Themenverfehlung,
bitte nachsitzen

Erst die Time-out-Klassen, jetzt die Probezeit für Junglehrer: In der Bildungspolitik drücken wir lieber die kleinen Knöpfe, statt am großen Rad zu drehen

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bitte nachsitzen © Bild: News/ Matt Observe

Der Direktor hat alles richtig gemacht -und alle anderen ziemlich viel falsch. So die (verkürzte) Version jenes Endberichts der Kommission, die die Spuckattacke an der HTL Ottakring untersucht hat. Der Direktor ist fein raus, schließlich hat er alle Probleme mit dem Lehrer dokumentiert und gemeldet. Ja, sogar eine Schulqualitätsmanagerin (was macht so jemand eigentlich genau?) war vor Ort und hat Vorschläge gemacht. Wie? Es wurde gar nicht überprüft, ob diese Vorschläge auch in der Praxis umgesetzt wurden? Das gehört offensichtlich nicht zur Jobbeschreibung eines Qualitätsmanagers. Auch der Direktor hatte wohl anderes zu tun, als nochmals genauer hinzuschauen. Ich tippe mal auf Papierkram Damit aber allen Beteiligten nicht fad und ein bisschen Aktionismus suggeriert wird, ist der Wiener Bildungsdirektor Heinrich Himmer im Zuge der HTL-Causa noch mit einem Vorschlag (den die Gewerkschaft naturgemäß und reflexartig in der Zehntelsekunde abgelehnt hat) vorgeprescht: drei Monate Probezeit für Junglehrer, um Schüler vor ungeeignetem Lehrpersonal zu schützen. Nur so nebenbei: Welche Schule bitte tut sich das an und setzt einen Lehrer im Fall des Falles mitten im Schuljahr vor die Tür? Der Ausfall (Achtung, Qualitätsmaßnahme!) kann einfach so kompensiert werden? Ja, sicher Im Zweifel lautet wohl eher die Devise: Augen zu und durch. Aber jetzt bitte Deckel drauf und weiter geht's; die Sommerferien nahen. Ganz egal, wer mit welcher Idee zu welchem Anlass auch immer um die Ecke kommt, mehr als Alibimaßnahmen sind in der heimischen Bildungspolitik offensichtlich nicht drin. Wir wissen, wie es geht. Wir schielen seit Jahrzehnten auf Länder, wo es geht - und uns fällt nichts Besseres ein als Probezeiten für Junglehrer, eine frühe Trennung von Kindern zu manifestieren, Time-out-Klassen und, ja, ich muss es an dieser Stelle wiederholen, das Sitzenbleiben in der Volksschule und Ziffernnoten ab der zweiten Klasse, damit der Siebenjährige weiß, was die Stunde geschlagen hat. Wir drücken kleine Knöpfe, weil uns für die großen Räder offensichtlich die Muskelkraft oder einfach nur der Wille fehlt. Wir könnten auf die wissenschaftliche Forschung hören -oder mal zur Abwechslung nur den Hausverstand einschalten: Es braucht mehr Sozialarbeiter und Psychologen, Coaching für Lehrer und kreativere Ansätze, als nur auf "Bulimielernen"(Wissen in sich reinstopfen und dann auf Kommando ausspucken) zu setzen. Es braucht mehr als nur das Plus, Minus oder die Welle unter einer Stundenwiederholung oder die Note für Schularbeiten.

Es braucht Zeit für Feedback und Nachfragen statt der Devise: weiter im Stoff. Ja, ich weiß schon, es gilt, vier Monate unterrichtsfreie Zeit zu kompensieren. Und ja, das ist wieder eine andere Geschichte Es braucht Geld für Standorte, die wir gern mit hochgezogener Augenbraue als "Brennpunktschulen" abtun, und mehr Autonomie für Direktoren. Vor allem aber braucht es Chancen und Fairness (naiv, oder?), Wertschätzung und Respekt statt Abgrenzung, Stimmungsmache und des Befeuerns von Vorurteilen. Denn spätestens bei der nächsten Pisa-oder Was-auch-immer-Studie rennen wir wieder hysterisch durch die Gegend und wundern uns, dass jeder fünfte 15-Jährige in diesem Land nach neun Jahren Schule nicht sinnerfassend lesen kann.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: gulnerits.kathrin@news.at

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