Das Milliardendebakel der BAWAG: Eine Chronologie der Ereignisse von 1994-2010

Bereits 1994 Wirbel um Spekulationsgeschäfte Insgesamt mehr als eine Milliarde Euro Verlust

Mehr als zwei Jahre nach Ende des größten Wirtschaftsverfahrens der österreichischen Nachkriegsgeschichte kommt wieder Bewegung in den BAWAG-Prozess. Die Generalprokuratur am Obersten Gerichtshof empfiehlt eine teilweise Wiederholung des Verfahrens. Eine Chronologie des BAWAG-Skandals.

Das Milliardendebakel der BAWAG: Eine Chronologie der Ereignisse von 1994-2010

Mai 1994: Sechs Jahre nach Start des Karibik-Engagements muss sich die BAWAG aus den umstrittenen Sondergeschäften zurückziehen. Der Vorwurf: Wolfgang Flöttl, Sohn des damaligen BAWAG-Generaldirektors Walter Flöttl, soll mit BAWAG-Geldern riskante Geschäfte in Milliardenhöhe betrieben haben soll.

Herbst 1995: Die BAWAG nimmt unter dem neuen Generaldirektor Helmut Elsner die riskanten "Karibikgeschäfte" wieder auf.

Oktober 1998: Die BAWAG gründet für Handel an europäischen Terminbörsen ein Joint Venture mit dem US-Broker Refco (50:50). Ein Jahr später steigt die BAWAG mit 10 Prozent bei Refco ein.

Herbst 2000: Wolfgang Flöttl verspekuliert mit Asien-Swaps mehrere hundert Millionen Euro. Die BAWAG sitzt auf einer uneinbringlichen Verlustsumme von knapp einer Milliarde Euro und hat ein Bilanzierungsproblem. Die Bank kann schließlich nur dank einer ÖGB-Garantie bilanzieren. Im Bank-Aufsichtsrat weiß nur der Präsident davon.

Juni 2004: Die BAWAG verkauft ihre Refco-Beteiligungen an das US-Investmenthaus Thomas Lee Partners, Preis laut Medienberichten 220 Mio. Dollar.

Mai 2005: Refco berichtet im Vorfeld des sommerlichen Börsegangs über Ermittlungen der US-Börsenaufsicht SEC und eine mögliche Anklage wegen Spekulationen.

August 2005: Börsegang des US-Wertpapier- und Rohstoffhändlers Refco.

Oktober 2005: Refco-Chef Bennett wird vorgeworfen 430 Mio. Dollar (359 Mio. Euro) an faulen Krediten vor dem Unternehmen verschleiert zu haben. Nach einer Vorstandsberatung bezahlt die BAWAG einen Kredit an Refco. Kurz danach gibt Refco offiziell die Freistellung von Philip Bennett bekannt. Refco-Bilanzen seien seit 2002 nicht mehr verlässlich. Der Aktienkurs fällt auf 15,60 Dollar - die Folge: 1,65 Mrd. Dollar Verlust an der Börse. Bennett wird vorübergehend verhaftet. Refco stoppt sämtliche Geschäfte seiner Kapitalmarkt-Tochter wegen Liquiditätsmangels. Der Handel mit Refco-Aktien an der New Yorker Börse wird ausgesetzt.

Oktober/November 2005: Die Refco-Gruppe ist insolvent. Die BAWAG P.S.K. räumt ein, durch Kreditlinien von 425 Mio. Euro von der Refco-Pleite betroffen zu sein. Die New Yorker Börse nimmt Refco rund zwei Monate nach dem Börsegang vom Kurszettel. Die Finanzmarktaufsicht leitet ein behördliches Ermittlungsverfahren ein.

November 2005: Die BAWAG P.S.K. klagt Refco und Phillipp Bennett wegen Betrug, Bereicherung und Irreführung. Die Bank verlangt die Rückzahlung einer Kreditsumme von 350 Mio. Euro. Auch die Staatsanwaltschaft wird eingeschaltet. BAWAG-Chef Zwettler erklärt seinen Rücktritt. Aufsichtrats-Chef Weninger betont erneut, bei der Kreditvergabe die Sorgfaltspflicht nicht verletzt zu haben. Professor Ewald Nowotny wird vom Aufsichtsrat zum neuen BAWAG-Generaldirektor bestellt. Die Amtsperiode des Zwettler-Nachfolgers soll bis Frühjahr 2008 dauern.

Dezember 2005: Die Finanzmarktaufsicht (FMA) stellt das behördliche Ermittlungsverfahren gegen die BAWAG ein. Die BAWAG habe die bisherigen Anregungen der FMA "vollständig" übernommen. Bis Ende März soll die Bank die aufgetragenen Reformschritte umsetzen.

März 2006: US-Ermittler stoßen in der Kriminalaffäre Refco auf Offshore-Konten einer Refco-Tochter auf den Bermudas. Eigentümer der "Phantom-Papieren" von Refco in Höhe von 525 Mio. Dollar sollen sechs in der Karibik ansässige Firmen sein. Die BAWAG soll Aktien an den karibischen Gesellschaften halten. BAWAG-Chef Nowotny informiert die Finanzmarktaufsicht über die damaligen spekulativen Karibik-Geschäfte. Der Verlust wir mit knapp einer Milliarde Euro beziffert. Zu einem guten Teil sei dafür Wolfgang Flöttl, verantwortlich. BAWAG-Aufsichtsratspräsident Günter Weninger enthüllt die damalige Garantie des ÖGB. ÖGB-Chef Verzetnitsch verteidigt die damalige "schwere Entscheidung", die Haftung für die BAWAG zu übernehmen. Verzetnitsch tritt zurück. Vier BAWAG-Vorstände müssen gehen. Der ÖGB-Bundesvorstand fasst in einer Nachtsitzung einen Grundsatzbeschluss zum vollständigen Verkauf der BAWAG.

April 2006: Die früheren BAWAG-Chefs Helmut Elsner und Johann Zwettler werden wegen des Verdachts der Untreue einvernommen. Elsner tritt aus der SPÖ aus und kommt damit einem Ausschlussverfahren zuvor. Das Straflandesgericht Wien leitet gegen Verzetnitsch und Weninger Vorerhebungen nach Paragraph 255 Aktiengesetz ein. Refco-Gläubiger suchen indessen bei einem US-Gericht um Erlaubnis an, von der BAWAG mehr als 1,3 Mrd. US-Dollar (rund 1 Mrd. Euro) einzufordern und beschuldigen die Bank der Beihilfe zum Betrug. Die Gewerkschaftsbank sieht sich weiterhin selbst als Opfer eines Riesenbetruges. Österreichs Hochfinanz setzt sich zu einer konzertierten Aktion zur Schadensminimierung bei der BAWAG und auch für den heimischen Finanzplatz zusammen. Das Krisenmanagement obliegt der Österreichischen Nationalbank. Ein US-Richter friert das gesamte BAWAG-Vermögen in den USA ein.

September 2006: Der Ende Juni 2006 abgeschlossene Vergleich der BAWAG P.S.K. mit den Geschädigten des Refco-Skandals in den USA tritt in Kraft.

Dezember 2006: Die BAWAG P.S.K. wird an ein Konsortium unter der Führung des US-Investors Cerberus verkauft. Cerberus nimmt für die fünftgrößte Bank des Landes rund 3,2 Mrd. Euro in die Hand. Der ÖGB muss mit dem Verkauf seine existenzbedrohenden Schulden abbauen.

Februar 2007: Ex-BAWAG-Generaldirektor Helmut Elsner wird von Frankreich nach Österreich ausgeliefert.

Juli 2007: Im Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Landesgerichts beginnt der BAWAG-Strafprozess, das größte Wirtschaftsverfahren der österreichischen Nachkriegsgeschichte.

Juli 2008: Alle neun Angeklagten werden schuldig gesprochen, acht müssen ins Gefängnis. Lediglich Ex-BAWAG-Vorstand Christian Büttner erhält nur eine bedingte Strafe. Der Hauptangeklagte Elsner wird zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt. Zwettler erhält fünf Jahre Haft, Nakowitz vier Jahre. Für Flöttl werden von zweieinhalb Jahren Haft zehn Monate unbedingt ausgesprochen.

September 2010: Das Wiener Straflandesgericht weist den Antrag Helmut Elsners auf elektronisch überwachten Hausarrest zurück. Der ehemalige BAWAG-Generaldirektor bleibt damit weiter in U-Haft.

Oktober 2010: Die Generalprokuratur am Obersten Gerichtshof hat ihre Rechtsansicht zu den Nichtigkeitsbeschwerden im BAWAG-Verfahren fertig gestellt und empfiehlt eine teilweise Wiederholung des BAWAG-Prozesses.

(apa/red)