Ausgeträumt und aufgewacht

Der Tourismusbranche gehen die Mitarbeiter aus. Das ist schlecht für uns alle, aber gut für die Betroffenen. Wer nicht umdenkt, hat Pech gehabt.

von Leitartikel - Ausgeträumt und aufgewacht © Bild: News/ Matt Observe

Wenn es wichtig ist, muss der Kanzler ran. Mit allem Drum und Dran. Hübsche Fotos inklusive. Die Herkunftskennzeichnung bei Lebensmitteln ist so eine wichtige Sache. Also wurde der Kanzler dafür entsprechend in Szene gesetzt: mit Brettljause und einem Stück Butter in der Kanzlerhand - das Ganze garniert mit einer rot-weiß-roten Flagge. So viel Zeit für Bildsprache, die ans Herz gehen soll, muss sein. Das kann man machen. Muss man aber nicht. Schon gar nicht, wenn "Kanzler" auf der Visitenkarte steht. Andererseits: Die Latte für das nächste offizielle Foto liegt jetzt hoch - der Kanzler in Lederhose. Gerne auch mit Bierkrug und Stelze in der Kanzlerhand. Es geht schließlich um die rotweiß-rote Tourismusbranche, die in Sachen Gastfreundschaft plötzlich den Gürtel enger schnallen muss. Es fehlen nämlich im großen Stil Köche für das Schnitzel und Kellner für den Spritzer. Teilzeitkräfte, Vollzeitkräfte, Praktikanten und Gelegenheitsjobber. Aktuell sind rund 15.555 Jobs zu vergeben. Vor drei Jahren waren es nur halb so viele. Die Branche spricht von bis zu 35.000 fehlenden Kräften. Je näher die Sommersaison rückt, desto lauter wird das Wehklagen. Denn schon jetzt zeigt der Personalmangel Wirkung: unfreiwillige Schließzeiten, reduzierter Service, gesperrte Restaurantbereiche, verwunderte Gäste. Erklärungsversuche gibt es viele. Niedrige Löhne, familienfeindliche Arbeitszeiten sind gern gewählte Antworten. Ebenso gern wird auf die vermeintlich komfortable soziale Hängematte in diesem Land verwiesen. Die Argumentationsgrenzen, ob jemand partout nicht arbeiten oder eben einen konkreten Job nicht will, sind dabei fließend. Der Ruf nach einer Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen ist die Begleitmusik.

»Der Kampf um die willigen, aber nicht mehr billigen Kräfte ist eröffnet«

Einfache Antworten gibt es nicht. Ehrliche Antworten würden ohnehin reichen. Denn der Personalmangel ist längst nicht nur eine Auswirkung der Pandemie. Zur Wahrheit gehört auch: Das Problem ist hausgemacht - und liegt jetzt mit einer neuen Brisanz auf dem Tisch. Viele in der Branche haben sich sehenden Auges in diese Krise manövriert. Insbesondere jene, die jetzt plötzlich mit leuchtenden Augen von ihren neu gebauten Mitarbeiterhotels berichten. Jene, die vorher kein Problem damit hatten, Kellner und Co. in abgewohnten Zimmern einzuquartieren. Jene, die zu geizig für das Feierabendbier ihrer Angestellten waren. Jene, die zwar fünf Sterne auf der Eingangstür kleben haben und den Gästen etwas von "small" und "leading" vorschwärmen, aber von den Praktikanten verlangen, dass sie Handtücher, Kopfkissen, Bettdecke, Bettwäsche und Bettlaken mitzubringen haben. Immerhin: Die Matratze wird gestellt

Der Fachkräftemangel wird in den nächsten Jahren das bestimmende Thema auf dem europäischen Arbeitsmarkt sein. Nicht nur im Tourismus, aber auch hier. Der demografische Wandel lässt grüßen und hat den Kampf um die Talente, um die willigen, aber eben nicht mehr billigen Fachkräfte längst eröffnet. Das ist gut so. Jammern zwecklos. Wir werden uns umstellen müssen. Die Arbeitgeber. Und die Gäste.

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