Rufer in der Wissenswüste

Politiker haben es längst eingebüßt. Journalisten verlieren es zunehmend. Doch Experten genießen weiterhin großes Vertrauen. Ein Maßstab dafür ist Medientauglichkeit. Auch deshalb ist Peter Klimek der Wissenschaftler des Jahres.

von Rufer in der Wissenswüste © Bild: Gleissfoto

Weil alles mit allem zu tun hat, lohnt ein Blick zurück: 2006 verblüffte das Edelman Trust Barometer mit "a person like yourself" als vertrauenerweckendster Auskunftsperson in den USA. Da schliff das erst zwei Jahre alte Uni-Netzwerk Facebook seine Zugangsbarrieren und ließ alle über 13 teilhaben. Bald darauf war die Glaubwürdigkeit von Seinesgleichen ausgerechnet infolge ihrer Entstellung zur Kenntlichkeit via Social Media erschöpft. Das größte Vertrauen als Informationsquelle genießt seitdem der "academic expert".

Dieser Trend hält an. Herkömmliche Medien nutzen ihn zur Stärkung der eigenen Position. Besonders deutlich wird dies seit Beginn der Pandemie. Vor zwei Jahren, 2020, war der Prozentsatz virologischer Kenntnisse in Redaktionen von Massenmedien kaum höher als in der Bevölkerung. Corona wirkt als Auftrittsturbo für Experten. Folgerichtig ist nach der Medizinerin Elisabeth Puchhammer-Stöckl 2020 der Physiker Peter Klimek Österreichs "Wissenschaftler des Jahres" 2021. Die Auszeichnung stammt vom 150-köpfigen Klub der Bildungs- und WissenschaftsjournalistInnen. Er verleiht sie an Forscher, die sich "besonders um die leicht verständliche Vermittlung ihrer Arbeit verdient gemacht" haben. Die seit 1994 verliehene Ehrung wirkt also durchaus missverständlich. Sie suggeriert die Würdigung der Wissenschaft, honoriert aber ihre Kommunikation. Das vertieft den Zwiespalt von akademischer Blase und öffentlicher Wahrnehmung. Denn die Vermarktung ihres Tuns gehört nicht zur ursprünglichen Stellenbeschreibung einer Forscherin. Universitäten galten lange geradezu als Sinnbild des Elfenbeinturms – der freiwilligen Abgeschiedenheit in einer eigenen Welt ohne Rücksicht auf die schnöden Tagesprobleme der Gesellschaft.

Das Gros der Wissenschaft ist sich derart bis heute selbst genug. Das heißt aber nicht, dass es frei von Neid auf die erfolgreichen Ausreißer in den Medien reagiert. Die Community übt sich in offiziell unausgesprochener, hinter der Hand aber umso intensiverer Missachtung ihrer populären Übersetzer, der Rufer in der Wissenswüste: Vorzugsweise geht das in die Richtung, die seien ja gar keine echten Forscher mehr, sondern eher Vermarkter oder – etwas böser – bloß noch Journalisten.

Es kann ihnen wurscht sein. Der Erfolg gibt ihnen recht. Jede Branche hat mehr Neidgenossenschaft als Leuchttürme. Die Pandemie-Krise zeigt aber, dass es für eine intakte Dreiecksbeziehung von Wissenschaft, Journalismus und Gesellschaft wichtig ist, weiter aufeinander zuzugehen. Das beginnt mit der Position von Fachredakteuren in Massenmedien und dem Stellenwert von Kommunikation in Hochschulen. Beide haben sich erhöht, sind aber immer noch zu gering. Das geht weiter mit dem Abbau der nach wie vor weit verbreiteten gegenseitigen Missachtung, die letztlich nur ein Ausdruck von Unsicherheit wegen Inkompetenz im jeweils anderen ist. Das endet mit einer Überprüfung von Rangordnungen – der Ressorts in Medien und der Fächer an Universitäten.

Unter bisher 29 "Wissenschaftlern des Jahres", die "auch das Image der österreichischen Forschung in der breiten Öffentlichkeit gehoben haben", findet sich mit dem Ökonomen Christoph Badelt (1999) nur ein Vertreter der Sozialwissenschaften. Sie aber stellen die Mehrheit der öffentlichen Welterklärer. Peter Filzmaier etwa steigert seit vielen Jahren das gesellschaftliche Verständnis für Politik. Dass er dabei oft mehr wie ein Journalist als wie ein Wissenschaftler wirkt, sollten die Hüter einer vermeintlich reinen Lehre nicht als Makel, sondern Glücksfall sehen. Denn es fördert die allgemeine Anerkennung beider Bereiche.