Heiße Luft, statt voller Härte

Schönwetter-Außenpolitik in guten Zeiten beherrscht das offizielle Österreich in Perfektion. Showpolitik in schlechten Zeiten gelingt noch einen Hauch besser

von Leitartikel - Heiße Luft, statt voller Härte © Bild: News/ Matt Observe

Leid. Verzweiflung. Angst. Ohnmacht. Menschen, die sich an den Tragflächen von startenden Flugzeugen festklammern. Eltern, die ihre Kinder auf die meterhohe Brüstung zum scheinbar rettenden Flughafen heben. Frauen, die angsterfüllte Hilfe rufe über Social Media absetzen. Doch während vor den Augen der Weltöffentlichkeit Afghanistans Hauptstadt Kabul von den Taliban eingenommen wird und Menschen um ihr Leben bangen, erlauben sich Politiker im sicheren, weit entfernten Wien, zu träumen. Ungeniert zu fantasieren. Und zu planen. Abschiebeflüge von afghanischen Asylwerbern zum Beispiel, die man, "solange es geht"(und wohin und wie auch immer), durchführen will. Oder virtuelle Konferenzen, die man (mit wem auch immer) demnächst ausrichten will. Aber ja, der Innenminister dieses sicheren Landes mit den Menschen, die wie er in der Geburtenlotterie mehrheitlich ganz viel Glück hatten, sorgt sich auch ein bisschen. Freilich nicht um jene, die in einem Albtraumszenario in Afghanistan gefangen sind. Karl Nehammers größte Sorge gilt neben der Menschenrechtskonvention, die seinen Fantasien "enge Grenzen" setzt, auch den Schleppern vor Ort, die demnächst wieder "das Geschäft ihres Lebens" machen werden. Andererseits: So weit muss es ja gar nicht kommen, schließlich hat der Außenminister dieses friedlichen und privilegierten Landes den Taliban via Presseaussendung ausgerichtet, sie mögen doch bitte ihr rücksichtsloses Verhalten sofort stoppen. Das sitzt. In vielerlei Hinsicht. Die Showpolitik, die mit der Einbestellung der Botschafterin Afghanistans begonnen hat und seither von Innen-und Außenminister im Gleichklang geführt wird, ist erbärmlich. Zynisch. Abgehoben. Es wird Härte vorgegaukelt, die am Ende nur eines ist: heiße Luft der Kategorie "Koste es, was es wolle" - und seien es Menschenleben. Hauptsache, man hält bestimmte Wählergruppen damit bei Laune. Also denkt man lieber einmal mehr laut über Abschiebezentren, Schlepper und falsche Signale nach. In guten Zeiten lassen sich diese populistischen Seifenblasen - und die gab es schon immer mehr als genug - halbwegs ertragen. Doch die Zeiten sind nicht gut und verlangen nach Politikern, die gerade jetzt das emotionale Vermögen mitbringen, auf diese humanitäre Katastrophe angemessen zu reagieren. Staatsmännisch und nicht wie ein Kleinkind, das unbedingt seinen Willen durchsetzen will.

Es ist Haltung gefragt, keine blinde Loyalität -auf der christlich-sozialen wie der grünen Spielwiese gleichermaßen. Es ist der Wille gefragt, ernsthaft Debatten anzustoßen und zu erklären, wie wir mit dem Thema Flucht umgehen wollen. Jetzt und in Zukunft. Das alles wird es brauchen, wenn ab sofort und einmal mehr die westliche Solidarität auf dem Prüfstand steht. Und nicht nur die. Alle Beteiligten wissen, die "zunächst" ausgesetzten Abschiebungen (das Wort Abschiebestopp will dem Innenminister nicht über die Lippen kommen) könnten ein langer Zustand werden. Vorerst versucht man es mit der altbewährten Beruhigungspille "Hilfe vor Ort leisten". Das ist bekanntlich schon einmal schiefgelaufen und bescherte uns den schon wieder viel zitierten Satz "2015 darf sich nicht wiederholen". Ein Jahr, in dem die Zivilgesellschaft übrigens nicht nur geredet, sondern vor allem viel geleistet hat. Mehr, als so mancher Politiker leisten wollte.

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