Geschlossene Gesellschaft

Warum reden, wenn man eine Debatte auch einfach abwürgen kann? Einfach so. Weil man aus Prinzip nicht reden will, wie zuletzt über die Staatsbürgerschaft.

von Leitartikel - Geschlossene Gesellschaft © Bild: News/ Matt Observe

Würden sie doch einfach ein anderes Wahlverhalten an den Tag legen. Ja, dann wäre vielleicht alles anders. Dieses ganze Gefasel vom "hohen Gut" und der "Integration durch Leistung", das zynische Zündeln mit Sätzen wie "Eine Staatsbürgerschaft muss man sich verdienen" und die ewige Schwarzmalerei von drohenden Masseneinbürgerungen, die ein Staatsbürgerschaftsautomatismus auslösen würde -all das könnten wir uns dieser Tage einmal mehr ersparen. Aber nein, ein einfacherer Zugang (und jedenfalls kein Zugang für jedermann und zu jeder Zeit) zur Staatsbürgerschaft, wie ihn die SPÖ und auch der Bundespräsident fordern, würde wohl der ÖVP keine neuen Wählerinnen und Wähler bringen. Also Ende der Diskussion. Für eine Partei, die zuletzt mit dem Migrationsthema zwei Wahlen gewonnen hat, eine nachvollziehbare Reaktion.

Zumal es auch ein Fakt ist, dass vor allem Zuwanderer aus Drittstaaten außerhalb der EU Gründe für einen Erwerb der Staatsbürgerschaft haben. Eher wenig Interesse besteht bei jenen aus EU-Mitgliedsstaaten. 2020 wollten beispielsweise in ganz Österreich nur 227 Deutsche, immerhin die größte Ausländergruppe in diesem Land, einen rot-weiß-roten Pass. Doch die Debatte um eine restriktive Staatsbürgerschaftspolitik ist das eine. Sie muss vor allem auch aus demokratiepolitischer Sicht - 1,2 Millionen Menschen leben in diesem Land, dürfen aber nicht wählen -geführt werden. Viel wichtiger wäre es freilich, eine ernsthafte Debatte jenseits des ewigen Geredes vom "hohen Gut" und der "Entwertung" zu führen. Schließlich geht es nicht um "die" und "wir". Um Menschen, die bereits da sind und die auch nicht mehr weggehen.

»Strategien für echte Teilhabe und Integration gibt es nicht«

Es geht um Mitbürgerinnen und Mitbürger, die eine andere Form der Aufmerksamkeit verdient haben, als dass nur über sie als Problem geredet wird. Als Sündenbock. Als Zielscheibe. Gerne auch abfällig und ebenso gern mit einer Brise aus traditioneller Ignoranz und Arroganz.

Der Blick auf die demografische Entwicklung könnte diese Debatte befeuern. Ebenso der Blick nach Deutschland, wo das Wort "Arbeiterlosigkeit" bereits erste Runden dreht. Aus gutem Grund. Bis 2040 wird die Erwerbsbevölkerung in Europa um neun Prozent schrumpfen, nachdem sie 20 Jahren zuvor gestiegen ist. Von diesem Wandel ist aufgrund der alten Bevölkerung der deutsche Arbeitsmarkt vergleichsweise stark betroffen. Weniger Menschen - ein Minus von 15 Prozent in 30 Jahren -bedeuten folglich mehr Zuwanderung. Der Bedarf wird seitens der zuständigen Bundesagentur für Arbeit mit 400.000 pro Jahr beziffert. "Ohne Zuwanderung haben wir gegen den Fachkräftemangel keine Chance", sagt deren Chef. Einen Wettbewerb zwischen Einheimischen und Zugewanderten sieht er nicht. Man werde alle brauchen.

Und Österreich? Leistet sich weiter eine Debatte über "die" und "wir". Strategien für echte Teilhabe und Integration gibt es nicht. Nicht für jene, die da sind. Nicht für jene, die kommen sollen -und müssen. Nein, wir wollen noch nicht mal darüber reden.

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