Die Saat von Silvio Berlusconi

Silvio Berlusconi war ein globaler Vorreiter von der Telekratie bis zur Postdemokratie. Seine Ballung von Politik- und Medienmacht ist der heimliche Traum auch etablierter Parteien. Social Media ermöglichen diesen zerstörerischen Drang mehr denn je

von Medien & Menschen - Die Saat von Silvio Berlusconi © Bild: Gleissfoto

Nein, es ist nicht "Das Ende einer Ära", wie "La Repubblica" zum Tode von Silvio Berlusconi titelte. Diese Perspektive gilt höchstens für die römische Tageszeitung und ihre dreißigjährige Konfrontation mit dem Mailänder Gottseibeiuns der italienischen Mediendemokratie. Ansonsten ist es bloß das Ende eines Pioniers von längst exportierten Missständen. Stefan Wallisch, der aus Niederösterreich stammende Büroleiter der Presseagentur ANSA in Bozen und Trient, hat 1997 vom "Aufstieg und Fall der Telekratie" geschrieben. Auch das war ein zu optimistisch gewählter Buchtitel nach dem raschen Aus der ersten Periode von Berlusconi als Ministerpräsident. Dass diesen acht Monaten noch drei weitere Amtszeiten mit mehr als acht Jahren folgen sollten, ahnte damals kaum jemand.

Es ist kein Zufall, dass Colin Crouch seine Thesen zur "Postdemokratie" rund um das Comeback von Berlusconi veröffentlichte. Dessen erste Regierung hatte der britische Politikwissenschaftler und Soziologe noch als Lehrender am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz erlebt. Es ist ebenso kein Zufall, dass 2021 "Postdemokratie revisited" erschienen ist. Denn der Essay hält einer Überprüfung nach zwei Jahrzehnten stand. Mittlerweile sind die düsteren Analysen und Prognosen von Crouch global Wirklichkeit. Er beklagt darin, wie sehr PR-Experten mit ihrer Themenauswahl die öffentliche Debatte beherrschen, während die reale Politik hinter verschlossenen Türen gemacht wird. Das Wechselspiel von Regierung und Medien spielt eine zentrale Rolle in dieser Telekratie.

Berlusconi hat kommunikativ für vieles das Vorbild geliefert, was von Sebastian Kurz bis Donald Trump mit neuen technologischen Möglichkeiten nachvollzogen wurde. Der Italiener benötigte noch die eigene Fernsehhausmacht - erst seiner Privatsender, als Regierungschef auch mit Einfluss auf die öffentlich-rechtliche RAI. Seine unbewussten bis uneingestandenen Epigonen kommen infolge Social Media auch ohne solchen Unternehmensbesitz aus. Dass es von den amerikanischen Koch-Brüdern bis zu Österreichs Dietrich Mateschitz bei politisch rechts stehenden Superreichen schick geworden ist, sich Medienhäuser zuzulegen, fördert ohnehin das Wuchern von Telekratie und Postdemokratie. Crouch hingegen hoffte noch 2013 auf ein Ende des Neoliberalismus mit Hilfe der Sozialdemokratie.

Zehn Jahre später wirkt es so, als ob parteiübergreifend der Vorrang von Kommunikation gegenüber dem Inhalt geradezu widerstandslos hingenommen wird. Eine daraus abgeleitete, nur oberflächliche Neudefinition des politischen Handwerks ignoriert allerdings, was am Anfang von Berlusconis Aufstieg stand: der selbstverschuldete Zusammenbruch des alten Parteiensystems und die Zurückdrängung des öffentlich-rechtlichen Mediums. Beides ist in Österreich noch nicht der Fall. Doch die Anzeichen, dass dies weder Dystopie noch Utopie bleiben muss, häufen sich. Wer die Kommunikationsgebarung rechtspopulistischer Mitbewerber übernimmt, schaufelt sich sein eigenes Grab.

Dazu gehört auch das Verhältnis zur Europäischen Union. Im Gegensatz zu ansonsten verwandten Parteien wie FPÖ, AfD oder Rassemblement National trimmte Putin-Freund Berlusconi seine Forza Italia - wie die ÖVP ein Mitglied der EVP - auf Pro-EU-Kurs. Als offensichtlicher Grund dafür wirkt die Ausrichtung seines Familienunternehmens Media For Europe, das einen kontinentalen Fernsehsender plant. Es ist bei ProSiebenSat.1, dem Konzern hinter Puls 4 und ATV, bereits der stärkste Gesellschafter. Ein weniger augenscheinlicher Aspekt liegt in der Spekulation, dass die Rechte nach den EU-Wahlen 2024 ohnehin tonangebend wird. Je weniger die anderen aus der Biografie des Mannes lernen, der 2022 noch Europaparlamentarier war, desto wahrscheinlicher ist eine solche Zukunft. Wenn der Tod Berlusconis wirklich "Das Ende einer Ära" sein soll, benötigt es vor allem die strikte Trennung von Politik- und Medienmacht. Das beginnt nicht erst mit einem Mandat und gilt auch für die Heimat von Dietrich Mateschitz' Servus TV und des indirekten "Krone"-Gesellschafters René Benko.