Wie Covid unser Sexleben veränderte

Der Sommer lässt ein vorsichtiges Aufatmen zu. Die Menschen trauen sich wieder, sich einander anzunähern. Gerade bei Paaren mit Kindern ließ die Coronakrise häufig die Lust verpuffen. Viele wagen sich erst behutsam wieder an das Thema Sex. Doch auch Singles fühlen sich überfordert und erschöpft. Können sich unsere sozialen Beziehungen rasch an die neue Normalität gewöhnen - oder brauchen wir noch Zeit?

von Paar im Bett © Bild: Shutterstock.com/LilacHome

Mit den Öffnungsschritten kamen auch die Tinder-Dates zurück. Kaum ein Restaurant-oder Barbesuch vergeht, ohne dass man am Nebentisch verlegene Singles beim holprigen Annäherungsversuch beobachten kann.

Die Coronakrise blieb nicht ohne Folgen auf unser soziales Verhalten. Vor allem was soziale Bindungen betrifft. Manche Paare erlebten durch die (gezwungenermaßen) gemeinsam verbrachte Zeit ein wahres Comeback der Romantik. Für andere war Sex gar kein Thema. Auch wenn der Schluss naheliegen würde, so bleibt fraglich: Holen wir diesen Sommer wirklich all das nach, was wir letztes Jahr verpasst haben?

Libidokiller Stress

Paar beim Schmusen
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Wie Menschen ihr Sexleben während Corona bewerten, ist je nach Lebenssituation sehr unterschiedlich, weiß Sexualmedizinerin Michaela Bayerle- Eder: "Erst kürzlich wurde eine große australische Studie veröffentlicht, in der Singles und Verheiratete unter 30 Jahren befragt wurden. Die Mehrzahl der Befragten hat während der Coronakrise eine Verschlechterung der Sexualität bemerkt. Menschen in fixen Partnerschaften haben aber durchaus eine Verbesserung erlebt."

Paare mit Kindern erlebten die Krise als fordernd und lusttötend, während Paare ohne Kinder sexuell aufblühten. "Viele konnten sich wieder neu entdecken und haben sexuell wieder zueinander gefunden. Sicher auch deshalb, weil es einfach war", erklärt Bayerle- Eder.

© stoiber-psychologie.at Laura Stoiber

Zudem war es während der Lockdowns schwieriger, sexuelle Beziehungen zu Menschen außerhalb der Partnerschaft zu unterhalten. "Die Affäre am Arbeitsplatz konnte man weniger häufig bis gar nicht treffen, die After-Work-Drinks sind weggefallen. Paare, die vorher schon große Probleme gehabt haben, haben sich in der Krise eher getrennt, während andere Paare wieder zusammengerückt sind. Das ist so zu erklären, dass die qualitative Kommunikation gestiegen ist -und auch das Vertrauen. Man war nicht mehr so abgelenkt vom Außen. Man hat die Krise gemeinsam überstanden und somit ein emotionales Ereignis gemeinsam gemeistert. Dadurch hat sich die emotionale Bindung verstärkt", erklärt Psychologin Laura Stoiber.

Gerade Stress hat einen besonders negativen Effekt auf das eigene Lustempfinden. "Viele haben sich durch die Pandemie so gestresst gefühlt, dass keine Zeit für Intimität oder Sex blieb. Einige waren sogar erleichtert, dass niemand von ihnen erwartete, ein aktives Sexleben zu führen. Je mehr Stress die Leute haben, desto weniger Sex haben sie", so Stoiber. Weniger gestresste Paare hätten sogar mehr Sex als sonst gehabt. "Manche Menschen sehnen sich in Krisenzeiten nach Sicherheit, die sich durch Liebe und Sexualität herstellen lässt." Kurzum gibt es zwei Tendenzen, erklärt die Psychologin: "Je nachdem, wie gut man den Stress durch die Krise bewältigen kann und wie viele Ressourcen man hat."

Nichts versäumt

Michaela_Bayerle_Eder
© MedUni Wien/Matern Michaela Bayerle-Eder

Wer sich nun wieder zu viel vornimmt, riskiert möglicherweise eine Flaute im Bett, erklärt Bayerle-Eder: "Neben dem Stress im Job macht sich auch wieder Freizeitstress bemerkbar. Dadurch hat man weniger Ressourcen für Körperlichkeit. Unsere Gesellschaft ist immer auf der Suche nach Neuem und Besserem. Man bekam das letzte Jahr die Chance geboten, aus dieser Verbesserungsspirale herauszukommen. Man konnte in einen Raum von Gelassenheit eintreten, weil man wusste: Ich kann ja gar nirgends hin! Ich versäume nichts! Wenn wir uns jetzt wieder auf diesen Wettkampf einlassen, dann fehlen uns an anderen Stellen wieder die Ressourcen. Ständig viel zu tun zu haben, ist ein Lustkiller."

Zwischen Lust und Angst

Das weltweite Distanzgebot hat Dating-Apps wie Tinder und Co. für viele zur einzigen Möglichkeit gemacht, überhaupt potenzielle Partner kennenzulernen. Das hat Spuren hinterlassen. Laut einer Umfrage des Datingportals Parship fühlen sich vor allem Singles und Menschen unter 30 gerade besonders lustlos und erschöpft. 40 Prozent der befragten Singles gaben an, von dem plötzlichen Rückkehr zur Normalität überfordert zu sein.

"Viele müssen sich wieder umstellen. Das kann auch anstrengend sein. Derzeit erleben es viele meiner Klienten als erschöpfend, mit dem 'neuen' Leben klarzukommen und die Reize zu verarbeiten", erklärt Stoiber.

Euphorische Rückkehr

Gelegenheitssex wird aber gerade jetzt tendenziell zunehmen, meint sie. "Das liegt auch am Sommer, da nun generell die Lust steigt." Risikoreiches Verhalten, vor allem in Form von Gelegenheitssex, wird während der Krise aber generell sehr unterschiedlich gehandhabt, weiß Stoiber. Es wird eine höhere Risikobereitschaft an den Tag gelegt, wenn Menschen mit der eigenen Sterblichkeit konfrontiert werden: "Sie möchten ihr Leben noch in vollen Zügen leben und Erfahrungen sammeln, damit sie am Ende ihres Lebens nichts bereuen."

Bayerle-Eder erklärt dies mit Euphorie: "Vermutlich haben wir es jetzt mit einer 'überschießenden Rückkehr' zur Normalität in Bezug auf gemeinsame Körperkultur und Beisammensein zu tun. Aber meine Vermutung ist: Es wird sich langfristig wieder einpendeln."

Der soziale Rückzug aufgrund von Angst ist das umgekehrte Phänomen. "Fest steht: Das Sozialverhalten der Leute hat sich massiv verändert", so Bayerle-Eder. "Die Menschen sind immer noch sehr zurückhaltend. Es gibt aber sicherlich Menschen, die einen großen sozialen Nachholbedarf verspüren. Vor allem diejenigen, die viel alleine waren."

Physischer Kontakt

Physischer Kontakt zu anderen Menschen ist lebenswichtig. Das hat die Coronakrise eindrucksvoll gezeigt. Berührungen setzen das Hormon Oxytocin frei, das stimmungsaufhellend, antidepressiv und schlaffördernd wirkt. Studien belegen diesen Effekt von körperlicher Nähe auf das Immunsystem, erklärt Bayerle-Eder: "Untersuchungen in vielen Krankheitsbereichen zeigen, dass Erkrankte schlechter gesunden, wenn sie eine Krankheit alleine bewältigen müssen, als wenn sie so eine Situation mit dem Partner bewältigen."

Die monatelange Abwesenheit des physischen Kontakts hat fatale Konsequenzen auf die menschliche Gesundheit. "Fehlende Berührungen können in vielerlei Hinsicht krank machen", erklärt Stoiber. Süchte, Depressionen, geringer Selbstwert, Stress und erhöhter Blutdruck können mögliche Folgen sein. "Kurzum: Ohne soziale Nähe und körperlichem Kontakt werden wir Menschen auf Dauer physisch und psychisch krank."

Das bestätigt auch Sexualmedizinerin Michaela Bayerle- Eder. Während der Coronakrise sei es zu einem deutlichen Anstieg an verschreibungspflichtigen Stimmungsaufhellern gekommen: "Viele junge Frauen nehmen jetzt, nach diesem letzten Jahr, Antidepressiva. Darunter sind viele Frauen, die eigentlich immer psychisch gesund waren, nie große Lebenskrisen hatten. Das zeigt recht deutlich, dass es eine Zunahme an Depressionen gibt."

Die richtige Balance

Sowohl für Paare als auch für Singles ist es jetzt wichtig, soziale Kontakte zu pflegen, ohne sich mit Freizeitstress zu überfordern. Die Rückkehr zur Normalität kann zwar anstrengend sein, aber auch eine Chance - gerade für Paare, weiß Stoiber: "Beziehungen wachsen schließlich auch durch neue Erlebnisse und gemeinsame Erfahrungen sowie durch gemeinsame emotionale Momente. Neue erlebte Abenteuer schweißen zusammen."

Auch Singles müssen sich langsam wieder an die Normalität gewöhnen. Denn vor allem bei der Partnersuche können Apps, Videochats und Co. eines niemals ersetzen: die heilende Kraft einer liebevollen Berührung.