Holpriger Kaltstart
in die Schulzukunft

Seit fünf Tagen sind alle Eltern auch Lehrer. Und erleben hautnah mit, was es heißt, in einem veralteten Schulsystem zu lernen

von Leitartikel - Holpriger Kaltstart
in die Schulzukunft
© Bild: News/ Matt Observe

Die Corona-Krisengewinner benutzen Füllfeder. Natürlich nicht die edle Variante mit der handgefertigten Feder, sondern eher das einfache Modell aus dem Regal mit den vielen anderen bunten Plastikmodellen. Das macht aber nichts, schließlich tragen die Füllfeder-Benutzer ja auch noch Zöpfe, manche eine Zahnspange oder haben gerade ziemlich viele Pickel. Sie sind mit etwa 1,3 Millionen eine ziemlich große Gruppe, und sie sitzen alle derzeit unfreiwillig zu Hause. Nicht im schicken Ledersessel, wie das Krisengewinner meistens tun, sondern ziemlich oft am Küchentisch. Ihren Arbeitsplatz, so wie sie ihn bis jetzt erlebt haben, gibt es nämlich gerade nicht. Die Schulen sind geschlossen -seit nunmehr fünf Tagen. Das heißt für die kleinen und größeren Krisengewinner: ein bisschen (viel) länger Schlafen als sonst, kein Stress, jede Menge (Bildungs-)Fernsehen, und die sonst arbeitende Mama ist auch rund um die Uhr verfügbar.

Doch Halt. Kein Stress? Stress macht die Schule gerade ganz ordentlich - nämlich Schülern, Eltern und Lehrern gleichermaßen. Stress macht weniger das Betreuungsproblem, sondern vielmehr das veraltete Schulsystem. Denn die plötzlichen Schulschließungen markieren nicht nur einen "historischen Montag" im Schulwesen, sondern bedeuten vor allem auch einen Kaltstart für viele Schulen, jetzt, wo Distance Learning angesagt ist -E-Learning trifft es nämlich leider eher weniger. Und dabei schreiben wir das Jahr 2020. Denkbar holprig fiel folglich der Kaltstart aus - viel zu oft auch mit der Ansage an die Lehrer: Überlegt euch was für E-Learning! Oder -noch ein bisschen peinlicher -kopiert ein paar Übungszettel! Die Lehrer trifft keine Schuld. Ganz im Gegenteil. Sie machen (so wie der Bildungsminister) in diesen Tagen einen guten Job -manche sogar einen richtig guten Job. Sie halten geduldig virtuell Händchen, schreiben den Volksschülern herzzerreißende Mails, teilen die Großen mit Lernstoff ein und fluten die Lernserver mit virtuellen Lernangeboten. Andere wiederum -und das liegt immer im Auge des Betrachters -machen sich das Leben leicht, wollen die Kinder nicht überfordern oder stehen offensichtlich auf den pragmatischen Ansatz: Nutzt das Schulfernsehen des ORF - und bitte lesen, lesen, lesen!

Man ist erstaunt, was plötzlich alles geht, wenn es gehen muss. Schulbuchverlage öffnen ihre Archive und schalten ihre digitalen Unterrichtsmaterialien frei. Start-ups bieten Lehrern kostenlose Onlinekurse zur Erstellung von neuem E-Learning-Content mit dem Smartphone an. Die Krise zeigt uns Schwächen auf, offeriert uns Möglichkeiten -und produziert zugleich Bildungsverlierer. Sie sind uns bekannt. Und sie sitzen jetzt genauso zu Hause am Küchentisch. Ohne Laptop. Ohne Eltern, die der Sprache mächtig sind. Keine Frage, das sind Luxusprobleme angesichts dramatischer Bilder und Zahlen aus Italien. Auch wird in ein paar Jahren niemand fragen, ob in den "Corona-Ferien" die Französische Revolution auch wirklich bis ins kleinste Detail durchgesprochen wurde. Aber nutzen wir diese außergewöhnlichen Umstände, um uns endlich neue Lernwege zu erschließen. Es wäre ein kleiner, ein erster Schritt ins digitale Schulzeitalter. Aber sicher nichts, worauf man stolz sein muss.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte! gulnerits.kathrin@news.at

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