Distanzieren,
mal wieder

Einmal mehr musste der Kanzler ausrücken, um etwas geradezurücken. Ein letztes Mal? Ansehen und Glaubwürdigkeit stehen auf dem Spiel

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mal wieder © Bild: Matt Observe/Auftrag News

Beinahe wäre es so wie immer gewesen: eine verbale Entgleisung, ein promptes Abwiegeln, eine halbherzige Entschuldigung -und natürlich kein Rücktritt. Wo würden wir da auch hinkommen in einem Land, das Weltmeister in der Kategorie "Ich trete sicher nicht zurück" ist. Und doch war diesmal alles anders. Der Braunauer FPÖ-Vizebürgermeister Christian Schilcher ist nach seinem "Stadtratten"-Gedicht zurückgetreten. Freiwillig. Unfreiwillig. Egal - und nicht der Rede wert. Die Staatsanwaltschaft prüft, ob sie ein Verfahren wegen des Verdachts auf Verhetzung einleitet. Jenseits der Landesgrenze schrieb man sich über dieses Österreich, das Migranten mit Ratten vergleicht, in den vergangenen Tagen die Finger wund. Mal wieder. Und mal wieder musste der Kanzler dieses Landes verbal ausrücken, um nicht nur ein bisschen, sondern diesmal ganz schön viel geradezurücken: Das Ganze sei "abscheulich, menschenverachtend, zutiefst rassistisch". Stimmt. Und jetzt? Weiter zur Tagesordnung? Oder doch lieber schon mal Vokabular sammeln, um den nächsten Einzelfall aus den Reihen des Koalitionspartners einzufangen und um sich abzugrenzen? Und wird auch noch das nächste Mal der (verbale) Schulterklopfer in Richtung Strache, der laut Kurz in der Causa "Rattengedicht" einen "klaren Schritt" gesetzt hat, reichen? Oder folgt dann schon ein dankbarer Kniefall, wenn die Grenze zum rechten Rand, zu den Ewiggestrigen noch ein bisschen deutlicher gezogen wird? Und wie glaubwürdig wird das Abgrenzen in Anbetracht der Tatsache, dass die Abstände zwischen den -nett ausgedrückt -Fehltritten immer kürzer werden? Und wie lange hält Strache diese Doppelgleisigkeit noch durch? Erste Reihe fußfrei betrachtet wirkt das schon jetzt angestrengt. Und nicht sehr glaubwürdig. Kurz will, Kurz muss die Koalition mit Strache aufrecht halten. Neuwahlen im Popularitätshoch, wie von einigen schon herbeigeschrieben? Inhaltlich ist die Übereinstimmung mit der FPÖ jedenfalls größer als mit der SPÖ. Auch bei Themen, die nicht in das Wertekorsett der ÖVP passen -Stichwort 1,50 Euro Stundenlohn für Asylwerber ("Der Innenminister geht hier abgestimmt mit uns vor", so Kurz). Das Rad zurückdrehen , wo doch gerade aus Regierungssicht so viel weitergeht? Heikel.

Andererseits: Das Bild, das derzeit vom jungen Strahlemann in der internationalen Öffentlichkeit gezeichnet wird, kann Kurz nicht egal sein. Ansehen, vor allem aber Glaubwürdigkeit stehen auf dem Spiel. Weniger komfortabel ist auch die Situation für seinen Vizekanzler. Um des Koalitionsfriedens wegen muss er sich vom rechten Rand distanzieren. Tritt er seinen Funktionären zu sehr auf die Zehen (Stichwort Identitäre) kann das aber auf Dauer für die FPÖ auch nicht gut gehen.

Seit Dienstagabend liegt freilich längst das nächste Thema auf dem Tisch. Es geht -mal wieder -um Journalisten, die nicht so spuren, wie das der ein oder andere gerne hätte. Harald Vilimsky, Spitzenkandidat der FPÖ bei der EU-Wahl, griff angesichts kritischer Fragen in die unterste seiner Schubladen: "Das ist etwas, das nicht ohne Folgen bleiben kann", drohte er in Richtung Fragesteller. Ja, Folgen für jemanden, der auf (unangenehme) Fragen keine plausiblen Antworten hat. Ein ständiges "Das ist ja pervers!" ist jedenfalls zu wenig. Nicht nur im TV-Interview. Sondern generell.

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