Steuerraub
in Österreich

Österreich ist viel stärker als bisher bekannt von Deals internationaler Finanztrickser betroffen, die auf Kosten von Staaten Unsummen kassierten. Es geht um Geschäfte, die nur darauf abzielen, Steuerauszahlungen zu erlangen – manchmal auch doppelt. Das Volumen in ganz Europa: mehr als 55 Milliarden Euro. Staatsanwaltschaften ermitteln. Das Finanzministerium hat das Risiko ignoriert.

von Investigativ - Steuerraub
in Österreich © Bild: Addendum

Jahrelang hat sich eine Gruppe findiger ­Aktienhändler, Anwälte und Vermögensberater gemeinsam mit den großen Banken auf Kosten der Steuerzahler ein schönes Leben gemacht. Villen, Yachten, Partys, Charity-Konzerte mit Topstars des internationalen Musikbusiness: Das war ihre Welt – zumindest bis vor nicht allzu langer Zeit. Jetzt sieht diese Welt anders aus: ­Ermittlungen in mehreren Staaten, auch in Österreich. Stundenlange Einvernahmen in unbequemen Vernehmungszimmern mit Staatsanwälten, die ebenso unbequeme Fragen stellen. Eingefrorenes Vermögen. Und die Sorge, bei Auslandsreisen festgenommen zu werden.

Die Staaten, denen sie einst mit trickreichen Aktiengeschäften und – so der Verdacht – ungerechtfertigten Steuerrückforderungen Unsummen entzogen, schlagen zurück. Einige der Ermittlungsver­fahren sind weit gediehen. Darunter jenes in Österreich, wie die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft mitteilt.

Doch nicht nur die Behörden sind aktiv. Journalisten aus zwölf Ländern haben in einem vom Recherchezentrum Correctiv in Deutschland koordinierten Projekt namens „CumEx Files“ den größten Steuerraub in der Geschichte Europas aufgedeckt (siehe Kasten). Mit dabei war die österreichische Plattform Addendum, die nun gemeinsam mit News über die Ergebnisse berichtet.

Es geht – allgemein formuliert – um Steuerauszahlungen, die von Bankern und anderen involvierten Personen ganz gezielt durch bestimmte Aktiengeschäfte herbeigeführt wurden. Vorsichtig kalkuliert beläuft sich das Volumen in Europa von 2001 bis 2016 auf mindestens 55,2 Milliarden Euro. Geld, das der Staat bereits in der Tasche hatte. Das er aber wieder hergegeben hat.

Einmal die Steuer holen …

Wie ist das möglich? Wenn große Unternehmen Dividenden an ihre Aktionäre auszahlen, liefern sie gleichzeitig Kapitalertragsteuer (KESt) an die Finanz ab. In Österreich beträgt der Steuersatz für Dividenden 27,5 Prozent. Manche Aktionäre können sich die KESt aber zurückerstatten lassen. Zum Beispiel, wenn sie in einem Land sitzen, das ein entsprechendes Doppelbesteuerungsabkommen mit Österreich hat.

Das kann systematisch ausgenützt werden. Mitunter kommt es zu Aktienverschiebungen rund um den Dividendenstichtag, die nur darauf abzielen, eine Steuererstattung einzustreifen. Ist das Ziel eine einmalige Rückerstattung, lautet der Fachbegriff „Cum-Cum“. Das ist per se nicht verboten. Die Frage ist aber, ob möglicherweise sogenannter Gestaltungsmissbrauch vorliegt. In manchen Ländern hat dieses System so überhand genommen, dass dem ein Riegel vorgeschoben wurde.

… oder mehrmals

Richtig heikel wird es jedoch, wenn es darum geht, Aktien – vereinfacht gesagt – im Kreis zu schicken, bis es letztlich zu mehrfachen Rückerstattungen kommt (siehe Grafik). Das Resultat: Es wird nur einmal Steuer an den Staat abgeliefert, der zahlt sie ab doppelt oder noch öfter zurück. Diese Deals laufen unter dem Fachbegriff „Cum-Ex“. Dass dies auch in Österreich stattgefunden hat, berichteten News und die „Süddeutsche Zeitung“ erstmals Ende 2015.

Im Rahmen der Recherchen zu den „CumEx Files“ zeigt sich nun jedoch, dass Österreich viel stärker betroffen war als bisher geahnt. Vieles deutet darauf hin, dass Österreich systematisch abgezockt wurde: nicht zuletzt die Aussagen involvierter Personen.

Insider packt aus

Die Plattform Addendum hat mit einem Insider gesprochen, der jahrelang selbst im Cum-Ex-Business tätig war. Er sagt: „Österreich ist über viele Jahre parallel zu Deutschland gelaufen.“ Der Markt sei zwar klein. „Ich weiß aber, dass Österreich bei vielen Tradern (Aktienhändlern, Anm.) als Beimischung auf der Agenda stand.“

Die Bezeichnung „klein“ ist im Vergleich mit Deutschland zu sehen, wo sich Cum-Ex-Deals im Milliardenausmaß abgespielt haben. In absoluten Zahlen dürfte jedoch auch Österreich stark betroffen gewesen sein. Der Insider sagt: „Österreich galt ­immer als sicher – im Unterschied zu Deutschland. Es war jedenfalls immer im Millionenbereich: höhere einstellige bzw. niedrige zweistellige Millionenbeträge pro Trader.“ Der geschätzte jährliche Gesamtschaden für Österreich: 50 bis 100 Millionen Euro.

Ist eine solche Größenordnung denkbar? Eines vorneweg: Es gibt keine offiziellen Zahlen dazu. Der Rechnungshof (RH) hat in einem im Juli 2018 erschienenen ­Bericht angemerkt: „Der in Österreich tatsächlich entstandene Gesamtschaden in Zusammenhang mit der Cum-Ex-Problematik bei Aktiendeals war für den RH mangels vorhandener Daten und Informationen nicht quantifizierbar.“

Allerdings hat der damalige Finanzminister Michael Spindelegger (ÖVP) am 12. Mai 2014 der EU-Kommission einen Brief geschickt, in dem es um Budgetmaßnahmen ging – unter anderem zur Vermeidung von KESt-Mehrfachrückerstattungen. Der erwartete Effekt der Maßnahmen wurde mit einer Größenordnung von 50 Millionen Euro geschätzt. Das Finanzministerium betont nun auf Anfrage, dass sich diese Zahl „auf die Vermeidung künftiger Risiken“ bezogen habe. „Rückschlüsse auf einen allfälligen in der Vergangenheit entstandenen Schaden können und sollen daraus nicht abgeleitet werden.“

Viele Millionen Euro

Tatsächlich ist es jedoch so, dass die Steuerauszahlungen an ausländische Antragssteller in Bezug auf die Dividenden-KESt 2014 massiv zurückgingen: von 70 bis 280 Millionen Euro in den Jahren davor auf dann nur noch 15 Millionen Euro. Das muss nicht in vollem Umfang auf das Ende der Cum-Ex-Geschäfte zurückzuführen sein. Es wäre allerdings verwunderlich, wenn die gegenüber der EU angekündigte Verschärfung gar keine Folgen gehabt hätte.

Erwähnt sei auch, dass – nach Auf­fliegen eines ersten Verdachtsfalls – das zuständige Finanzamt ungerechtfertigte Auszahlungen von insgesamt 38,35 Millionen Euro nicht anerkannte. Der Großteil davon stammte von 2012, ein Teil von 2013. Darüber hinaus fand der Rechnungshof noch zusätzliche potenzielle Cum-Ex-Schäden für 2012 im Millionenbereich. Eine Gesamtbetroffenheit bis hin zum mittleren zweistelligen Millionenbereich pro Jahr zu Spitzenzeiten scheint damit jedenfalls nicht unmöglich.

Dass höhere Summen durchaus realistisch sind, was Österreichs angeht, ergibt sich aus den Recherchen zum Projekt „CumEx Files“. Es existiert letztlich eine Handvoll von Spezialisten, die im Zentrum der Cum-Ex-Industrie standen. Gleich mehrere von ihnen geben mittlerweile zu, derartige Geschäfte in Bezug auf Österreich durchgeführt zu haben.

Da wäre zum Beispiel Herr T., einst Mitarbeiter der australischen Investmentbank Macquarie. Addendum-Informationen zufolge erzählte er im April 2017 deutschen Ermittlern, dass – seiner Erinnerung nach – bei Macquarie Cum-Ex-Geschäfte „in kleinerem Umfang“ auch auf dem österreichischen Markt durchgeführt worden seien. Der „kleinere Umfang“ dürfte sich auch hier auf den Vergleich mit Deutschland bezogen haben.

Macquarie ließ eine Anfrage bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Zuletzt stellte die Bank in einer Aussendung in Zusammenhang mit einem Cum-Ex-Verdachtsfall die eigene Rolle als jene eines Kreditgebers dar. Gut möglich, dass auch in Bezug auf Österreich-Deals Macquarie nicht selbst Aktien handelte, sondern nur Geld dafür hergab. Für die österreichischen Steuerzahler ist dieses Detail eher nebensächlich.

„Sahnehäubchen“

Auch weitere Cum-Ex-Spezialisten bestätigten gegenüber Ermittlern Geschäfte mit Österreich. Einer erklärte, Österreich sei das „Sahnehäubchen“ für die Gesamtperformance gewesen. Für alle Betroffenen gilt in vollem Umfang die Unschuldsvermutung. Interessant ist, dass das Finanzministerium bis heute bestreitet, dass ­Österreich überhaupt einen Schaden erlitten hat. Das Ministerium argumentiert dahingehend, dass alte Fälle wieder aufgerollt worden seien. Zu Unrecht bezahlte Steuererstattungen würden entweder rückgefordert oder aufgerechnet. Der Rechnungshof hält das allerdings für schwierig. Insgesamt gehen die Prüfer hart mit dem Finanzministerium ins Gericht: Viele Risiken wären seit dem Jahr 2006 ­bekannt gewesen, aufgezeigte Probleme aber bis zuletzt nicht zufriedenstellend beseitigt worden (siehe Kasten).

Österreich hat es den Steuertricksern also leicht gemacht. Ein Insider: „Die meisten Trader hatten den Eindruck, Österreich ist einfach verschlafen. Das waren Jäger, Tiger, blutrünstige Tiere. Für die war ­Österreich nicht einmal ein Frühstück.“

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe von News 42/2018