Genug ist noch lange nicht genug

Lustvolles Zündeln und gieriges Anbandeln hier, eine halbwegs solide Brandmauer dort: über den Umgang von ÖVP und CDU mit FPÖ und AfD.

von Kathrin Gulnerits © Bild: News/Matt Observe

Warum eigentlich nicht? Warum nicht einfach Nein sagen? Klar und deutlich. Aus Prinzip. Aus Überzeugung und der Haltung wegen. Aber da kam nichts. Nicht in Niederösterreich. Nichts vom Ballhausplatz. Und wo sind die anderen, die sagen: "Bis hierher und nicht weiter"? Sie sind nicht da. Jedenfalls sind sie nicht laut. Sich hinter vorgehaltener Hand "irritiert zu zeigen", reicht nicht. Nicht jetzt, wenn die letzten Hemmungen mit Blick auf den Machterhalt gefallen sind -in Niederösterreich und bei der Bundes-ÖVP, wo es seitens des Klubchefs mit Blick auf die FPÖ plötzlich heißt: "Wir können ja nicht generell eine Partei ausschließen, das bringt ja auch nichts."

Doch, es bringt etwas. Es funktioniert sogar. Dazu braucht es Rückgrat und Prinzipien. Und rote Linien. "Brandmauer", sagt CDU-Chef Friedrich Merz dazu. Er hat sie per Parteitagsbeschluss eingezogen. Diese Brandmauer bröckelt gelegentlich, etwa wenn Merz wie zuletzt die Söhne von Migranten als "kleine Paschas" bezeichnet oder wenn er ukrainische Geflüchtete in einem Atemzug mit "Sozialtourismus" nennt. Aber die Brandmauer erodiert nicht. Das Tabu der Kooperation mit der "Alternative für Deutschland", die vom Inlandsgeheimnisdienst als rechtsextremistischer Verdachtsfall unter Beobachtung steht, ist bei den Nachbarn ein demokratisches Gebot. Die eigene Machtperspektive tut dabei nichts zur Sache. Wenngleich: Aktuell liegt die AfD in Umfragen erstmals nach knapp viereinhalb Jahren mit 16 Prozent wieder vor den Grünen. Es ist eine Momentaufnahme. Nicht mehr. Nicht weniger. Vorhersagen, wonach die vor zehn Jahren gegründete Partei nach kurzer Zeit in die politische Bedeutungslosigkeit fallen würde, haben sich als falsch herausgestellt. Seit 2017 sitzt sie im Bundestag. Die Wählerschaft ist stabil. Und vor allem in Ostdeutschland zu Hause. 2024 werden hier drei neue Landtage gewählt. 2019 wurde die AfD zweitstärkste Kraft. In Thüringen steht sie aktuell auf Platz eins. Sie will endlich mitregieren. Dafür braucht es die CDU. Doch ein "Ja, ich will" gab und gibt es von dieser nicht.

»Die FPÖ entzaubert? Mitnichten. Nicht in Österreich.«

Warum? Weil es ein Tabu ist. Weil in der Folge bei der Bundes- CDU kein Stein auf dem anderen bleiben würde. Begründet wird die bewusste Ausgrenzung auch mit der zunehmenden Radikalisierung der Partei. Entgleisungen wie "Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1.000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte" sind nicht duldbare Grenzüberschreitungen. Und noch etwas disqualifiziert die AfD als bündnisfähige Partnerin: ihre Inkompetenz und das Desinteresse an funktionierender Politik. Übrig bleiben nur das Schüren von Wut, Angst und Unsicherheit. Laut einer Studie sind 75 Prozent der Meinung, dass sich die AfD nicht genug von rechtsextremen Positionen distanziere. 58 Prozent finden, dass die anderen Parteien nicht mit der AfD zusammenarbeiten sollten. Das sagt einiges über die Stabilität der deutschen Demokratie aus.

Und in Österreich? Eine Koalition von ÖVP und FPÖ ist geübte Praxis und ein theatralisch vorgetragenes "Genug ist genug" längst Geschwätz von gestern. Die FPÖ entzaubert? Mitnichten. Nicht in Österreich. Je nach Umfrage liegt sie mit 28 bis 31 Prozent vorn. Und in der (fiktiven) Kanzlerfrage ist Herbert Kickl mit Karl Nehammer gleichgezogen. Da kann man nichts machen. Oder?

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