Wir folgen dem Lauf des Baches. Die Schritte federn über weichen, moosigen Wiesenboden. Der Bach verschwindet plötzlich und fließt ein Stück lang unterirdisch dahin. Wir kommen zu einer Lichtung, und da liegen große Felsbrocken und Baumstämme, die überwuchert sind von Gräsern, Heidelbeerstauden, Klee und Farnen.
Das Holz ragt zerbröselt aus diesem Sammelsurium unterschiedlicher Blattformen heraus. Lebendiges und Totes existiert nebeneinander. Die Walderdbeeren, die überall am Wegesrand wachsen, schmecken dermaßen intensiv, dass ich mir gut vorstellen kann, wie gut den Kühen die Gräser und Kräuter hier wohl schmecken würden. Doch Kühe gibt es keine. In der Kernzone des Nationalparks greift der Mensch nicht ein – Steinbock, Gams, Bartgeier und Auerhahn sind unter sich. Die Natur ist sich selbst überlassen. Umgefallene Bäume bleiben liegen, Pilze, Käfer und andere Insekten höhlen sie aus und lassen sie irgendwann wieder zu Staub werden. „Das ganze Leben auf der Erde hat so begonnen“, erklärt Ron und zeigt auf einen pistaziengrünen, erbsengroßen Fleck auf einem Felsbrocken: Das sind die ersten Flechten, die „Landkartenflechten“. Wenn sie sich gebildet haben, kommen die grauen Flechten nach.
Und irgendwann wächst Moos darauf, und wenn das Moos wächst, dann kann sich eine Humusschicht bilden, und dann geht das so weiter: Die Humusschicht wird größer, zuerst gedeihen kleine Pflanzen und Gräser darauf, dann folgen Stauden, dann kommen Bäume, und zuletzt die Tiere. „Was ich dir in zwei Minuten hier erzähle, das hat tausende von Jahren gedauert ...“
Während wir weg waren, hat Karoline, Rons Frau, den Holzofen eingeheizt und Wasser zum Kochen aufgesetzt. Als sie uns kommen sieht, ruft sie: „Kaffee?“ Ich nicke nur, nehm’ den Rucksack vom Rücken und lasse mich auf die Bank vorm Haus fallen. Der Tisch ist schon fürs Frühstück gedeckt. Wie angenehm, jetzt nichts tun zu müssen. Nach den ersten paar Bissen Frigga, das ist die Kärntner Eierspeise mit Käse und Speck, kehren die Kräfte allmählich zurück.
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