"Das ist fast
schon Anarchie"

Die Neos legen schon länger einen Fokus auf das, was im Staat verändert werden muss. Karl Sevelda unterstützt die Partei als Berater, war Topbanker bei Raiffeisen und berät Bank wie Politik. Egal, ob Bildung, Struktur oder Staatsfinanzen, das Land braucht Transparenz.

von Karl Sevelda - "Das ist fast
schon Anarchie" © Bild: Michael Mazohl News

Sie unterstützen die Neos. Wie regierungskritisch sind Sie?
Ich möchte fair sein. Ich sehe viele Dinge, die ganz gut gelaufen sind. Aber ich sehe auch gewisse Bereiche, wo es Defizite gibt, es Reformen geben müsste, die an Lobbys scheitern und letztlich dazu geführt haben, dass wir im Ranking bei der Wettbewerbsfähigkeit der Standorte weit zurückgefallen sind.

Können Sie zwei konkrete Beispiele nennen?
Ich glaube, dass auf dem Gebiet der Digitalisierung und der Verwaltung einiges gut gelaufen ist, etwa bei den Steuererklärungen. Insgesamt aber ist die Steuerhöhe und -quote viel zu hoch. Wir liegen nach Belgien mit einer Quote von 43,2 Prozent EU-weit an zweiter Stelle, das ist eindeutig zu hoch. Insbesondere die hohe Besteuerung der mittleren Einkommen sticht ins Auge.

Wie weit muss die Steuerquote runter?
39 Prozent müssten erreichbar sein. Das geht aber nur, wenn uns massive Verbesserungen in der Verwaltung gelingen. Da spreche ich insbesondere den Föderalismus an, der in Österreich in einer Form gelebt wird, die teuer und schädlich ist.

Länder und Bund: Wo hakt es da am meisten im Detail?
Nur zwei Beispiele: Erstens gibt es bei den Kompetenzen eine Fülle von Überschneidungen. Zum Beispiel ist Gewerberecht Bundessache, Baurecht Landessache. Förderwesen ist Länder-und Bundessache. Hier gibt es die Notwendigkeit der Entflechtung. Das Zweite ist generell, dass es nie gut ist, wenn eine Körperschaft zuständig für die Einnahmen und eine andere zuständig für die Ausgaben ist.

Das heißt: Die Länder geben das Geld aus, das der Bund eintreiben muss?
So ist es. Und das kann auf die Dauer nicht gut gehen. Das ist mit Sicherheit die teuerste Variante.

»In der Bildungspolitik hat man einfach Etikettenschwindel betrieben«

Brauchen wir eine Steuerautonomie der Bundesländer?
Ich bin für eine teilweise Autonomie der Bundesländer. Wir sollten dem Schweizer Beispiel folgen und bei verschiedenen Steuern, vor allem bei der Einkommens-und Körperschaftssteuer, einen Bundesteil und einen variablen Länderteil haben. Und durchaus den Steuerwettbewerb akzeptieren.

Wo sind Sie noch unzufrieden mit der Regierung?
Ich werfe der Regierung vor, bei wesentlichen Themen, etwa bei der Arbeitszeitflexibilisierung, keine Lösung vorgelegt zu haben. Wir erinnern uns, dass der Bundeskanzler gesagt hat: "Wenn sich die Sozialpartner nicht einigen, wird die Regierung einen Lösungsvorschlag vorlegen." Das ist offensichtlich dem Wahlkampf geopfert worden. Sepp Pröll hat seinerseits -sehr begrüßenswert -die transparente Förderdatenbank eingerichtet. Die Länder haben sich einfach geweigert, einzuliefern. Das ist fast Anarchie, weil sie eigentlich dazu verpflichtet worden sind. Auch in der Bildungspolitik hat man die Landeschulräte durch Landesbildungsdirektoren ersetzt. Das Wichtigste - eine bundesweite Regelung zu machen - ist nicht passiert. Man hat einfach nur Etikettenschwindel betrieben.

Sie sind jetzt Berater der Neos. Wie kann man das ewige Thema Staatsfinanzen angehen?
In anderen benachbarten Ländern, nicht nur in Deutschland, auch in Tschechien, werden in Zeiten der Hochkonjunktur Budgetüberschüsse erzielt, während wir auch bei guter Konjunktur nach wie vor Defizite produzieren. Damit erhöhen wir die Verschuldung. Die Arbeitslosenquote ist zwar gesunken, aber im Vergleich zu anderen Ländern noch immer relativ hoch. Hier müssen wir einfach massive Reformen beginnen, in Verwaltung, Gesundheitswesen, Föderalismus, Pensionen. Das wird nicht von heute auf morgen möglich sein. Aber wenn ich nie beginne oder Übergangszeiträume von Jahrzehnten schaffe, werde ich das Budget nie in Ordnung bringen.

An den 84 Prozent Staatsverschuldung sind auch die Banken schuld. Der Bund hat in der Finanzkrise geholfen. Hat der Staat den Banken zu viel gegeben?
Es stimmt, dass der Staat den Banken damals geholfen hat. Ich kann für "meine" Bank RBI sagen, dass wir alles auf Heller und Pfennig zurückgezahlt haben. Und nicht nur das, sondern auch ordentlich Dividenden an den Staat ausgeschüttet haben. Andere Banken wie die Erste Group haben das ebenfalls gemacht. Natürlich ist die eine oder andere Bank dem Staat das Geld schuldig geblieben. Am Ende des Tages wird es aber aufgrund der guten Konjunkturentwicklung nicht ganz so viel sein wie ursprünglich prognostiziert.

Welche Banken sind Geld schuldig geblieben?
Die Hypo Alpe Adria natürlich an der Spitze, aber auch Kommunalkredit und die ÖVAG.

Mit welcher Partei würden Sie sich als Neos am leichtesten tun und könnten einen Großteil Ihrer Ideen umsetzen?
Ich möchte mich da nicht für die Neos festlegen, ich bin ja nur Berater. Grundsätzlich sind wir für alle Koalitionen offen, bei denen wir ein Maximum unseres Programms umsetzen können. Ich sehe Schwierigkeiten bei der FPÖ aufgrund ihrer Haltung zu Europa und ihrem politischen Stil, da ist mir viel zu viel Hetze dabei, sowohl verbal als auch in der politischen Programmatik. Wenn die SPÖ wie jetzt den Klassenkampf plakatiert, dann wird es auch da relativ schwierig sein. Auf der anderen Seite wissen wir auch, dass die Zusammenarbeit mit der ÖVP, die ja die Bewahrerin des Kammerstaates und des Föderalismus, wie wir ihn heute sehen, schlechthin ist - nämlich teuer und vielfach nicht wirklich demokratisch -, nicht leicht sein würde.

© Michael Mazohl News Karl Sevelda, Banker und Berater, politischer Kopf und graue Eminenz bei den Neos

Die ÖVP hat sich neu aufgestellt.
Nein, es ist nach wie vor die ÖVP. Ich schätze Sebastian Kurz, ich mag ihn auch, aber ich befürchte, dass die ÖVP nicht reformierbar ist. Natürlich wird jetzt alles versprochen, was gut und teuer ist. Nach einer Wahl werden sicher wieder die wohlbekannten Lobbys und Falken kommen, die ihre Rechte einfordern. Davon bin ich hundertprozentig überzeugt.

Sollen die Neos Regierungsverantwortung übernehmen?
Die Liberalen sind in ganz Europa in Regierungsverantwortung. Die Liberalen sind in allen Regierungen das konstruktive Element. Ich glaube, dass ein Mehr an Liberalität weder gesellschafts- noch wirtschaftspolitisch schaden würde.

Was unterscheidet Sie von anderen Parteien? Manche sagen, Sebastian Kurz erfülle mit seiner Liste ohnehin, was die Neos wollen. Wo liegt der Unterschied?
Sebastian Kurz muss einfach immer auf die Länderinteressen Rücksicht nehmen. Deswegen sehen wir halbherzige Lösungen bei der Bildungsreform, keine wirkliche Reform der antiquierten Gewerbeordnung, keine Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten, keine Bereinigung des Kompetenzwirrwarrs zwischen Bund, Ländern und Gemeinden etc., etc. Und wir werden sehen, wie Kurz zur verfassungsmäßigen Garantie der Pflichtmitgliedschaft der Kammern steht, zur Sozialpartnerschaft, zur Förderungspolitik, wo er ja große Einsparungspotenziale sieht, und zur längst notwendigen Pensionsreform. Ermutigend waren seine letzten Beschlüsse nicht gerade

Wer wird die Wahl gewinnen?
Ich traue mir keine Prognose zu.

Welche Konstellation würden Sie sich wünschen?
Eine möglichst starke liberale Kraft...

...sodass Sie vielleicht ein paar Minister stellen können. Welche Koalition wäre das?
Mit den Blauen wird es nicht gehen. Aber Rot-Neos-Grün oder ÖVP-Grün-Neos wäre sicher beides möglich.

Ist die Liste Pilz kein Thema?
Was ich bisher gehört habe, schreckt mich eher ab, denn er verbindet das, was wir bei der FPÖ ablehnen, mit dem, was uns auch bei der SPÖ nicht gefällt.

» Ich befürchte, dass Sebastian Kurz die ÖVP nicht ändern kann«

Was halten Sie von Christian Kern?
Kern ist zweifellos ein sehr fähiger Manager, ein guter Mann. Das Problem, das ich in diesem Wahlkampf sehe, ist, dass Kern nicht authentisch ist, dass er Dinge vertritt, die meiner Meinung nach nicht dem entsprechen, wie ich Christian Kern kennengelernt habe.

Was halten Sie von Heinz-Christian Strache?
Sicherlich ein geschickter Demagoge, der sich, wenngleich er es rational versucht und weiß, dass er es braucht, von den Fesseln einer von Burschenschaften dominierten deutschnational-konservativen Partei nicht lösen kann.

Was sagen Sie zu Sebastian Kurz?
Sehr sympathisch, kommt sicher gut an, ohne jede politische Erfahrung. Ich befürchte, dass er die ÖVP nicht ändern kann. Zumindest nicht ohne eine starke liberale Partei im Parlament, die ihm vielleicht da und dort helfen kann.

Ohne jede politische Erfahrung? Ist das nicht sehr hart?
Ohne stimmt nicht, aber ohne allzu große.

Manche sagen, Sebastian Kurz habe zumindest dasselbe politische Talent wie Jörg Haider. Sehen Sie das als früherer Wegbegleiter von Jörg Haider auch so? Was unterscheidet die beiden?
Sebastian Kurz ist zweifellos ein politisches Talent. Was sie unterscheidet, ist, dass Jörg Haider doch eine Zeit lang als Jurist an der Universität tätig war, das heißt, eine abgeschlossene Ausbildung als Jurist hatte. Sebastian Kurz war eigentlich immer nur Politiker.

Warum ist das in Österreich so wichtig, dass jemand ein abgeschlossenes Studium hat? Das hatte auch Werner Faymann nicht.
Das ist auch nicht so wichtig, aber Arbeitserfahrung hat er keine außerhalb der Politik. Sebastian Kurz war immer nur Politiker, das unterscheidet sie.

Stichwort politisches Talent?
Das kann man noch nicht wirklich sagen. Beide waren natürlich Talente, aber im Fall von Kurz kann man noch nicht beurteilen, wie groß sein Talent wirklich ist. Bisher kennt man von ihm eigentlich nur seine Haltung zur Migrationspolitik, sonst weiß ich eigentlich nicht sehr viel von seiner politischen Linie. Übrigens: Das "Talent" Haider war ja als Politiker nachhaltig nicht sehr erfolgreich

Was fällt Ihnen zu den Themen Mittelmeerroute, Sicherheit, Datenschutz ein?
Wir müssen sehr aufpassen, dass wir nicht unter dem Vorwand Sicherheit demokratische und sogar Menschenrechte gefährden. Ich glaube, dass das außerordentlich gefährlich ist. Wir sehen in Polen und Ungarn und auch in politischen Programmen in Deutschland oder Österreich, dass tatsächlich Grundrechte eingeschränkt werden und dies mit "Sicherheit" gerechtfertigt wird.

Stichwort Migration?
Ich möchte das Thema Migration nicht geringschätzen, aber hier sehe ich nur die eine Möglichkeit, dass wir vor Ort die Entwicklungshilfe vervielfachen. Es ist ein Riesenfehler, dass die Entwicklungshilfe gekürzt wurde. Wir müssen sie im Gegenteil vervielfachen und den Ländern vor Ort helfen. Denn kein Mensch verlässt gerne seine Heimat.

Stichwort Grenzen?
Natürlich müssen auch die EU-Außengrenzen besser geschützt, Asylverfahren so rasch wie in der Schweiz abgewickelt und umgesetzt werden und wahrscheinlich wird es auch erforderlich sein, bei den sogenannten "Wirtschaftsflüchtlingen" selektiv vorzugehen. Jedenfalls kann es nur gesamteuropäische und keine "Insel"- Lösungen geben.

Sie waren vier Jahre lang Vorstandsvorsitzender der RBI, jetzt beraten Sie die Bank. Sie haben in einem Gespräch gesagt, die Raiffeisen-Gruppe sei ein Abbild von dem, was im Land das Verhältnis Bund-Länder ist. Hat Raiffeisen das jetzt klug geregelt?
Ich glaube schon, dass in der Raiffeisen-Bankengruppe sich die Einsicht durchgesetzt hat, dass man viel mehr gemeinsam machen, viel mehr zentralisieren muss. Deswegen wird auch eine Einheit gegründet, in der gewisse Funktionen wie Compliance, Backoffi ce oder IT konzentriert und als Dienstleister für alle Partner zusammengefasst werden.

Die Raiffeisen Bank International (RBI) hat wahnsinnig schnell in Osteuropa expandiert und stark auf Fremdwährungskredite gesetzt. Wirft das nicht einen Schatten auf die Bank?
Ich glaube sehr wohl, dass wir da und dort zu wenig auf die Kursrisiken in der Beratung in den einzelnen Ländern geachtet haben. In den 1990er-Jahren wurden wir aber auch von den lokalen Regierungen ermutigt, Fremdwährungskredite zu vergeben. Weil es keine langfristigen Kredite in lokaler Währung gab und außerdem die privat aufgenommenen Kredite die Zahlungsbilanz verbessert haben. Mit dem Wissen von heute würde man sicher vorsichtiger vorgehen.

Was unterscheidet einen Manager von einem Spitzenmann in der Politik?
Die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, muss bei beiden gleich sein. Das ist eine wichtige Aufgabe. Was Politik von Wirtschaft sehr stark unterscheidet, ist, dass die Politik viel mehr von Ankündigungen lebt. Ein Manager wird danach beurteilt, was er tatsächlich erreicht hat, währenddessen Ankündigungen in der Politik in den Medien meist sehr groß gebracht werden und das effektive Ergebnis dann relativ klein vorkommt.

Sie sind weder schwarz noch rot. Waren Sie verwundert, dass Sie in dem großkoalitionären Land die Karriereleiter überhaupt so weit hoch gekommen sind?
Ich war insofern verwundert, da meine Lebensplanung durcheinandergekommen ist. Ich wollte eigentlich vor Herbert Stepic in Pension gehen (ihm ist er 2013 als CEO der RBI gefolgt, Anm.). 2013 musste ich meine Lebensplanung innerhalb weniger Tage umschreiben.

Sie waren immer ein ausgewiesener Liberaler, das ist doch unüblich bei Raiffeisen, oder?
Das hat bei der Raiffeisen Bank International nie eine Rolle gespielt. In 19 Jahren, in denen ich im Vorstand war, war die politische Einstellung der Vorstandsmitglieder kein Thema.

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