Kylie Minogue: "Ich
bleibe nie lange im Jammertal"

Vom Kaugummipop zum internationalen Star. Sexy, aber nie vulgär. In vier Jahrzehnten erfand sich Kylie Minogue oft und erfolgreich neu. Nur das private Glück will nicht dauerhaft gelingen. Gegen den jüngsten Liebeskummer singt sie kurz vor dem 50. Geburtstag in Countrysongs an

von Musik - Kylie Minogue: "Ich
bleibe nie lange im Jammertal" © Bild: Steve Schofield and (c) Darenote Ltd.

Die Bilder, die zu Kylie Minogue im Kopf entstehen, variieren je nach Geburtsjahrzehnt. Wer in den Achtzigerjahren pubertierte, kam an ihrem fröhlichen Kaugummipop ("I Should Be So Lucky", "The Locomotion") nicht vorbei. Privilegierte mit Zugang zum Privatfernsehen sahen sie auch in der Seifenoper "Neighbours" auf Sat.1. Die Serie, in der sie einen heranwachsenden Wildfang spielte, hatte ihr in der australischen Heimat zum Durchbruch verholfen.

Das burschikose Image streifte die 1,52 Meter zierliche Sängerin mit Ausflügen ins Dance-und Indie-Fach erfolgreich ab. Ihre Liaison mit Michael Hutchence, Sexsymbol und Sänger der Rockband INXS, sowie ein Duett mit dem poetischen Finsterling Nick Cave machten sie in den Neunzigern zum Pin-up aller, die auf der Suche nach einer Künstlerin mit Kurven und Köpfchen waren.

© AFP PHOTO/CHANNEL TEN Mit TV-Serienkollege Jason Donovan sang Minogue "Especially For You". Die beiden wurden auch privat zum Pop-Traumpaar

Dann brachte sie der Dancediscoknaller "Can't Get You Out Of My Head" 2001 mit Rekordverkäufen endgültig in die Superliga. Und ihre goldenen Hotpants aus dem Video zum Hit "Spinning Around" wurden kurz danach als Popkulturerbe verehrt. "Alle reden nur über meine Hose! Ich lasse jetzt die Hotpants statt mir Interviews geben", sagte sie damals. Es ist vielleicht diese Qualität, die Kylie Minogue auszeichnet: Der karriereorientierten Verbissenheit von Kolleginnen wie Madonna hatte sie immer Leichtigkeit und Humor voraus. Die Art, wie sie über sich lachen kann, macht sie schwer angreifbar für Kritiker. Bis heute. Sie erscheint in einer lindgrünen Satinhose, die an einen Pyjama erinnert, und in blassrosa Rüschenbluse zum Interview und hat den Kommentar zum Zirkusstyling schon parat. "Heute ist mein Regenbogentag", sagt sie.

Persönliche Krisen nutzte Minogue für Wachstum. Sie war 37, als sie an Brustkrebs erkrankte, und sagt heute, die Erfahrung habe ihre Perspektiven im positiven Sinn zurechtgerückt. Der Trennung vom 19 Jahre jüngeren Schauspieler Joshua Sasse vor einem Jahr folgte zwar ein Nervenzusammenbruch, doch kurz darauf stand Kylie Minogue im Studio und sang sich frei. Es sind ungewohnte Countryklänge, zu denen sie sich kurz vor ihrem 50. Geburtstag nochmals neu erfindet.

Sie besingen in "Dancing" die Lebenslust eines frühen Abends mit dem Ziel, die Nacht durchzutanzen. Wie oft feiern Sie solche Nächte?
Ach, ich gehe nicht oft zum Tanzen aus. Die Zeiten, als es das Ziel war, die letzte im Club zu sein, sind lange her. Das war, bevor ich 30 wurde. Damals war es leicht, sich von solchen Nächten zu erholen. Das ist heute anders. Nicht falsch verstehen: Ich tanze auch heute noch gern, aber es passiert ohne vorsätzlichen Plan. Kürzlich zum Beispiel bei einer Party in Paris. Ich wollte eigentlich nach einer halben Stunden gehen. Und wer war dann zwei Stunden auf der Tanzfläche, bis die Füße wehgetan haben? Ich habe getanzt, als würde niemand zusehen, wie man so schön sagt. Herrlich!

Es gibt keine Clubtipps zum Tanzen von Kylie Minogue?
Doch, ich habe einen Tipp: Die beste Party wird es, wenn man anfängt, die Möbel zur Seite zu schieben, um tanzen zu können. Kennen Sie das? Es passiert einfach. Das habe ich oft erlebt und erst vor Kurzem nach einem Filmscreening. Da tauchte ein DJ auf, machte Musik, und plötzlich wollten alle tanzen. Wir räumten einfach ein paar Möbel aus dem Weg. Das sind die besten Nächte.

Als vor Erscheinen Ihres Albums bekannt wurde, dass Sie sich in Richtung Countrymusik entwickeln, klang das, ehrlich gesagt, seltsam. Was, um Himmels willen, hat die Poplegende Kylie mit Country am Hut?
Ich selbst war genauso überrascht! Es war eine Idee meiner Plattenfirma. Aber wissen Sie was? Ich bin furchtbar, wenn es um neue Dinge geht: Ich will alles ausprobieren. Der Gedanke hat mich nicht mehr losgelassen. Meine Sicht auf Countrymusik war sehr vom Popradio geprägt. Also oberflächlich. Dolly Parton, Willie Nelson, Glen Campbell waren Künstler, die mir einfielen. Mein einziger persönlicher Bezug war mein Stiefgroßvater. Der hörte zeitlebens Countrybands, weil er in Kentucky geboren wurde. Wir hatten den Plan, in Nashville aufzunehmen, und als ich Bekannte nach der Stadt gefragt habe, haben die derart zu strahlen begonnen, dass ich wusste, ich muss es tun.

Und wie war Nashville?
Unglaublich! Man atmet dort Musik und Musikgeschichte und gleichzeitig ist es sehr kosmopolitisch. Ich war im Bluebird Cafe und im Listening Room und habe mir Singer-Songwriter angehört. Man muss nur aufpassen, dass man nicht von jungen Mädels zertrampelt wird, die Junggesellinnenabschied feiern. Nashville ist nämlich die Hochburg der "Bachelor"-Wochenenden.

Die Marke Kylie steht doch eher für Dancepop mit Sex statt karierter Baumwollblusen und Line Dance?
Wofür steht denn Kylie Minogue wirklich? Es fällt mir selbst schwer, das in Worte zu fassen. Es gibt ein Bauchgefühl, das sagt, wenn etwas "Kylie" ist. Oder? Ich habe die Erfahrung gemacht, dass verschiedenste Menschen, die einen Song hören, übereinkommen, ob er "Kylie" ist. Man erkennt es, wenn man es hört. Es hat immer mit Pop zu tun. Einmal mehr in Richtung R 'n'B, dann mehr Synthie-Pop. Warum also nicht dieses Mal Countrypop? Ich wollte kein Countryalbum machen. Das wäre respektlos gegenüber dem Genre. Aber ich habe mir Dinge geborgt. Und diese neue Richtung ist ein Meilenstein für das neue Jahrzehnt, das vor mir liegt.

»Wenn sich 50 so anfühlt, wie schaffe ich es dann, jemals 60 zu werden?«

Sie meinen Ihren runden Geburtstag im Mai. Was sind denn die Vorteile, wenn man 50 wird?
Eine schwierige Frage. Im Lied "Golden" habe ich versucht, mein Gefühl diesbezüglich in Worte zu fassen. "Wir sind nicht alt, wir sind nicht jung, wir sind golden." Wir sind nun einmal so alt, wie wir sind, und ich mag die Idee, dass jeder Mensch auf seine Art strahlt, egal, wie alt er ist. Manchmal fühle ich mich wie 25. Und dann gibt es Tage, an denen ich denke: "Wenn sich 50 so anfühlt und das neue 40 sein soll, wie um Himmels willen wird das, wenn ich 60 bin? Wie schaffe ich es bis 60?"

Wie begegnen Sie diesen Momenten, wenn 50 sich gerade nicht so gut anfühlt?
Da gibt es den körperlichen Aspekt: Falten, Wehwehchen. Aber die mentale Komponente ist viel schwieriger auszutricksen. Meistens erachte ich meine Lebenserfahrung als Geschenk. Dann denke ich, wie gut es ist, all dieses Erlebte weitergeben zu können. Und dann erwische ich mich plötzlich beim Jammern. Das ist der Moment, in dem ich mich selbst zurechtweise: "Hey, das kann doch nicht ernsthaft dein größtes Problem sein!" Ich gehe einfach weiter in solchen Momenten, weil wir nichts an unserem Alter ändern können. Wir können nur sein, wer wir gerade sind. Im besten Fall "golden".

Das kann wiederum nur jemand mit Ihrer Lebenserfahrung singen.
Singen hätte ich es auch vorher gekonnt, aber damals hätte ich nicht gewusst, was es bedeutet. Das klingt ziemlich ironiebeladen für jemanden, dessen größter Hit "Lalala, Lalala" war. (Anm.: gemeint ist der Refrain von "Can't Get You Out Of My Head"). Ja, das Lied hat keine tiefe Bedeutung, aber es gehört auch zu mir. Und ich finde es bis heute okay, weil es Momente gibt, in denen man nicht nachdenken will, nur tanzen. All das gehört zu mir.

Sie haben die neue CD "Golden" als Rettung bezeichnet. Kurz vor Beginn der Arbeit lösten Sie Ihre Verlobung. Inwiefern hat es Ihnen geholfen, Lieder zu schreiben?
Als ich begonnen habe, an diesem Album zu arbeiten, hatte ich eine traumatische Zeit hinter mir. Es war weniger das Gefühl, ein gebrochenes Herz zu haben. Ich habe mich insgesamt ein bisschen zerbrochen gefühlt. Ich sage das ungern, weil ich nicht will, dass es unverhältnismäßig groß aufgeblasen und übertrieben dargestellt wird, aber es war, als wäre mein Nervensystem ausgeschaltet worden. Man könnte vermutlich sagen, ich hatte einen Nervenzusammenbruch. So bin ich damals ins Studio gegangen und habe begonnen, zu schreiben, um alle diese Gefühle aus meinem System rauszuschreiben.

Das war die Rettung?
Es war eine Flucht und eine Erlösung. Ich habe mit einem Songschreiber gearbeitet, der schon durch viele Täler mit mir gegangen ist. Also habe ich gewusst, ich kann alles rauslassen, ohne mich zu blamieren. Das waren natürlich zuerst nur Lieder, wie sie ein Schulmädchen ins Tagebuch schreibt. Schlecht. Zu wörtlich. Als ich mich stärker gefühlt habe, konnte ich diese Lieder mit mehr Distanz neu schreiben, ohne die Gefühle darin zu verleugnen. Es sind autobiografische Songs mit einer Portion Humor. Lieder, in denen sich viele finden können. Bei "A Lifetime To Repair" gibt es den Refrain "Sechs, fünf, vier, drei, zwei - viele Male". Da wird es Frauen geben, die dazu ihre Exfreunde abzählen und denken: "Gott, werde ich je den Richtigen finden?" Es fühlt sich richtig für mich an, ehrlich zu mir zu sein in diesem Moment meines Lebens. Diese Songs sind grundehrlich. Ich weiß, was ich singe, und ich glaube es mir selbst. Ich lasse Menschen bis zu einer gewissen Grenze in mein Leben, und der Rest ist da kommt niemand hin.

»Die Krankheit Krebs verändert dich als Mensch für immer«

Sie ziehen scharfe Grenzen, wenn es persönlich wird?
Ich kann sehr tief fallen, wie wir alle, wenn es uns schlecht geht. Aber ich bleibe nicht lange im Jammertal. Es kommt rasch der Punkt, an dem ich mir sage: "Okay, das hat also so sein müssen. Ich bin fertig damit. Jetzt marschiere ich weiter." Ich bin Single, aber ich fühle mich nicht allein.

Es ist nunmehr 13 Jahr her, dass Sie an Brustkrebs erkrankt sind. Ihr offener Umgang mit Ihrer Krankheit und Heilung gilt bis heute als Mut machendes Beispiel. Fühlen Sie sich denn geheilt?
Für mich ist es nach der Krebserkrankung noch immer so, dass mein Denken jedes Mal, wenn ich mich unwohl fühle, in die Richtung wandert, wo es fragt: "Ist da wieder was? Ich hoffe, alles ist in Ordnung ..." Das wäre vor dem Krebs nicht passiert. Früher hätte ich gedacht: "Egal, was da ist, es ist in zwei Tagen vorbei." Die Krankheit ändert deine Perspektive von Grund auf. Wenn du es durch die Krankheit geschafft hast, ist dieser Teil der Geschichte abgeschlossen. Aber als Mensch änderst du dich für immer. Ich laufe nicht voll Angst durch die Gegend, weil das Leben mich ständig beschäftigt hält. Aber wenn die Zeit des ärztlichen Check-ups kommt, ist die Angst wieder da. Das begleitet alle, die so eine Erfahrung gemacht haben. Und sie sollen wissen, dass sie damit nicht allein sind. Es ist okay.

Das Album
Auf ihrem 14. Album, "Golden", mischt Minogue den für sie typischen Dancepop mit Country-Elementen und besingt ihre zuletzt gescheiterte Liebe mit ebenso viel Empathie wie Ironie

Kylie Minogue
kam am 28. Mai 1968 in Melbourne zur Welt. Vom singenden Fernsehstar avancierte sie zum international erfolgreichen Popstar. Minogue verkaufte 80 Millionen Alben und ist in Großbritannien die zweiterfolgreichste Sängerin nach Madonna. Sie wurde in den "Order of the British Empire" aufgenommen und erhielt als erste Frau den Music Trust Award.

Dieses Interview ist der Printausgabe von News Nr. 12/2018 erschienen.