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Dauerstillstand? Schockstarre? Die Sorge vor einer taumelnden deutschen Innenpolitik ist unbegründet. Die schaffen das schon.

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auf Anfang © Bild: News/ Matt Observe

Die "lahme Ente" und "Sesselkleberin" Angela Merkel hat es verbockt. Mal wieder. Was hat das vermeintlich seit Jahren so arg gebeutelte Deutschland (Vollbeschäftigung, zehn Jahre Wirtschaftswachstum in Folge – aber das nur so nebenbei) der dienstältesten Regierungschefin in der EU (und der beliebtesten Politikerin in Deutschland) nicht alles zu "verdanken": Stillstand, ein "Wir schaffen das" und noch mehr "Weiter so".

Und jetzt vergeigt Merkel in Folge ihres halben Rücktritts auch noch ihre Nachfolge und damit den von langer Hand geplanten Abgang von der Politikbühne. Und überhaupt: Was erlaubt sich Deutschland? Jetzt, wo in der EU große Brocken aus dem Weg geräumt werden müssen und die Deutschen im zweiten Halbjahr den EU-Vorsitz (mit einem EU-China- und EU-Afrika-Gipfel als weiteren Großereignissen) innehaben. Fragen drängen sich auf – etwa: "Wie lange kann sich Deutschland den Dauerstillstand noch leisten?" Kurzum: Die tagespolitische Erregungskultur bekam in dieser Woche Schnappatmung. Jetzt also bitte hurtig einen Neuanfang. Ein bisschen mehr Elan, neue Ideen und Impulse, neue Köpfe. Sonst müssten womöglich andere ein bisschen mehr in die Gänge kommen, etwa jene, die sich in der Vergangenheit immer darüber aufgeregt haben, dass die EU nicht nur aus Deutschland besteht ...

Aber in Wahrheit ist die Sorge um ein Deutschland in Schockstarre unbegründet. Merkel wird "ihrer" Ratspräsidentschaft ihren Stempel aufdrücken. Auch eine monatelange Suche nach einer neuen Führungsspitze wie bei der SPD wird es nicht geben. Bis zum Sommer soll der Kanzlerkandidat der Union gekürt werden; im Dezember wird dieser auch den Parteivorsitz übernehmen. Soweit der theoretische Zeitplan. In der Praxis wird es wohl schneller gehen. Nachfolger für Annegret Kramp-Karrenbauer stehen längst bereit. Noch nobel zurückhaltend, aber nicht dementierend: Armin Laschet, Friedrich Merz, Jens Spahn. Keiner von ihnen wird unter einer Merkel arbeiten wollen, sondern vielmehr den Ton angeben wollen. Also vorgezogene Neuwahlen, zumal die SPD angekündigt hat, dass die GroKo nur unter Merkel für sie Bestand hat? Aktuell würden sich die Grünen mit der CDU um Platz eins matchen.

Falls also noch wer mit Sebastian Kurz wetten möchte, dass die nächste deutsche Regierung die Farben schwarz und grün trägt – nur zu. Diese Konstellation hatte übrigens schon zu einer Zeit auf dem Papier Bestand, als hierzulande noch Schwarz-Blau das Sagen hatte. Apropos: Genauso rasch wie die Nachfolgefrage muss jene über die Abgrenzung an den Rändern geklärt werden – vor allem nach rechts. Hierzulande stellte die FPÖ den Vizekanzler. In Deutschland erholt man sich gerade vom "Desaster von Thüringen", wo eine Regierung von Gnaden der rechtspopulistischen AfD und somit ein politischer Tabubruch gerade noch verhindert wurde. Skandal, Zeitenwende, Dammbruch – die Selbstkorrektur-Mechanismen haben funktioniert. Jetzt muss mehr kommen als nur empörte Worte. Welches Angebot macht man Protestwählern? Wie gewinnt man Vertrauen zurück? Nicht nur im Osten, aber hier besonders. Ein heikles Terrain, denn politische Bevormundung kommt in Bundesländern, wo man vor 30 Jahren für die Meinungsfreiheit auf die Straße gegangen ist, nicht gut an. Im Sommer 2021 wählt Sachsen-Anhalt. Stillstand also nicht erlaubt.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: gulnerits.kathrin@news.at

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