Unabhängigkeit ist eine Frage der Person

Vor der Bestellung von Roland Weißmann zum nächsten Chef des ORF wurde befürchtet, dass unter ihm die journalistische Unabhängigkeit leiden könne. Schon am Abend nach der Wahl machte Armin Wolf klar, wie dies nicht geschehen wird

von Medien und Menschen - Unabhängigkeit ist eine Frage der Person © Bild: Gleissfoto

Mangelnder Mut ist Roland Weißmann kaum vorzuwerfen. Das gilt im Großen wie im Kleinen: Er traut sich die Führung des ORF zu und stellte sich gleich nach seiner Wahl Armin Wolf zum Interview. Medienhistorisch bleibt von dieser "ZiB 2" allerdings vor allem ein Schweigen übrig. Der künftige Generaldirektor zögerte fünf Sekunden mit der Antwort, was er besser könne als sein Vorgänger Alexander Wrabetz - um dann zu sagen: "Das ist jetzt nicht die Frage " Angesichts dieser gemäß Fernsehstandards ewigkeitsnahen Pause ging die inhaltlich bedeutsamere Sprachlosigkeit unter. Sie dauerte auch immerhin drei Sekunden, nachdem Wolf zu Weißmanns Beteuerung der redaktionellen Weisungsfreiheit eingeworfen hatte: "Aber die Chefredakteure werden Sie einsetzen."

Dieses Match zwischen dem formal mächtigsten und dem für die öffentliche Meinung wichtigsten Vertreter des ORF war eine doppelte Standortbestimmung. Denn Wolf als Galionsfigur des öffentlich-rechtlichen Journalismus zerstreute alle Sorgen um dessen Unabhängigkeit, die infolge der hausüblich parteipolitischen Bestellung Weißmanns seit Wochen angefacht wurden. Die Befragung seines allzu großer Regierungsnähe verdächtigten Chefs war so konfrontativ, wie der Interviewer Politiker in die Mangel nimmt. Auch in "#doublecheck", dem Medienmagazin von Ö1, beobachteten Stefan Kappacher und Co. die interne Veränderung ähnlich kritisch wie die Entwicklungen bei anderen Unternehmen der Branche. Und Redakteurssprecher Dieter Bornemann gab dazu die souveränen Antworten. Dass Weißmann betont, er werde die Unabhängigkeit der Redaktionen verteidigen und politischen Interventionen nicht nachgeben, liegt weniger an der Außendarstellung des Hauses als an der Innenwirkung seines Chefs. Die Widerstandsfähigkeit der Journalisten des ORF ist so manifest wie das Misstrauen gegenüber dem Neuen. Es liegt an ihm, die Vorschusszweifel zu zerstreuen. Dazu will er an seinen Taten gemessen werden. Das ist klug. Denn für Interviews gebührt ihm kein gutes Zeugnis. Da wird zwar das Bild vom Boxer und Marathonläufer bemüht, aber ein Möchtegern-Schulmeister vergessen, der bei Wolf durchblitzte. Als dieser von der kommenden Erhöhung der Rundfunkgebühr sprach, korrigierte Weißmann: "Es heißt vom Gesetzeslaut her Anpassung." Beides ist falsch, aber der Journalist liegt faktisch näher als der Manager. Denn im Gesetz steht "Neufestlegung". Das bedeutete bisher immer eine Erhöhung, die im Wort "Anpassung" allerdings nicht transparent wird.

Solch verschleiernde Bezeichnungen sind eine Domäne der Politik, ihre Entlarvung ist die Aufgabe von Journalismus. Seine Unabhängigkeit hängt mehr an Personen als an Strukturen. Solche vermögen die Arbeit zwar schier unerträglich zu gestalten, aber je exponierter ein Journalist, desto besser kann er sich dagegen wehren. Wolf weiß das. Weißmann ahnt es. Die Unabhängigkeit der Information aus dem ORF ist so lange nicht gefährdet, wie glaubwürdige Persönlichkeiten sie verkörpern.

Dennoch war es kein Sturm im Wasserglas. Der ORF ist in Gefahr. Wrabetz hat in 15 Jahren zu wenig Druck erzeugt, um ihn über ein neues Gesetz zu sichern. Um den digitalen Rückstand aufzuholen, benötigt er umgehend mehr Bewegungsfreiheit. Im Gegenzug muss er sich von lieb gewonnenen Gewohnheiten trennen. Ansonsten raubt eine öffentlich finanzierte eierlegende Wollmilchsau Österreichs privatem Medienmarkt die Grundlage. Wenn ihnen der ORF so am Herzen liegt, wie sie behaupten, müssen der Noch-und der Bald-Chef jetzt gemeinsam massiv ein entsprechendes Gesetz fordern. Es ist wichtiger als der noch von Wrabetz zu stellende Antrag zur GIS-Erhöhung und der schon von Weißmann zu tätigende Vorschlag für die nächsten Direktoren. Dass ein solches Gesetz die beschämende Zusammensetzung des Stiftungsrats und dadurch das unsägliche Ritual der Wahl zum General beendet, sollte Ehrensache sein, ist aber Parteiangelegenheit und deshalb ungewiss.

Kommentare