Der Letzte dreht das Licht ab

Zwischen ÖVP und Grünen geht weniger denn je. Besonders für Nehammer ist der Druck groß, sich zu profilieren. Das belastet die Koalition.

von Der Letzte dreht das Licht ab © Bild: Privat

In schwierigen Zeiten kommt es immer wieder zu einem großen Zusammenrücken: Die Bevölkerung schart sich um die Regierenden, und die Regierenden bemühen sich um Teamwork. Zu Beginn der Coronakrise war das auch in Österreich feststellbar. Das ist jedoch Geschichte. Heute führt nicht einmal der Ukrainekrieg zu einem solchen Effekt. ÖVP und Grüne verzeichnen keine signifikanten Zugewinne, Vertrauenswerte von Kanzler und Vize sind so schlecht wie noch nie im Verlauf dieser Legislaturperiode - und in der Koalition überwiegt das Gegeneinander. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner weiß schon, warum sie angefangen hat, sich als Kanzlerkandidatin darzustellen: Es gibt zwar keinen Wahltermin, und besonders Türkise können an einem solchen auch gar kein Interesse haben, zwischen ÖVP und Grünen geht aber immer weniger. Wobei: Sie hatten nie eine echte Zusammenarbeit vorgesehen. Es ging eher nur um eine Koexistenz.

Schwaches Fundament

"Das Beste aus beiden Welten", lautete die Devise von Sebastian Kurz (ÖVP) und Werner Kogler (Grüne) im Jänner 2020. Vereinfacht ausgedrückt bedeutete dies, dass die beiden einander das ungestört machen lassen, was ihnen bei der Nationalratswahl die meisten Stimmen gebracht hat: der neuen Volkspartei eine restriktive Flüchtlingspolitik, den Grünen Klimaschutz. Das Gemeinsame beschränkt sich darauf, sich gegenseitig die nötige Mehrheit auf parlamentarischer Ebene zu verschaffen. Mit Kompromissfähigkeit, geschweige denn inhaltlicher Übereinstimmung hat das wenig zu tun. Entsprechend schwach ist das Fundament, auf dem die türkis-grüne Koalition beruht.

Nur einmal war alles anders. Geschuldet war dies einer Not. Ab Februar, März 2020 galt es, etwas nicht Vorhersehbares, bis dahin schlicht Unvorstellbares zu bewältigen: die Pandemie. Da rückten Türkise und Grüne zusammen, wie davor nicht und seither schon gar nicht mehr. Kurz und Kogler ließen sich gemeinsam mit dem damaligen Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) und dem seinerzeitigen Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) sogar als "Virologisches Quartett" inszenieren. Das Ganze überdauerte aber nur die erste Infektionswelle.

In der Gegenwart hätte man mit nichts weniger umzugehen als einem Krieg in Europa und all den Folgen, die damit einhergehen. Natürlich: Grundsätzliches wie das Vorgehen Russlands wird von Türkisen wie Grünen verurteilt, beide erklären sich solidarisch mit der Ukraine. Das war es dann aber. Bei konkreten Fragen wie der Aufrüstung des Heeres wird es haarig. Zutiefst "irritiert" äußerte sich der grüne Wehrsprecher David Stögmüller beispielsweise über Zeitungsberichte, Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) erhalte einen zehn Milliarden Euro schweren "Neutralitätsfonds", um Investitionsrückstände der letzten Jahrzehnte abzubauen, und darüber hinaus noch ein deutlich höheres Regelbudget als bisher: Nichts sei ausverhandelt, protestierte Stögmüller, die Zahlen seien "komplett erfunden".

Hinterher stellte sich heraus, dass es der ÖVP, von der die Berichte gekommen waren, darum ging, über die Öffentlichkeit Druck auf die Grünen auszuüben und sich selbst als Macherin im Sinne der Sicherheit darzustellen. Der Bedarf dafür ist aus türkiser Sicht erheblich: Die Partei braucht dringend Punkte. Wenn es ihr schon nicht gelingt, in Umfragen wieder zuzulegen, dann muss sie zumindest alles tun, um nicht noch stärker zu verlieren.

Bedrohliche ÖVP-Verluste

Die Verhältnisse sind bedrohlich: In einer "Heute"-Umfrage, die qualitativen Mindeststandards entspricht, wurden ihr zuletzt 22 Prozent ausgewiesen. Selbst wenn sie in Wirklichkeit etwas mehr halten sollte: Nach 37,5 Prozent bei der Nationalratswahl 2019 wäre das nicht weit entfernt von dem bescheidenen Niveau, bei dem Reinhold Mitterlehner als Parteichef vor fünf Jahren gemobbt wurde und die Erleichterung über Sebastian Kurz als Nachfolger groß war. Da muss Karl Nehammer aufpassen, zumal er noch nicht einmal gewählter Bundesobmann der ÖVP ist. Die Kür ist erst für Mitte Mai vorgesehen.

Genau das relativiert auch die Behauptung, dass die ÖVP an keiner Neuwahl interessiert sein kann. Für sich genommen ist das korrekt. Abgesehen davon muss sie sich jedoch profilieren. Und weil die Zusammenarbeit mit den Grünen nicht so sehr auf Kompromissen, sondern auf dem "Besten aus beiden Welten" beruht, geht das gerade in heiklen Fragen immer wieder zu Lasten der Koalition. Das liegt auch am türkis-grünen Geburtsfehler.

Es wird zu wenig Rücksicht aufeinander genommen. Beim Ausgleich für steigende Energiepreise war es den Türkisen wichtig, eine Masse zu erreichen. Das ist nachvollziehbar für Vertreter einer Partei, die noch immer eine Mehrheit ansprechen will. Das Ergebnis ist unter anderem jedoch eine Erhöhung der Pendlerpauschale. Sie beschert Grünen Kritik aus den eigenen Reihen, gibt es hier doch weder eine soziale noch eine ökologische Differenzierung. Auch Spitzenverdiener mit einem SUV, der viel Sprit verbraucht, bekommen mehr.

Dass die CO2-Abgabe bleibt, ist ein schwacher Trost für Kogler und Verkehrsministerin Leonore Gewessler: Als Grüne müssen sie sich die Frage stellen, was die Regierungsbeteiligung ihrer Partei noch bringt. Der Verweis darauf, dass etwa Justizministerin Alma Zadić dafür sorge, dass die Staatsanwaltschaft auch in türkisen Affären ungestört ermitteln könne, ist das eine. Dass es schwer bis unmöglich ist, Pakete zur Korruptionsbekämpfung durchzubringen, gehört jedoch ebenso zur Schattenseite wie die wachsenden Widerstände dagegen, auch in Zeiten einer akuten Energiekrise ein bisschen Klimapolitik zu betreiben.

Rauch in Teufels Küche

Am brutalsten zu spüren bekommt all das der neue Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) bei der Pandemiebekämpfung. Gleich nach seinem Amtsantritt vor nicht einmal einem Monat hat er zwei ungeschriebene Gesetze missachtet: Als Regierungsmitglied darf man sich nicht kritisch zu Regierungsmaßnahmen äußern, und ehe man mit einer Ankündigung an die Öffentlichkeit geht, sichert man sich die Zustimmung des Partners. Rauch hat jedoch Lockerungen, die Anfang März erfolgten, als zu weitreichend bezeichnet, und er hat Verschärfungen im Alleingang angekündigt. Damit beförderte er sich selbst in Teufels Küche.

Sein Landsmann, Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP), lehnte die Beibehaltung von Gratistests ab. Und zwar öffentlich, nachdem sich Rauch dafür ausgesprochen hatte. Geblieben sind schließlich zehn pro Person und Monat. Was Rauch als Erfolg betrachtete, bescherte ihm in sozialen Medien einen Shitstorm -es wurde als seine erste große Niederlage gewertet. Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) blockierte wiederum die Wiedereinführung der Maskenpflicht. "In Brüssel etwa gibt es in den Innenräumen keine mehr", argumentierte sie, ohne zu erwähnen, dass es dort viel weniger Infektionen gibt. Rauch konnte sich letzten Endes durchsetzen, allerdings erst um einen Tag später als geplant.

Sein Amtsantritt ist verbockt, noch selten ist ein Minister nach so kurzer Zeit angezählt worden. Bei ihm, dem Politprofi aus Vorarlberg, der schon länger zum engsten Kreis um Werner Kogler gehört, mag dies überraschen. Andererseits: Wer den Koalitionspartner gegen sich oder nicht auf seiner Seite hat, ist aufgeschmissen.

Selbst der Chef, also der Bundeskanzler, mag nichts mehr mit Corona zu tun haben. Allein: Es gelingt Karl Nehammer nicht, die Pleiten-, Pech-und Pannen-Serien abzuschütteln. Sie holen ihn ein. Die "Kleine Zeitung" eröffnete ein Interview mit ihm etwa mit dem Hinweis, dass es seine Regierung nicht einmal mehr schaffe, eine simple Maskenverordnung pünktlich zustande zu bringen. Nehammer wusste nichts darauf zu antworten und verwies stattdessen auf den "Koste es, was es wolle"-Kurs, den ÖVP und Grüne einst gemeinsam verfolgten -damals, im Frühjahr 2020, als sie vorübergehend harmonierten.

Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik www.diesubstanz.at