Kommen, um zu bleiben

Der Fachkräftemangel wird alle anderen Krisen in den Schatten stellen. Die Antwort der Politik darauf? Eine kleingeistige und vor allem vergiftete Migrationspolitik. Das hat bis jetzt gut funktioniert – und wird uns auf Dauer das Genick brechen.

von Kathrin Gulnerits © Bild: News/Matt Observe

Es ist eine Randnotiz. Eine Begleiterscheinung vom bis jetzt bequemen Leben in der Großstadt. Es ist ein Verzweiflungsruf: „Wenn du von den Wiener Linien in der Kälte stehen gelassen wirst. Wann wird die Wiener Stadtregierung endlich auf die Personalnot reagieren?“, schrei(b)t eine Wienerin ihren Frust in die Social-Media-Welt. Die Straßenbahn ließ wie so oft in letzter Zeit auf sich warten.– ganze 26.Minuten. Der Grund: Krankenstände. Aber auch Personalmangel. Akuter Personalmangel. Ist das die neue Wirklichkeit? Es ist die neue Wirklichkeit. Viel besser wird es nicht mehr. Denn an der demografischen Entwicklung ist nicht mehr zu rütteln: zu viele Menschen, die jetzt sukzessive in Pension gehen. Zu wenig Junge, die diese Lücken füllen können.

Noch ist es ein Problem einzelner Branchen. Bald wird es die gesamte Wirtschaft umfassen. Aus dem „Fachkräftemangel“ wird ein Arbeitskräftemangel. Letzte Steigerung: Personalnotstand. Unser Leben, u..a. ausgerichtet auf schnelle und immerwährende Verfügbarkeit von der Straßenbahn bis zur Pflegekraft oder dem servierten Schnitzel, wird sich unter diesen Vorzeichen verändern. Wir befinden uns in guter Gesellschaft. Fast alle Länder suchen Fachkräfte. In den EU-Staaten mit ihren alternden Bevölkerungen werden allein im Pflegesektor bis 2030 sieben Millionen zusätzliche Stellen zu besetzen sein. Der Wettbewerb um qualifizierte Zuwanderung und das gezielte Anwerben von Fachkräften aus dem Ausland nehmen folglich längst und zwangsläufig rasant Fahrt auf. Doch wen wollen wir, und wer kommt tatsächlich?

»Wie müssten wir sein, um im Gerangel um die Arbeitskräfte nicht ins Hintertreffen zu geraten?«

Nicht alle Länder werden bei diesem Wettbewerb um die qualifizierten Arbeitskräfte als Sieger aussteigen. Auch Österreich? Ja, wenn die Politik weiter auf eine kleingeistige, rückwärtsgewandte und vor allem vergiftete Migrationspolitik setzt. Ja, wenn weiter das Gerede von der „Einwanderung in das Sozialsystem“ das dominierende Thema ist. Ja, wenn die Staatsbürgerschaft als „hohes Gut“ noch ein bisschen höher gehängt wird. Einfach so. Weil es eben bei vielen im Land (denen mit dem Glück in der Geburtenlotterie) gut ankommt. Ja, wenn nicht die Kinderbetreuung im Eilzugtempo ausgebaut wird, um Müttern mehr als nur Teilzeit zu ermöglichen. Ja, wenn der Blick in den Spiegel nicht rasch selbstkritischer ausfällt: Sind wir tatsächlich als Land so toll, wie wir zu sein glauben? Wie müssten wir sein, um im Gerangel um die Arbeitskräfte nicht ins Hintertreffen zu geraten? Zu glauben, dass die Leute schon kommen werden, weil die Berge hoch, die Seen sauber sind und das Essen gut ist, wird nicht reichen. Und ja, auch der in den vergangenen Jahren (aus vielerlei Gründen, nicht immer zu Unrecht) in den Dreck gezogene Begriff der Willkommenskultur muss in dieser Debatte zwangsläufig eine neue Aufwertung bekommen.

Der Blick nach Deutschland zeigt: Bis zu sieben Millionen Arbeitskräfte verliert das Land laut einer Studie bis zum Jahr 2035. Der Fachkräftemangel wird auf lange Sicht andere Krisen in den Schatten stellen, heißt es folglich. Die deutsche Regierung versucht es jetzt mit einer Chancenkarte, wo etwa die „Gleichwertigkeit“ mit deutschen Abschlüssen in den Hintergrund treten soll. Ob eine Ausbildung eines Ausländers reicht, soll künftig der Arbeitgeber entscheiden, nicht der Staat. Auch Einbürgerungen sollen erleichtert werden. Und wir so?