Warum Liebe Leiden schafft

Man liebt sich, man entliebt sich. Und man trennt sich. Das gehört dazu. Unsinn! Auch ohne Trennung darf es, ja muss es emotionale Verschnaufpausen geben. Die Regulation von Nähe und Distanz ist der Tenor der Liebe.

von Liebes Leben - Warum Liebe Leiden schafft © Bild: Nathan Murrell

Eine harmonische Liebesbeziehung ist wie das wellenförmige Auf und Ab des oststeirischen Hügellandes. Moderate Steigungen im Wechsel mit Niederungen, in die man sinken kann. Und wenn man sinkt, dann in Mulden, aus welchen man wieder aufsteigt und über die man gemeinsam wieder hinausschaut auf ein aussichtsreiches Panorama. So die Liebe in Kurzform. Solang Paare gemeinsame Wünsche haben und Pläne schmieden, ist alles gut. Wenn sie sich mutwillig voneinander in den Abgrund gerissen fühlen, sollten sie sich abseilen.

Einander zu lieben, ist, wie in einer Seilschaft zu sein, sich gegenseitig abzusichern, sich nicht runterzuziehen, sondern da zu sein. Die Realität sieht anders aus: Seile verheddern sich, Menschen werden losgelassen, Beziehungen reißen ab. Es folgt der freie Fall ins Nichts, erzählen mir in meiner Praxis viele Liebesopfer. Und viele verzichten dann auf die große Liebe und finden jemanden, der ihnen nicht so nahekommt, mit dem sich lieber leben lässt. Denn Liebe tut nämlich eines, das vielen gegen den Strich geht: Sie macht abhängig.

Und nicht nur das. Zu lieben, macht maximal verletzlich. Gerade das wollte Marcel nicht. Der Unternehmer hatte sich von seiner großen Liebe getrennt, nachdem sie ihm im Zorn eine Papaya nachgeworfen hatte. Immer wieder hatten unmotivierte Gefühlsausbrüche von Jana das Liebesglück erschüttert. Dann das Aus, worüber er zunächst erleichtert war. Oder eher "wie erleichtert". Denn dann kam das, was als emotionaler Absturz und Verlustschmerz nach einer Trennung bezeichnet werden kann: Marcels Tinder-Dates gingen buchstäblich in die Hose. Er hatte noch immer und einzig Gefühle für Jana. Ihm fehlte alles an ihr, sogar ihre toxischen Seiten. Und der Wurf mit der Papaya erschien nachträglich in einem anderen Licht und war negative Aufmerksamkeit, denn man warf schließlich nicht nach jedem mit exotischen Früchten. Sein Beziehungsmuster, sich in launische, in der Fachsprache "stimmungsinstabile", Frauen zu verlieben, kam nicht von ungefähr. Wir alle sind geprägt von ersten Beziehungserfahrungen. Marcels Mutter hatte ihm als Knaben das Gefühl vermittelt, ihr zur Last zu fallen. Daraus entwickelt sich das Selbstbild einer Person, die um alles kämpfen muss. Soll heißen: Marcel brauchte den Kampf nicht nur, um sich zu spüren, sondern auch, um sich geliebt zu fühlen.

Und Jana? War nie wirklich verliebt, weil ihr die Liebe zu gefährlich war. Sie kam mit ihm zusammen, weil er sich so um sie bemüht und wenig Zeit hatte wie ihr Vater. Ihre Eltern hatten sich früh getrennt. Ihr Vater, bei dem sie geblieben war, hatte nur für die Arbeit gelebt. So hatte sie es empfunden, auch wenn der Vater von sich glaubte, alles für seine Kinder getan zu haben. Beide hatten es nicht leicht gehabt in den wichtigsten Jahren ihrer Persönlichkeitsentwicklung. Bindung bedeutete für beide gleich viel Verlockung wie Gefahr.

Was tun, wenn man sich "an den Falschen" bindet?

Und jeweils daraus Dramen entstehen und Gefühlschaos? Zunächst mal auf sich selbst schauen. Ja. Bitte wirklich. Bevor Sie mit jemandem eine Seilschaft eingehen, beachten Sie, ob dieser Mensch es überhaupt verdient hat, Ihr größtes Geschenk des Vertrauens zu erhalten. Geht die Person verantwortungsvoll mit Ihren Gefühlen um? Wenn Sie mit Ihrer gesunden Intuition in Kontakt bleiben, anstatt einem visionären Wunschbild nachzuhängen, geht es um kein Auffüllen einer inneren Leere durch jemanden, der so ähnlich gestrickt ist wie Ihre ersten möglicherweise toxischen Bezugspersonen. Es geht nicht um Kämpfe und Beweiserbringungen. Sondern wirklich nur um das Wichtigste im Leben: bedingungslose Wertschätzung. Es geht um die wahre Liebe.

Prof. Mag. Dr. Monika D. Wogrolly, Philosophin und Psychotherapeutin
Haben Sie noch Fragen? Schreiben Sie mir bitte: praxis@wogrollymonika.at