ÖBB-Haberzettl erneut unter Beschuss: Betriebsvereinbarungen ab 2004 ungültig?

Nun werden Nachforderungen und Klagen befürchtet Kritik an Haberzettl kommt auch aus dem SPÖ-Lager

Bei den ÖBB gerät nach dem Datenskandal der Gewerkschaftsboss ins Visier: Viele Betriebsvereinbarungen könnten ungültig sein.

ÖBB-Haberzettl erneut unter Beschuss: Betriebsvereinbarungen ab 2004 ungültig? © Bild: Lukas Beck

Gemeinsam Krisen bewältigen – das scheint nicht gerade das Motto bei den Österreichischen Bundesbahnen zu sein. Dort heißt es derzeit „Jeder gegen jeden“. Vor allem die Gewerkschaft hat sich mit der Anzettelung des sogenannten Datenskandals allem Anschein nach einen Bärendienst erwiesen. Nicht nur der frühere Personalchef Franz Nigl schießt gegen ÖBB-Betriebsratsboss Wilhelm Haberzettl zurück – in der Vorwoche belastete er Haberzettl mit einer Eingabe bei der Staats­anwaltschaft, wonach der Betriebsrat den Umgang mit Krankendaten mitgetragen habe, wie FORMAT exklusiv berichtete . Auch die Kritik von Aufsichtsräten wird lauter.

Ungültige Disziplinarverordnung
Jetzt ist noch eine brisante Causa aufgetaucht, wie eine E-Mail von Nigl an sämtliche Topmanager des Konzerns und an Haberzettl vom 29. September 2009 belegt. Daraus geht hervor, dass möglicherweise 22 Betriebsvereinbarungen (BV), die im Bahn-Konzern seit 2004 geschlossen wurden, ungültig sind. Der Grund: Seit damals gibt es eine neue Struktur, und der Zentralbetriebsrat braucht die Ermächtigung aller Belegschaftsvertretungen der Gruppe, um BVs abschließen zu können. Klar ist, dass dies zumindest bei der Disziplinarverordnung nicht der Fall war.

Welle von Nachforderungen befürchtet
Das kam kürzlich ans Licht: Denn ein Herr B. brachte eine Anfechtungsklage gegen seine Entlassung von den ÖBB ein und bekam heuer vom Oberlandesgericht Innsbruck Recht, weil die neue Disziplinarverordnung nicht rechtmäßig zustandegekommen sei. Betriebsrat und Gewerkschaft haben inzwischen eingeräumt, dass die erforderlichen Ermächtigungen fehlten. ÖBB-intern wird befürchtet, dass im schlimmsten Fall alle Eisenbahner, die seither entlassen – pro Jahr im Schnitt 15 Personen – oder mit einer Geldstrafe belegt wurden, jetzt klagen könnten. Auch bei der erst 2009 abgeschlossenen Dienstreise-BV fehlte zumindest die Ermächtigung eines Teilbetriebsrats der Personenverkehr AG. Durch diese neue Richt­linie benachteiligte Zugbegleiter könnten womöglich Nachforderungen stellen, wenn sie gar nicht gültig ist. Haberzettl bestreitet das. In der Übergangsphase zur neuen ÖBB-Struktur sei es zu einem Formalfehler gekommen. Derzeit würden alle Unterlagen kontrolliert. Sollten weitere Beschlüsse fehlen, werde man diese unmittelbar nachholen. Haberzettl spricht von einer Schlammschlacht gegen ihn.

SP-Kritik an Haberzettl
Tatsächlich sind weniger die angeblichen Mehrkosten das heiße Thema, sollte sich herausstellen, dass Haberzettl auch andere BVs unbefugt unterschrieben hat. Viel unangenehmer für ihn ist, dass seine Gegner jetzt seine Handschlagqualität infrage stellen und ihm Selbstherrlichkeit vorwerfen. Die Angriffe kommen nicht nur vom Erzrivalen Nigl, auch Aufsichtsräte machen gegen Haberzettl mobil. Und zwar nicht nur Kontrollore, die der ÖVP nahestehen. Auch der rote Bahn-Präsident Horst Pöchhacker oder Günther Havranek, Exaufsichtsrat der Betrieb AG, wettern gegen ihn. „Viele Kapitalvertreter sind über das Wirken des Herrn Haberzettl aufgebracht, weil er dem Konzern auch in der Öffentlichkeit schadet“, sagt ein Kontrollor, der – noch – nicht genannt werden will. Haberzettl lässt das mit Hinweis auf die Datenaffäre nicht auf sich sitzen. „Wer sich gegen Gesetzesverletzun­gen wehrt, ist der Schlechte. Wer die Gesetze mit Füßen tritt, dem hält man die Stange. So kann es doch nicht sein“, erregt er sich. Pöchhacker und andere Aufsichtsräte sollen auch wenig erfreut sein, dass ÖBB-Vorstände sich im Zuge der Daten-Vorwürfe nicht vor Nigl gestellt, sondern sich abgeputzt haben. Das wird wohl für ÖBB-Holding-Chef Peter Klugar noch Folgen haben.

Protokolle über Gehälter
Unterdessen wird weiter Stimmung gegen Haberzettl gemacht. Das zeigen auch Pro­tokolle, die in der Bahn über sein üppiges Salär kursieren: Demnach verdient er bei den ÖBB 6.647 Euro brutto abzüglich 958 Euro aufgrund seines Na­tionalratsmandats, das ihm 7.905 Euro bringt. Ergibt über 13.500 Euro. Plus Dienstwagen samt Chauffeur – und diverse Aufwandsentschädigungen. Neue Munition im ÖBB-Krieg.

Von Miriam Koch und Andreas Lampl