Rassismus in sich erkennen - und entlernen

Wie man unbewussten Rassismus und weiße Privilegien erkennt und seine Denkmuster ändern kann

Sind Sie ein Rassist? Diese Frage werden wohl die allermeisten mit einem klaren wie wohl auch etwas verärgerten „Nein!“ beantworten. Doch stimmt das wirklich? Unterbewusster Rassismus schlummert wohl in einem Großteil der Bevölkerung, wie Layla F. Saad in ihrem Buch „Me and White Supremacy“ darlegt. Und die Autorin und Aktivistin hilft dabei, diesen zu erkennen – sowie aktiv zu entlernen.

von Rassismus © Bild: iStockphoto/Mari

Man kann sich seine Hautfarbe nicht aussuchen, aber man kann aktiv entscheiden, wie man sich damit verhält. Layla F. Saad, Autorin, Dozentin und Aktivistin bietet mit ihrem Buch eine Anleitung dafür, rassistischen Verhaltensweisen und Denkmuster aktiv zu entlernen. Das Buch ist als 28-Tage-Challenge aufgebaut, stellt dabei viele unbequeme Fragen und hilft, die eigenen Privilegien kritisch zu reflektieren. Dabei benennt Saad schonungslos und deutlich, wie oft man sich tatsächlich zu Komplizen des Rassismus macht. Schritt für Schritt lernt man dabei zunächst, die eigenen Handlungen und Denkweisen zu hinterfragen und diese in einem weiteren Schritt auch ändern zu können. Hier ein paar Einblicke:

»Das weiße Privileg beschreibt Vorteile, die du dir nicht erarbeiten musst, sondern die dir ganz einfach zufallen, weil du weiß bist«

Das weiße Privileg

Das weiße Privileg fällt allen weißen Menschen zu, oft ohne, dass diesen das bewusst ist. „Das weiße Privileg beschreibt Vorteile, die du dir nicht erarbeiten musst, sondern die dir ganz einfach zufallen, weil du weiß bist oder als weiß durchgehst“, schreibt Saad. Diese Privilegien äußern sich etwa, wenn folgende Punkte zutreffen:

  • Ich gehe in einen Buchladen und finde dort die Werke von Menschen meiner Hautfarbe, ich gehe in einen Supermarkt und finde die Lebensmittel meiner Kultur, ich gehe zum Friseur und werde dort von jemandem bedient, der mit meinen Haaren umgehen kann.
  • Ich musste meinen Kindern nicht klarmachen, dass es systemischen Rassismus gibt, um sie im Alltag vor möglichen Folgen zu schützen.
  • Wenn mich ein Polizist anhält oder wenn das Finanzamt meine Steuererklärung prüft, dann kann ich mir sicher sein, dass ich nicht aufgrund meiner Hautfarbe herausgegriffen werde.
  • Wenn ich einen schlechten Tag oder eine schlechte Phase habe, dann muss ich mich nicht fragen, ob meine negativen Erfahrungen in Zusammenhang mit meiner Hautfarbe stehen könnten.

Um überhaupt etwas an unterbewusstem Rassismus ändern zu können, ist es notwendig, zunächst einmal die Ideologie der weißen Überlegenheit zu verstehen und genau darunter fällt dieses „weiße Privileg“, also dass weiße Menschen von ihrer Hautfarbe – wenn auch unwissentlich – profitieren und Menschen, die nicht weiß sind, diese Vorteile wiederum nicht haben.

„Menschen, die das weiße Privileg genießen, wollen das oft nicht wahrhaben, weil es ihnen ein Gefühl des Unbehagens, der Scham und der Frustration verursacht. Aber wenn wir die Augen davor verschließen, verschwindet es nicht“, schreibt Saad und plädiert dafür, sich damit auseinanderzusetzen – und zu überlegen, wo man selbst überall diese Privilegien genießt.

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Weiße Empfindlichkeit

Aufgrund des weißen Privilegs müssen sich Weiße nicht mit Ursachen und Auswirkungen von Rassismus auseinandersetzen. Deshalb ist man nicht darauf vorbereitet, mit dem Unbehagen umzugehen, das das Thema weckt. Die Folge davon ist wiederum weiße Empfindlichkeit. Diese äußert sich etwa in einer wütenden Reaktion oder Abwehrhaltung, weil man glaubt, an den Pranger gestellt zu werden.
„Die weiße Empfindlichkeit erweckt im Grunde also den Eindruck, ein Mensch weißer Hautfarbe sei das Opfer“, fasst es Saad zusammen.

Es geht einem also eher darum, sich selbst zu verteidigen, statt sich zu öffnen und zu verstehen. Kann man jedoch nicht über Rassismus und die eigene unabsichtliche Komplizenschaft sprechen, wird man nie über ein oberflächliches Verständnis des Rassismus hinauskommen.

Um sich selbst mit der weißen Empfindlichkeit zu konfrontieren, empfiehlt Saad sich unter anderem folgende Fragen zu stellen:

  • Wie äußert sich deine weiße Empfindlichkeit in Gesprächen über Rassismus? Fliehst du? Erstarrst du? Oder wehrst du dich?
  • Wie fühlst du dich, wenn du das Wort »Weiße« hörst? Fühlst du dich unwohl?

Das weiße Schweigen

Das weiße Schweigen geht noch einen Schritt weiter als die Empfindlichkeit, denn es bedeutet, dass Menschen mit weißem Privileg zu Rassismus einfach schweigen – und sich damit zu Komplizen machen. Das äußert sich etwa darin, dass man schweigt, das Thema wechselt oder einfach geht, wenn jemand einen rassistischen Witz macht.

Erneut schützt man sich selbst, den Menschen mit dem weißen Privileg, davor, sich mit dem Leid auseinanderzusetzen, das die Ideologie der weißen Überlegenheit anrichtet.

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"Möchte ich zum Thema Rassismus etwas sagen? Eigentlich nicht." [Ein Gastkommentar.]
Zivilcourage: Was tun gegen Rassismus im Alltag?

Die weiße Ausnahme

„Ich fühle mich nicht angesprochen, ich habe Obama gewählt.“ „Ich fühle mich nicht angesprochen, ich habe Schwarze im Freundeskreis.“ Solche und ähnliche Aussagen fallen oft, um sich jeglicher Rassismus-Vorwurf zu entledigen.

„Die weiße Ausnahme ist die Vorstellung, dass du als Mensch mit weißem Privileg von den Auswirkungen, Vorteilen und Konditionierungen der weißen Überlegenheit ausgenommen bist und daher nichts tun musst“, schreibt Saad.

Doch Weiße, so Saad, genießen einfach unverdiente Privilegien, ob sie es wollen oder nicht.

Alle genannten Punkte definieren nicht, ob jemand ein Rassist ist oder nicht, sondern dienen zur Bewusstseinsschaffung, dass weiße Menschen privilegiert sind und sich die weiße Überlegenheit aus vielschichtigen Verhaltensweisen und Überzeugungen zusammensetzt.

Farbenblindheit

Die Tatsache, dass meint, keine Hautfarben zu sehen bzw. dabei keine Unterschiede zu machen, klingt laut Saad zwar zunächst gut, sei aber eigentlich nur ein „Zaubertrick, mit dem sich Menschen mit weißem Privileg von ihrer Mitwirkung an der weißen Überlegenheit freisprechen.“

Rassistische Stereotype

„Latinos sind Machos.“ Ein Satz, der ein Vorurteil sowie falsch ist. Doch auch wenn man solch rassistische Stereotype weder glauben geschweige denn aussprechen würde, so leben sie doch in den meisten Menschen. Und „so albern das klingen mag: Rassistische Stereotype führen ein Eigenleben in deinem Inneren als subtile, gefährliche und scheinbar logische Rechtfertigungen für den Rassismus“, analysiert Saad.

Um sich seiner eigenen Stereotype bewusst zu werden, stellt Saad dem/der LeserIn die Aufgabe über Gruppen wie zum Beispiel:

  • Asiaten
  • Indigene
  • Araber
  • Menschen gemischter Herkunft

zu reflektieren und sich die rassistischen Klischees gegenüber dieser Gruppen anzusehen. Dabei setzt sich jede Gruppe aus Menschen aus vielen Ländern zusammen, die wiederum eine eigene Geschichte haben. Es gilt, bei der Reflexion auch das Bedürfnis zu beobachten, eine Gruppe als homogen zu betrachten, denn ein Ziel der weißen Überlegenheit sei es eben, alle Nichtweißen zu einer Gruppe zusammenzufassen, um sie zu beherrschen und auszugrenzen. Die Frage, die sich jeder Mensch also stellen kann: „Welche stereotypen Bilder hast du von Menschen unterschiedlicher Herkunft? Inwiefern scherst du alle über einen Kamm, statt sie als komplexe Individuen zu sehen?“

»Richtet man trotz bester Absichten vielleicht sogar mehr Schaden als Nutzen an?«

Solidarität?

Wie solidarisch ist man wirklich? Oder richtet man trotz bester Absichten vielleicht sogar mehr Schaden als Nutzen an?

In Punkto Solidarität gibt es natürlich Abstufungen. So gibt es etwa die „weiße Apathie“, Saad beschreibt sie als "die Entscheidung, in der behaglichen Komfortzone zu bleiben, die weiße Überlegenheit und Privilegiertheit schaffen.“

Neben der Apathie beschreibt Saad auch noch das sogenannte „Alibiengagement“. Hier würden rein symbolische Anstrengungen im Antirassismus-Bereich unternommen, wie ein Unternehmen, dass ein paar Angehörige von Minderheiten anstellt, um den Anspruch der Diversität zu erfüllen. Doch dies passiert nicht nur bei Unternehmen, auch Einzelpersonen verweisen auch hier gerne auf BIPoC (Black, Indigenous and People of Color) unter ihren Angehörigen, FreundInnen oder PolitikerInnen, die sie gewählt haben.

Was kann man wirklich tun? Wie kann man echte Solidarität zeigen?

Kritik

Es gilt, sich bewusst zu machen, dass man kritisiert werden wird, wenn man sich für Antirassismus einsetzt. Daher ist es wichtig, eben nicht (wie es bei Kritik an einen selbst die natürliche Reaktion ist) abwehrend zu reagieren, wenn man auf einen Fehler hingewiesen wird und in die Verteidigung zu gehen, sondern diese Kritik offen anzunehmen, vorab zu wissen, dass sie kommt und die eigenen Fehler als Lernchancen zu betrachten.

Verhältnis zu weißen Führungspositionen

Führungspositionen mit weißem Privileg tragen große Verantwortung. Ihre Stimme hat Gewicht, darum haben sie großen Einfluss darauf, wie Menschen anderer Herkunft behandelt werden. Und sie können mitgestalten. Darum ist es, so Saad, wichtig, diese Personen zu beeinflussen, Veränderungen einzufordern, nicht zu schweigen.

Auch hier kann man mithilfe folgender Fragestellungen das eigene Verhalten kritisch hinterfragen:

  • Wie reagiert man, wenn weiße Führungspersonen den Ton von BIPoC zensieren oder rassistische Stereotype verwenden?
  • Inwieweit hindert einen die Angst vor einem Verlust des Privilegs und der eigenen Annehmlichkeiten daran, weiße Führungspersonen zu kritisieren?
  • Inwieweit fragt man sich, ob weiße Führungspersonen im Umfeld ihre persönliche antirassistische Arbeit tun? Wie wichtig ist es mir selbst, dass sie über die optische Vielfalt hinausgehen?
  • Ist man selbst in einer Führungsposition: Was will man selbst am eigenen Verhalten ändern? Und wie will man es kontrollieren?

Freunde und Familie beeinflussen

Noch näher als Führungspersonen stehen einem natürlich Freunde und Familie. Doch auch hier hört man oft weg, wenn rassistische Aussagen fallen, man will "keinen Ärger machen" indem man darauf hinweist oder man tut dies so sanft, dass es nicht einmal auffällt.

Dabei wäre es so wichtig, hier einzuharken, denn aufgrund der Nähe zu diesen Personen, ist der Einfluss viel größer und man hat vielmehr die Chance, sie zu antirassistischem Engagement zu bewegen. Praktiziert man jedoch weißes Schweigen und weiße Apathie, beeinflusst man sie auch damit.

Auch hier kann man sich zusätzliche Fragen stellen, um ein klares Bild über sich selbst zu bekommen:

  • Gibt es Menschen, die man eher kritisieren kann? Woran liegt das?
  • Bleibt man mit Menschen befreundet, obwohl deren Verhalten problematisch ist und sie sich nicht ändern wollen?
  • Was hat man selbst unternommen, um FreundInnen zur gemeinsamen antirassistischen Arbeit einzuladen?
»Will man etwas ändern, ist das mit der Abgabe eines Teils des weißen Privilegs verbunden. «

Verlust des Privilegs

Nach der Lektüre von Saads Buch wird klar: Will man etwas ändern, ist das mit der Abgabe eines Teils des weißen Privilegs verbunden. Dabei geht es aber nicht darum, BIPoC zu retten und eine Stimme für diese zu sein, sondern, eigene Vorurteile und Annehmlichkeiten aufzugeben, damit andere Menschen in größerer Würde leben können.

Dies kann sich folgendermaßen äußern:

  • Selbst die Verantwortung für die eigene Antirassismusbildung übernehmen, statt von BIPoC zu erwarten, dass sie einem diese Arbeit abnehmen
  • Das Thema Hautfarbe in Gesprächen mit weißen Menschen erwähnen
  • Sich engagieren, auch wenn man kritisiert wird, erschöpft ist oder keinen Dank dafür erhält
  • Selbst weniger Raum einnehmen und anderen Menschen mehr Raum geben, um sich Gehör zu verschaffen

Wie dies in der Praxis aussehen kann, zu welchen Risiken und Opfern man bereit ist, wo man mehr Verantwortung übernimmt oder inwiefern man den weißen Blick aus dem Zentrum der Betrachtungen entfernen muss, müsse natürlich jeder für sich selbst beantworten, so Saad.