Soll Kusejs Vertrag verlängert werden?

Teil zwei meiner Vorschau auf demnächst anstehende Entscheidungen: Vielleicht schon bis zum Sommer wird neben der Zukunft der Staatsoper auch die des Burgtheaters beschlossen. Diskussionsbedarf besteht.

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Ihrem demonstrativen Verzicht auf Einspruch entnehme ich, dass Sie gegen die Vertragsverlängerung des Staatsoperndirektors Bogdan Roscic so wenig einzuwenden haben wie ich. Bezüglich des zweiten Probanden allerdings habe ich mir in der vorwöchigen Kolumne eine Frist eingeräumt, weil ich bezüglich dieser Personalie noch Diskussionsbedarf mit mir selbst erblickte. Wie also stellt sich das Wirken des Burgtheaterdirektors Martin Kusej, 60, mit dem Blick über zweieinhalb Amtsjahre dar? Anders als Roscic, der ein Jahr später unter bis heute irregulären Bedingungen antreten musste, kann Kusej auf sechs Monate Regelbetrieb (zwischen September 2019 und Februar 2020) verweisen. Er hat in dieser Zeit eine große Zahl eigener Produktionen aus München übernommen und dafür neben einigen erstklassigen Schauspielern (Bibiana Beglau, Franz Pätzold, Norman Hacker) auch viele zweitklassige mitgebracht, ohne die von ihm Vertriebenen (Joachim Meyerhoff oder den in die Dauerteilkarenz enttauchten Nicholas Ofczarek) substituieren zu können. Die angekündigte Internationalisierung des Betriebs hat befremdlich provinzielle Resultate nach sich gezogen: etwa eine unbesucht vor sich hinschimmelnde Collage aus Werken Edgar Allan Poes in teils ungarischer Sprache, die den Magyaren des Grauens aus Boston, Massachusetts, gewiss in Verzückung versetzt hätte ...

Schockartig wurden uns zudem die Augen über die Horden aus dem Norden geöffnet, seit ein Aggressor aus Reykjavik erst das Edda-Epos und kürzlich Shakespeares "Sturm" unter Originaltextverzicht, dafür mit Schlagergesang, rückrufbedürftig verwurstet hat. Wollte man auch Dortmund, die damalige Wirkungsstätte des Regisseurs Kay Voges, arrogant in der Pampa verorten, so wäre an sein Burgtheaterdebüt unter dem Titel "Dies Irae" zu erinnern: Hier erreichte das eigentlich steigerungresistente Adjektiv "unbesucht" eine Dimension, die wenig später Normalität wurde, als Voges das Volkstheater übernahm. Ulrich Rasche, der mit den "Bakchen" eröffnete, hätte die Gefolgschaft des Publikums verdient. Aber was sind Konjunktive im Theater?

Dann kam Corona, und für die "Burg" brachen wirtschaftlich glückhafte Zeiten an, die sich zuletzt in einem Jahresplus von 7,3 Millionen niederschlugen. Wie das zugegangen ist, erschließt sich selbst einem mathematischen Ausfall wie mir: Wenn ein schwach besuchter Betrieb mit 80 Prozent Personalkosten gar nicht spielt, ist unter den Bedingungen der Kurzarbeit in der Bilanz quasi Idealzustand erreicht. Dann kann man, wenn man nach sieben Monaten Sperre wieder spielen dürfte, auch leichten Herzens die Bestuhlung erneuern.

Andererseits steht der Regisseur Kusej nicht nur für eine unterirdische "Hermannsschlacht", sondern auch für markante Erfolge. Das liegt u. a. daran, dass er (wie allseits üblich) das Chef-Repertoire und die besten Schauspieler für sich beansprucht. Mit "Faust" das Haus zu leeren, ist unmöglich. Auch um die Besucher von "Maria Stuart" mit Birgit Minichmayr fernzuhalten, bedürfte es der Gewaltanwendung. Beide Arbeiten verkörpern sehr gutes konservatives Schauspielertheater, das sich mit Eskapaden als postdramatische Mogelpackung für das Berliner Theatertreffen zu qualifizieren versucht. Kusejs aktueller Sartre, "Geschlossene Gesellschaft", blieb von Herrengesäßen und pubertären Strichen gleich unbelästigt, und, siehe da: Tobias Moretti, Dörte Lyssewski und Regina Fritsch verantworten den Renner der Saison.

Und sonst? Nicht das Beste von Johan Simons und viel zwangsoriginelles Mittelmaß. Andrea Breth wird nicht angefragt. Der andere Übergroße, Frank Castorf, hat mit seinen Handke-und Jelinek-Verzauberungen die zweieinhalb Jahre Kusej überleuchtet. Leider werden beide Arbeiten wie demonstrativ in die Tiefen des Repertoires verräumt. Peymann inszeniert an der "Josefstadt". Dorthin verändert sich auch der inspirierende Nikolaus Habjan, mit dem sich das Burgtheater überworfen hat. Simon Stone ist am Haus dauerbeschäftigt, wird in Wien aber inflationiert.

Was das in seinen Bedürfnissen doch nicht ganz zu ignorierende Publikum wünscht, scheint indes unmissverständlich: attraktive Stücke, mit den besten Schauspielern von einem erstklassigen Regisseur nah am Original gearbeitet. Peymann hat alle diese Bedingungen einst im Ideal erfüllt. Wie sich das mit Kusej verhält? Hier stock' ich schon wie Faust im Studierzimmer (von Kusej gestrichen). Geben Sie mir noch eine Woche? Dann unterhalten wir uns auch über mögliche Nachfolger. Schlagen Sie, wenn Sie möchten, gleich Thomas Ostermeier, Matthias Hartmann, Anselm Weber und Andreas Beck nach. Und überzeugen Sie sich beim Besuch der "Josefstadt" von den Vorzügen der dortigen Leitung.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: sichrovsky.heinz@news.at