Wer hätte das auch ahnen können?

Die Pandemie ist unter Kontrolle. Bei den anderen. Nicht bei uns. Wir üben uns in Überraschtsein und versuchen es tapfer mit der "Weiter so wie bisher"-Nummer

von Leitartikel - Wer hätte das auch ahnen können? © Bild: News/ Matt Observe

Abgerechnet wird bekanntlich zum Schluss. Und auch wenn lange noch nicht Schluss ist, müssen wir zur Kenntnis nehmen: Nicht Österreich, sondern ein anderes Land ist als erstes durchs Ziel marschiert. Nicht das glückliche Österreich macht Schluss, sondern Dänemark: mit Maskentragen, Impfnachweisen, Warn-Apps und Zugangsbeschränkungen. Dank einer hohen Impfquote von über 70 Prozent und mehr als 96 Prozent Geimpften über 60 Jahre ist die Pandemie in dem 5,8 Millionen Einwohner zählenden Land unter Kontrolle und Covid-19 keine "gesellschaftskritische Krankheit" mehr.

Und bei uns so? Wir, die vermeintlich Klassenbesten, die Streber? Wir, die schon immer wussten, wie Pandemie geht, immer alles richtig gemacht und schon lange vor allen anderen gehört haben, dass die gesundheitlichen Folgen der Pandemie überwunden sind? Nun, wir sind noch mittendrin im pandemischen Schlamassel. Ausgang ungewiss. Es sei denn, wir legen rasch die richtigen Schalter um. Würde sich noch eine Million Menschen impfen lassen, könnten auch wir in überschaubaren zwei Monaten die Pandemie für beendet erklären, sagt die Virologin Dorothee von Laer. Das alleinige "Streicheln" der Ungeimpften wird für dieses Ziel freilich nicht reichen.

Zwei Monate also - die Skisaison wäre damit gerettet. Auch im laufenden Schulbetrieb wäre noch nicht alles verloren. Andererseits: Hier haben wir ja die Situation fest im Griff, sagt man zumindest. Wir testen wie die Weltmeister und reden uns tapfer ein, dass die Schulen offen bleiben. Dass kaum eine Woche nach Schulstart Kinder aus mehr als 400 Klassen (Stand Dienstagabend) bildungstechnisch auf dem Trockenen sitzen, wird als Kollateralschaden hingenommen. Zur Aufmunterung gibt es ein paar Durchhalteparolen. Aber ansonsten nicht viel. Zu versichern, dass die Schulen offen bleiben, ist das eine. Herzlich wenig dafür zu tun, das andere. Anders ist es nicht zu erklären, dass im Bildungsministerium jenseits von Spuck-und Gurgeltests offensichtlich keine Pläne in den Schubladen liegen. Pläne, wie man denn nun tut, wenn bei einem positiven Covid-Fall die Geimpften in der Klasse, die Ungeimpften aber zu Hause sitzen? Weiter im Stoff? Ein bisschen weiter im Stoff? Mit dem Stoff überhaupt anfangen? Oder doch Däumchen drehen, weil auch im dritten Schuljahr unter Pandemiebedingungen die Kinder im Digital-Wunderland Österreich mehrheitlich in die leere Bildungsröhre schauen?

Immerhin: Ein paar Tage nach (!) Schulstart hat man sich Gedanken gemacht, wie man das mit der Quarantäne wohl am besten regeln könnte. Den Rechtsanspruch auf Sonderbetreuungszeit gibt es ab Oktober. Es hat sich wohl nicht bis ins Arbeitsministerium herumgesprochen, dass die Schule schon im September startet. Genauso überraschend sickert die Erkenntnis, dass uns nach dem Sommer wie damals nochmals ein Herbst wie damals blüht. Dabei leben wir in einem Land, wo gerne erzählt wird, wie wichtig die beste Bildung für alle ist. Gar nicht wichtig, weiß man einmal mehr. Sonst würde man sich nicht auf das passive Hinterhereiern und bloße Reagieren beschränken. Bis zu den nächsten Herbstferien bleiben uns ab kommendem Montag übrigens noch 25 Schultage, bis zu den Weihnachtsferien immerhin 36, bevor 21 Schultage bis zu den Semesterferien im Kalender stehen. Wenig Zeit für viel Lernstoff und keinen Plan. Aber wird schon, oder?

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