Verlust
der Mitte

Die Wahldebatten als "Sickergruben des Populismus" mausern sich also. Sie umweht immer öfter ein Hauch von Politologie-Seminar.

von Gerfried Sperl © Bild: News

Dieser Satz von Sebastian Kurz auf Puls 4 war machtpolitisch eindeutig: "Nur Sie (H.-C. Strache) oder ich können am 15. Oktober Kanzler werden." Zwar schwang mit, dass die ÖVP-Basis noch laufen sollte, aber Hauptpunkt war die Ankündigung einer Koalition zwischen der türkisen Liste und den Freiheitlichen. Kurz wiederholte diese Festlegung später auf ORF 2, aber das war Strache dann doch zu viel der Einigkeit. Er griff den neuen (und alten) ÖVPler massiv an und erklärte, die FPÖ werde einem Kanzler Kurz keine "Richtlinienkompetenz" verschaffen.

Dieser hatte nämlich bereits mehrfach deponiert, dass er für sich im Falle seiner Kanzlerschaft eine "Richtlinienkompetenz" wie ein Vorstandschef verlange. Kurz möchte also ohne Widerspruch anschaffen können. Den Ministern befehlen, was sie tun sollen. Man musste nur genau zuhören. Der in den Umfragen führende ÖVP-Chef beklagte nach Vorwürfen Straches, dass er nichts durchsetzen könne, weil man in der Regierung alles einstimmig beschließen müsse. Genau das möchte er autoritär ändern: die Minister nur noch als Erfüllungsgehilfen des Regierungschefs.

Realisieren könnte sich eine derartige Machtverschiebung, weil eine "Kohabitation" zwischen ÖVP und FPÖ keine klassische Koalition wäre. Die basiert nämlich auf einem Machtausgleich zwischen Rechts und Links, ist also jeweils ein Lager-Kompromiss zwischen Christlich-Sozial und Sozialdemokratisch. So war es zuletzt in Österreich, aber auch in Deutschland. Wie die TV-Diskussionen zeigten, passt zwischen VP und FP bald kein Blatt Papier mehr. Die einen sind weder christlich noch ausgeprägt sozial - sie behaupten es nur noch. Die anderen bleiben nationalistisch -und fremdenfeindlich. Beide sind in der Wirtschaftspolitik neoliberal.

Was dabei verloren geht, ist die politische Mitte. In Deutschland wird sie (noch) von Angela Merkel repräsentiert. Die aber wird nicht nur wegen ihrer Haltung in der Flüchtlingsfrage unter Linksverdacht gestellt -siehe Zustimmung zur "Ehe für alle". Und die christliche Praxis der Caritas wird von der politischen Rechten längst als linke Praxis eingestuft. Umso mehr, als der Papst ohnehin ein "Linksradikaler" ist.

Auch nach dem Scharmützel im ORF bei Tarek Leitner darf man sich keinen Illusionen hingeben. Die wahrscheinlichste Regierungsvariante nach dem 15. Oktober bleibt ein Zusammengehen der ÖVP mit den Freiheitlichen. Es wäre freilich ein schon einmal gescheitertes Modell. Im Jahre 2000 startete Wolfgang Schüssel mit Jörg Haider und der vorgeschobenen Susanne Riess-Passer. Zwei Jahre später war das Bündnis in dieser Form Geschichte.

Die Wahldebatten als "Sickergruben des Populismus"(Zitat des Wiener Historikers Philipp Ther) mausern sich also. Sie umweht immer öfter ein Hauch von Politologie-Seminar.

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