"Bis 80 ist Pflicht,
der Rest ist Kür"

Er sei völlig aus der Zeit gefallen, sagt der Kabarettist und Autor Werner Schneyder, der kürzlich seinen 80. Geburtstag feierte. Im Interview beklagt er den Witzverfall und warnt vor dem Islam

von Kabarett - "Bis 80 ist Pflicht,
der Rest ist Kür" © Bild: Sebastian Reich News

Herr Schneyder macht Ihnen der Jubeltag zu schaffen?
Schon. Man würde sich belügen, wenn man nicht an sich Dinge spürte, die einen belästigen. Auf der anderen Seite kann ich rückschauend sagen: Es war herrlich. Ich kann meinem Schicksal keinen Vorwurf machen. Tragödien, Unfälle, auch Fehler gibt es natürlich. Aber in Summe habe ich ein halbes weinendes und eineinhalb lachende Augen.

Und dieses gewisse Gefühl der Endlichkeit?
Ich habe sehr früh begonnen, mich damit auseinanderzusetzen. Das hilft mir heute. Ich war mein Leben lang das Opfer einzelner Sätze, die für mich zum Programm werden. Und ein magischer Satz kam vom Tiefenpsychologen C. G. Jung: "In der Lebensmitte wird der Tod geboren." Das habe ich mir ab meinem 45. Geburtstag zu eigen gemacht. Seither denke ich ständig nach: "Wie viel Zeit habe ich noch? Zahlt sich das aus?" Und irgendwann einmal habe ich mir den Satz kreiert: "Bis 80 ist Pflicht, der Rest ist Kür."

Für die braucht es aber neben Anmut auch hohe Körperbeherrschung.
Wenn man es auf das Hirn bezieht, stimmt das schon: Man denkt noch genauer, ist in seinen Entäußerungen noch skrupulöser. Wenn man etwas umbringen will, sei es eine künstlerische oder eine politische Haltung, tut man es noch genauer. Und da man mit diesen Bemühungen ja meist erfolglos geblieben ist, war man offenbar immer noch nicht genau genug.

© Sebastian Reich News "Thomas Bernhard war psychologisch ein Faschist"

Mit der Prognose, Thomas Bernhard werde nach seinem Ableben binnen kurzer Zeit vergessen sein, sind Sie doch gescheitert?
Das gebe ich zu, bin aber immer noch der Meinung, dass ich mich nur in den Dezennien geirrt habe. Weil der Bernhard in einem psychologischen Sinn ein Faschist ist mit seinen flächendeckenden Urteilen.

Und Elfriede Jelinek, die heute eine der wichtigsten politischen Autorinnen ist? Sind Ihre Angriffe gegen sie nicht auch etwas pauschal geraten?
Wenn jemand seine persönlichen Probleme gesamtgesellschaftlich hochrechnet, ist das unlauter. Ein Individuum mit persönlichen Problemen ist nicht notwendigerweise ein Beispiel für die ganze Gesellschaft. Kunst ist, was darüber hinausgeht.

Glauben Sie an so etwas wie ein Jenseits? Mit anderen Worten: Werden Sie die Endlichkeit oder Unsterblichkeit Ihrer eigenen Werke überprüfen können?
Ich glaube an nichts, also auch nicht an nichts. Ich bin neugierig, was kommt.

Aber erwarten können Sie es schon?
Und ob. Ich kann nicht umhin zu sagen, dass ich gern lebe, und zwar von früh bis spät.

»Der Comedy-Boom hat nicht qualifizierbare Idioten emporgespült«

Stimmen Sie zu, dass es intellektuell doch etwas flacher geworden ist? Gibt es überhaupt noch große Kabarettisten?
Es gibt in jeder Generation eine Spitze und dann den Bodensatz, der sich ausdünnt. Aber ich möchte meinen, dass es auch in der Nachfolgegeneration der Großen exzellente Leute gibt. Hader, Dorfer, Vitásek, Scheuba, Maurer: Da sind Texte dabei, die absolut Literatur sind.

Bei Stermann &Grissemann können Sie lachen?
Manchmal.

Laut?
Ich lache prinzipiell nicht gern laut, lieber in mich hinein.

Wie gefallen Ihnen denn die Krawallkabarettisten, die das deutsche Fernsehen übernommen haben?
Der Comedian macht Witze, damit die Leute lachen. Der Kabarettist macht Witze, damit die Leute auf etwas draufkommen. Manchmal vermischen sich die Formen. Aber der Comedy-Boom in Deutschland hat Idioten emporgespült, die nicht mehr qualifizierbar sind.

Aber ihr Publikum haben sie.
Sicher! Leute, die sich in Masse entschlossen haben, zu lachen, lassen sich durch niemanden auf der Bühne davon abbringen.

© Sebastian Reich News Schneyder in seiner Wiener Wohnung

Wie stehen Sie denn zum Fall Böhmermann? Zum Gedicht gegen Erdoğan und zu den Folgen?
Ich rede kein Wort über die Qualität des Textes. Ich rede nur über die Ungeheuerlichkeit eines Zurufs aus dem Ausland, der diesen Text verbieten will. In einer Demokratie kann man auch als Kabarettist so schlecht sein, wie es einem lustig ist.

»Die asozialen Meiden begünstigen Hetze, Hass und Primitivität«

Werfen wir einen Blick über die Jahre. Ist die Zeit besser oder schlechter geworden?
Die Zeit ist wieder bewegt, so wie die des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg und dann die Revolte des Jahres 1968. Jetzt sind wir in einer dramatischen Situation. Auf der einen Seite läuft die globale Ökonomie an die Wand: Ein Pyramidenspiel scheitert. Auf der anderen Seite hat die benachteiligte Menschheit - also der größte Teil - durch die asozialen Medien die Möglichkeit, einen Protest zu artikulieren, der Primitivität, Hass und Hetze produziert. Die werden damit alltäglich und schließlich hoffähig. Sogar der amerikanische Präsident regiert über Twitter! Und die Gesellschaft lässt mit einem missverstandenen Freiheitsbegriff und einer vertrottelt-romantischen Angst vor Zensur alles zu. Aus niedrigsten Beweggründen können Leute diffamiert werden. Und wieder humpelt die hilflose Politik hinterher. Das ist im Moment der beschämendste Berufsstand.

Wie ist es denn mit der Politik so weit gekommen?
Sie ist eingekauft. Die Ökonomie wedelt mit dem Schwanz Politik. Sie vernichten die soziale Balance, die Bildung, die Umwelt. Und damit über den Waffenhandel noch ein kleiner Wachstumsimpuls da ist, lassen sie auswärts Krieg führen. Der moralische Zustand ist niederschmetternd. Es besteht zum Beispiel Konsens darüber, dass man der Flüchtlingskrise begegnen muss, indem man in den Krisenregionen den Frieden wiederherstellt. Zugleich liefern Russland, Amerika und Deutschland genau dorthin Waffen. Liefe das nicht seit Jahrzehnten so, müssten die Kriegsparteien sich mit bloßen Händen erwürgen.

War denn die Politik einmal besser?
Die Aufgabenstellungen waren klarer ablesbar. Heute gibt es den Politikertypus "Krisenmanager", die rührendste und zugleich entbehrlichste Figur. Denn es geht ja nicht darum, eine Krise zu managen, sondern einer Krise vorzubeugen.

Bei der Bundespräsidentenwahl haben wir aber noch zusätzlich Maßstäbe gesetzt.
Da wollte sich Österreich einen Platz im Buch der Rekorde sichern. Das gehört in den Bereich "Liebenswürdigkeit", Abteilung Realcomedy.

Teilen Sie die Angst vor dem Rechtsruck?
Der globalisierte Kapitalismus lässt so viele Leute zurück, dass eine revolutionäre Situation entsteht. Die Politik müsste einmal Grundsätzliches feststellen: Eine gewisse Anhäufung von Geld ist sinnlos, weil diese Leute ja auch nicht 150 Jahre alt werden können. Ich habe aber trotzdem ein Problem mit dem Begriff "Verteilungsgerechtigkeit", denn was ist schon gerecht? Ich bin für Verteilungsvernunft: Wie schaffe ich keine revolutionären Situationen? Das letzte große Aufbegehren war links. Das ist gescheitert, die Heilslehre hat nicht gegriffen. Der nächste Schritt wäre gewesen: eine Situation zu schaffen, dass die Leute nicht wieder eine Heilslehre haben wollen. Das hat man versäumt, und jetzt ist die Heilslehre rechts. Neue Nationalismen entstehen, und das friedliche Weltbild, das wir uns nach dem Krieg erträumt haben, geht den Bach hinunter. Das Resultat ist die Apokalypse in Aleppo.

»Das Kopftüchl ist mir wurscht. Aber die Burka widerspricht dem Vermummungsverbot, das auch bei Demonstrationen gelten muss«

Wie weit soll man denn dem Islam gegenüber Toleranz walten lassen?
Wir haben den Katholizismus domestiziert und ihn dazu gebracht, die staatliche Hoheit anzuerkennen, sodass er sich im Rahmen der Demokratie bewegt. Und jetzt kommt eine Religion, die Toleranz beansprucht, aber keine Sekunde daran zweifelt, dass ihre Gesetzeslehre über der des Bürgerlichen Gesetzbuchs steht. Da ist die Diskussion für mich beendet. Man hat in Deutschland jahrelang zugesehen, wie Imame zur Ausrottung der Ungläubigen aufgefordert haben, und meine Toleranz endet schon dort, wo mich jemand einen Ungläubigen nennt. All das ist nicht tolerierbar, da kann ich nur höflich um Ausreise bitten.

Und das Kopftuchverbot?
Das Kopftüchl ist mir wurscht. Aber die Burka widerspricht dem Vermummungsverbot, das auch bei Demonstrationen gelten muss. Wenn ich gegen etwas demonstriere, muss man mein Gesicht sehen, sonst habe ich nicht die moralische Qualität zur Demonstration.

Sind Sie noch ein Linker?
Ein freischwebender. Ich bin sozialpolitisch links, in vielem konservativ, grundsätzlich liberal und grün sowieso. Nur das andere, das ich nicht genannt habe, fällt bei mir weg. Reden wir noch über den Verfall der Sprache und des Lesens? Die Literatur hat immer ihr Segment, aber der allgemeine Sprachverfall ist unausweichlich: einerseits über die Stotterverständigung der neuen Medien, andererseits über die Soap-Operas, deren Autoren vorgeschrieben wird, wie viele und welche Worte in einem Satz vorkommen dürfen. Das sind Sprachregelungen in Richtung Vertrottelung.

Sind Sie mit Ihrer Sprachzentriertheit nicht komplett aus der Zeit?
Total. Vor 50 Jahren war die Sprache, in der ich rede oder schreibe, nichts Besonderes. Heute rede und schreibe ich immer noch so, aber man hat hinter mir eine Zeit vorbeigezogen. Schauen Sie einmal dort hinüber. Da steht meine alte mechanische Olympia-Reiseschreibmaschine. Ich habe mit ihr gelebt, und sie für einen Computer zu verlassen, wäre Treuebruch. Ich habe seinerzeit sogar die elektrische Schreibmaschine verweigert, weil ich den Gegendruck vermisst hätte. Ein Pianist spielt ja auch nicht auf der Hammondorgel.

© Sebastian Reich News News-Kulturressortleiter Heinz Sichrovsky gratuliert seinem alten Freund Werner Schneyder zum 80er

Werner Schneyder

wurde 1937 in Graz geboren und ist promovierter Publizist. Er begann als Journalist, Barsänger und Sportkommentator und wurde dann - legendär mit Dieter Hildebrandt - ein Kabarettist von satirischer Hochbrillanz. Heute tritt er nur noch selten auf - zuletzt an seinem 80. Geburtstag, dem 25. Jänner, im Akademietheater. Schneyder lebt in Wien.

Das Buch
Schneyder thematisiert im Dialog mit sich selbst die großen und kleinen Lebensthemen: Liebe, Tod, Politik, Sport, Essen, Trinken Gespräch unter zwei Augen. Amalthea, € 22

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