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Darf ich Sie einmal konsultierend zu Rate ziehen? Wie, so wüsste ich gern, verfährt man mit Randalierern in den Banlieus meines Berufs? Leuten, die ins professionelle Zentrum der Branche keinen Zutritt finden und sich daher lärmend Aufmerksamkeit verschaffen müssen, um mit Glück die Leitung einer Podiumsdiskussion oder eine Expertise im Regionalradio abzustauben? Den Krawall stiften sie gern über "Blogs", und speziell einer wird mit Lynchaufrufen gegen russische Künstler - namentlich Netrebko, Gergiev und Currentzis - auffällig. Da Genanntwerden hier das Geschäftsmodell ist, habe ich den Mann bisher möglichst ignoriert. Leider ist dem geschätzten Franz Welser-Möst vor eineinhalb Jahren ein fataler Fehler unterlaufen, indem er ihm die Endfertigung seiner Memoiren anvertraut und ihm damit den Zugang zum Verfassungsbogen einen Spalt geöffnet hat.

Die Folgen zeigen sich jetzt: Das in St. Petersburg ansässige, vom griechischen Dirigenten Teodor Currentzis geleitete Weltorchester MusicAeterna wollte unter persönlichen Risiken in Wien ein Benefizkonzert für die Ukraine geben. Dazu kam es nicht, und den kaum glaublichen Grund belegen Gesprächsprotokolle: Funktionäre des begünstigten Internationalen Roten Kreuzes in Genf ließen das Wiener Konzerthaus wissen, sie seien von einem berühmten Journalisten angerufen und des "Whitewashings" russischen Schandgeldes beschuldigt worden. Die überforderten Schweizer kannten vermutlich von keinem der Beteiligten auch nur den Namen, aber die Sache gibt doch zu denken. Zumal die Freizeitzelebrität mittlerweile jeden beschimpft, der die genannten Künstler beschäftigt, unter ihnen die Salzburger Festspiele und die Wiener Staatsoper. Zuletzt hat er sogar angeboten, Gleichgesinnte als Krawalltouristiker zur Hamburger Laeiszhalle zu führen.

Nun habe ich gegen den Mann Greifbares in der Hand, will ihm aber durch Nennung seines Namens keine Kundschaft zutreiben. Also heißt er im Folgenden Fabian Bremer: Unter diesem Decknamen hat er 2006 haltlose Gerüchte über einen Aufstand der Berliner Philharmoniker gegen den damaligen Chefdirigenten Simon Rattle in die Welt befördert. Seit seinem Auffliegen ist er aus mehreren professionellen Medien abgemeldet.

Beginnen wir am 2. Februar 2022, der kein guter Tag für die Welt war. Drei Tage zuvor war der UN-Sicherheitsrat zusammengetreten, da an der Grenze zur Ukraine 100.000 russische Soldaten mit schwerem Gerät stationiert wurden. Die Perspektive des Weltkriegs wurde vorstellbar. An eben diesem bangen 2. Februar empfing Anna Netrebkos Managerin Judith Neuhoff eine Mail-Nachricht der Firma Kick-Film. Eine Conny Schwarz ersuchte da in offenbarem Auftrag des "renommierten Musikjournalisten und Filmemachers Fabian Bremer (im Text steht klarerweise der richtige Name, Anm.)" unterwürfig um ein Interview für eine Fernsehdokumentation. Ich darf zitieren? "Anna Netrebko ist nicht nur eine der herausragendsten Sopranistinnen unserer Zeit, sondern darüberhinaus verkörpert sie natürlich auch den Brückenschlag zwischen Wien und St. Petersburg geradezu idealtypisch."

Die Antwort gestaltete sich möglicherweise etwas zu knapp: Man danke für die Anfrage, Frau Netrebko sei aber unabkömmlich. Wenig später marschierten die Russen in der Ukraine ein, und der "renommierte Musikjournalist" begann seine bis dato vorhaltende Kampagne gegen die idealtypische Brückenschlägerin. "Ich will euch nicht mehr hören", gab er in einem Online-Medium zu verstehen. Netrebkos Nähe zu Putin müsse jedem seit langem bekannt sein, habe sie sich doch anlässlich der Annexion der Krim anno 2014 unstatthaft verhalten und gar im September 2021 den 50. Geburtstag im Kreml gefeiert. Putin war dort zwar nicht anwesend, und dass ein Land seine bedeutendste Künstlerin anlässlich ihres Wiegenfestes ehrt, sollte nicht überraschen. Auch wollen wir Bremers Blitzläuterung in Zweiundzwanzigtagefrist nicht anzweifeln, es sei denn, er wolle sich auf lange Unkenntnis des Netrebko'schen Handels und Wandels der vergangenen acht Jahre berufen.

Aber wenn Sie wissen wollen, ob ich beim erleuchtungstechnisch vom Pferd geschleuderten Saulus der semiprofessionellen Musikpublizistik rückgefragt habe: Habe ich nicht. So wenig wie er bei den beflegelten Künstlern und Journalisten. Oder bei Staatsoperndirektor Roscic und Bankdirektor Treichl, denen er haltlos unterstellte, sie wären am Tag des Kriegsausbruchs zu einem Geburtstagsfest nach Russland gereist. Mehr in der nächsten Woche.

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