Medienmarkt mit Schattenmacht

Vor zehn Jahren kippte die "ZIB"-Redaktion per YouTube-Video den Personalplan des ORF-Chefs. Seitdem ist die Schattenmacht via Social Media für Journalisten wie Medienhäuser in ihrem zwiespältigen Stellenwert ständig gewachsen.

von Medien & Menschen - Medienmarkt mit Schattenmacht © Bild: Gleissfoto

Der Anlass wirkt im Nachhinein zweitrangig: Der General des ORF versuchte, einen parteipolitisch punzierten Büroleiter zu installieren, die Journalisten des Hauses wollten das nicht. Ihre Kollegen im Blätterwald empörten sich, der Herr auf dem Küniglberg blieb ungerührt. Dann nahm die "ZIB"-Redaktion ein Protestvideo auf, teilte es via Social Media, und im Nu war der Plan des Chefs vereitelt.

Alexander Wrabetz und sein verhinderter Adlatus Niko Pelinka tun mittlerweile nichts mehr zur ORF-Sache. Doch das 2012 in Heimarbeit gefertigte Filmchen bleibt ein Meilenstein der Neuverteilung von Macht durch digitale Kommunikation. Der Zwergenaufstand via YouTube, Facebook und Twitter gegen die Leitung des Marktführers bei Fernsehen, Radio und Internet war ein Prototyp dieser Veränderung. Ausgerechnet am zehnten Jahrestag dieser Aktion vom 16. Jänner geriet das Vorbild aller öffentlich-rechtlichen Medien, die BBC, unter den bisher heftigsten Beschuss der britischen Regierung von Premierminister Boris Johnson. Er will 2027 die Rundfunkgebühren abschaffen. Sie sind ein Großteil des Budgets - wie beim ORF. Für ihn wurden sie soeben um acht Prozent erhöht. Es gab kaum Protest. Vor allem Letzteres ist bemerkenswert. Es hat viel mit Social Media und den Journalisten des ORF zu tun. Sie sind Österreichs mächtigste Stimmungsmacher in den digitalen Netzwerken. Schon im Jänner 2012 hatte Armin Wolf mit 35.000 die größte Gefolgschaft auf Austro-Twitter. Mittlerweile sind es 530.000. Von den neun hiesigen Journalisten mit sechsstelliger Follower-Zahl arbeiten sechs im ORF. Das entspricht seiner sonstigen Dominanz, verstärkt sie aber über die trimediale Marktführerschaft hinaus. Die Social-Media-Präsenz garantiert einerseits überproportionales internes Gewicht - siehe Protestvideo von 2012 -, ist aber auch ein Bollwerk kontra eine allfällige Gegenöffentlichkeit zum ORF.

Lediglich die FPÖ hat bis zur Deaktivierung des Accounts von Heinz-Christian Strache versucht, den öffentlich-rechtlichen Marktführer via Facebook sturmreif für die Gebührenabschaffung zu schießen. Eine Stimmung wie in der Schweiz, wo das der SRG bis zur sie erlösenden Volksabstimmung drohte, wurde aber nie erreicht. Wäre es in Österreich so weit gekommen, hätten allein schon die vereinten Accounts der ORF-Journalisten den Stimmungsumschwung zugunsten ihres Hauses bewirken können.

Außer Pionier Wolf haben sie dabei nicht viel mehr richtig gemacht als andere, sondern vor allem die Ping-Pong-Chance mit Österreichs weitaus größtem Medienhaus genutzt. Ansonsten läge Corinna Milborn (aktuell 150.00 Follower auf Twitter) von Puls 4 wohl noch weiter vorn. Dass im Gegenzug die Social-Media- Popularität der diversen Anchor(wo)men auch den Sendern nutzt, beweisen deutlich die schon vor Ibiza und Corona wieder gewachsenen Marktanteile und Reichweiten der "ZIB 2". Wie umgekehrt Twitter-und Facebook-Gefolgschaft ein herkömmliches Medium stärken können, zeigt unterdessen am besten Florian Klenk mit dem "Falter". Mit 320.000 Followern ist er die journalistische Nummer zwei auf Twitter, die Wochenzeitung hat heute 2,5 Mal so viele Leser wie noch 2012.

Aus dieser Perspektive sollte Tim Davie nochmals überdenken, was er 2020 beim Einstand als BBC-Chef postuliert hat: "Wenn Sie (...) in den sozialen Medien eine Kampagne führen möchten, ist das legitim, aber dann sollten Sie nicht bei der BBC arbeiten." Seine Vorgabe, der Sender müsse sich "dringend für Unparteilichkeit einsetzen", wurde von der Regierung nicht belohnt. Dass "in Zeiten von Fake News, Social-Media-Kampagnen, Meinungsblasen und lauter parteiischen Medien ( ) unsere Stunde" schlägt, hat sich nicht bewahrheitet. Die BBC könnte heute gut einen Feldzug in eigener Sache via Facebook, Instagram, TikTok und Twitter gebrauchen. Herkömmliche Medien sollen sich diesen Netzwerken nicht unterordnen, aber sie müssen deren Möglichkeiten nutzen. Dafür gibt es noch keinen besseren Weg als die eigenen Journalisten.