Der Freundfeind ist das neue Medienmuss

Wenn die Konkurrenten "Krone" und "Kleine" gemeinsam ein großes Interview zur jüngsten ORF-Affäre führen, ist diese Kooperation noch wichtiger als der öffentlich-rechtliche Anlass. Österreichs Medienformationen stehen vor der Neuordnung.

von Medien & Menschen - Der Freundfeind ist das neue Medienmuss © Bild: Gleissfoto

Es ist die denkbar heikelste Zeit zur Untersuchung eines Missverhältnisses zwischen Regionalpolitik und öffentlich-rechtlichem Rundfunk in Niederösterreich. Denn das mit absoluter Mehrheit von der ÖVP regierte Bundesland wählt Ende Jänner. Also wird die von Gerhard Draxler geleitete Kommission zur Klärung der Vorwürfe davor keine Ergebnisse präsentieren. Der ehemalige Informationsdirektor sowie Landeschef in Kärnten und der Steiermark erweist sich dennoch bereits als Glücksgriff für ORF-General Roland Weißmann. Das gilt auch abseits der multiplen Funktionserfahrung mit Schwarz, Rot und Blau als politischem Gegenüber. Draxler diente parallel zu Christof Zernatto und Jörg Haider in Klagenfurt, Wolfgang Schüssel in Wien sowie Franz Voves und Hermann Schützenhöfer in Graz. Er ist aber auch außerhalb der öffentlich-rechtlichen Einhausung ein Medienprofi. Das hat er mit dem ersten Interview zum Fall Niederösterreich bewiesen: Der Sonntag vor dem wahren Arbeitsjahresbeginn war der beste Termin, die Gleichzeitigkeit in "Krone" und "Kleine" sicherte die höchste Aufmerksamkeit.

Diese Kleinformate sind die größten Zeitungen Österreichs. Sie erreichten am Sonntag 2,2 Millionen bzw. 700.000 Menschen. Zusammen - ohne Abzug von Beides-Lesern - wären das doppelt so viele, wie die "Zeit im Bild" am Abend Seher hatte. Mehr Publikum geht nicht. Im riesigen Interesse am ORF und der Beschuldigung seines NÖ-Direktors Robert Ziegler als Erfüllungsgehilfe der Politik ist eine Branchensensation untergegangen: Hubert Patterer und Oliver Pokorny, die Chefredakteure von "Kleine" und "Steirerkrone", haben das Draxler-Interview gemeinsam geführt. Die in der Steiermark, Kärnten und Osttirol heftig konkurrierenden Blätter geben damit ein Signal weit über ihr Wettbewerbsgebiet hinaus. Sie deuten eine mögliche Neuordnung der Medienformationen in Österreich an.

Hier ist der ORF unangefochtener Marktführer bei Fernsehen, Radio und Onlinenachrichten. Der zu zwei Dritteln durch Rundfunkgebühr erzielte Milliardenumsatz macht ihn mehr als doppelt so groß wie die stärksten privaten Mitbewerber. Dabei spielt das Red Bull Media House eine Sonderrolle. Doch es kooperiert bereits mit dem ORF (Sportrechte) und einigen Zeitungen (beigelegte Magazine). Ihre durchwegs zu Multimediaanbietern mutierten Verlage bilden vor allem zwei - in sich aber heterogene - Blöcke: einerseits eine Wiener Partie rund um die Mediaprint mit der "Krone" als Zugpferd vor "Kurier","Heute","profil", SchauTV usw., andererseits die Bundesländer-Gruppe im Sog der Styria mit ihrem Flaggschiff "Kleine", aber auch "Presse","Furche", Antenne Steiermark und Kärnten sowie den ebenfalls breit aufgestellten Häusern von "OÖN","SN","TT" und "VN". Im Vergleich zu diesen Geschwadern haben die Unternehmen hinter "Standard" und "Österreich/oe24" ebenso bloß Außenseiterrollen wie die größte Magazinholding, aus der auch "News" kommt.

Wenn die führenden Titel der konkurrierenden Printmedienallianzen ein gemeinsames Interview zum noch stärkeren gemeinsamen Rivalen veröffentlichen, ist das wie eine Verständniserklärung neuer Wettbewerbslinien: Interne Duelle sind Luxus im Vergleich zum privatwirtschaftlichen Anspruch angesichts öffentlich-rechtlicher Finanzierung und vor allem gegenüber der Bedrohung von außen. Die längst vergangene Kolonialisierungsgefahr durch deutsche Konzerne war ein zartes Lüftchen gegen das Sturmtief infolge amerikanischer und chinesischer Digitalkraken in der Austro-Medienlandschaft. Um es in nationaler Eigenständigkeit zu überstehen, braucht es ein flächendeckendes Freund-Feind-Selbstverständnis der Branche: Kooperation trotz Konkurrenz. Dafür gaben "Krone" und "Kleine" ein internes wie externes Signal. Ihr wichtigster "Frenemy" im Kampf gegen die Eroberung von außen wäre ein politisch unabhängig handlungs- und lebensfähiger ORF. Es ist keine Vorverurteilung, sondern bloß erfahrungsbedingt, zu behaupten: Das System Niederösterreich steht für das Gegenteil dieses Ziels.