Vorfreude auf Currentzis und MusicAeterna

Schreihälse und Internet-Kasper belästigen anhaltend die Salzburger Festspiele. Nachdem sie mit der Kampagne gegen Anna Netrebko selbstbeschädigend gescheitert sind, geht es jetzt gegen andere Ausnahmekünstler.

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Dass man sich schon zu Ferienbeginn auf die Salzburger Festspiele freuen könnte, wäre einem zu Zeiten vergangener Intendanzen nicht in den Sinn gekommen. Mittlerweile ist das bekanntlich anders, und deshalb verweise ich Sie (nicht ohne Hintergedanken, Sie kennen mich) auf zwei zumindest dramaturgisch herausragende Ereignisse: Das Konzert "In memoriam" am 25. Juli steht im Zeichen des Gedenkens, explizit der Opfer des Kriegs (Paul Dessaus Klavierwerk "Guernica" nach Picassos pazifistischem Leuchtturmwerk) und des Faschismus (das 8. Streichquartett von Schostakowitsch). Besetzt ist das Konzert auf enormer Höhe mit dem Pianisten Igor Levit, dem Hagen-Quartett sowie Chor und Orchester MusicAeterna. Dessen Gründer, der griechische Dirigent Teodor Currentzis, kann das Konzert nicht leiten, weil er am nächsten Tag mit dem Regisseur Romeo Castellucci die maßgebliche Opernpremiere der Festspiele verantwortet, Bartóks "Blaubart" und (noch interessanter) Carl Orffs "De temporum fine comœdia", leider mit einem anderen Orchester.

Für diese Vieles versprechende Serie sind noch Karten verfügbar, das Konzert ist ausverkauft, so wie alle vor und während der Schmutzkampagne gegen Music-Aeterna und Currentzis. Diese in St. Petersburg ansässige Weltformation ist ein wahres Friedensprojekt, das 150 meist junge Musiker aus Russland und der Ukraine, aus Armenien und der Türkei, aus Frankreich und der Schweiz, aus Griechenland, Israel, Deutschland, Spanien, Italien, Kasachstan, Weißrussland, Georgien und Japan in künstlerischer Exzellenz vereint. Die Beteiligten haben sich seit Kriegsbeginn unter Hintansetzung eigener existenzieller Interessen weit vorgewagt. Currentzis hat das Werk eines ukrainischen Komponisten auf sein Tourneeprogramm gesetzt, das Ensemble wollte die Gagen für ein Wiener Konzert an das Rote Kreuz spenden. Dass sie von Opportunisten unter den Veranstaltern vor die Tür gesetzt werden, ist so abstoßend, wie die Charakterstärke des Salzburger Intendanten beeindruckt.

Ihn zu bestärken, ist der eigentliche Gegenstand dieser Kolumne. Zwar sind die Gegenstimmen weitgehend unvernehmbar, aber können Sie beim Zustand der Politik ausschließen, dass ein Provinzwoiwode beliebiger Couleur vor einem "Shitstorm" in Panik gerät? An einem solchen versucht sich ergebnislos wieder der Schreihals, von dem ich Ihnen kürzlich erzählt habe. Richtig, der eine, der bei Anna Netrebko erst kriecherisch um ein Interview ansuchen ließ, um nach abschlägigem Bescheid gegen sie zu kampagnisieren. Zumindest daran scheint ihm die Lust vergangen zu sein, nachdem ich das entsprechende Dokument abdrucken konnte (es war mir ein Vergnügen, Frau Netrebko von dem Stalker zu befreien).

Dass er dem Direktor der Wiener Staatsoper und dem Bankier Andreas Treichl unterstellt hat, am Tag des Kriegsausbruchs zu einem Geburtstagsfest nach Russland gereist zu sein, blieb erstaunlicherweise folgenlos: Der prinzipiell nicht unsympathische "Blog" Crescendo, dessen Betreiber sich bei den Desavouierten entschuldigen musste, lässt den Mann weiter emittieren. Da waren andere rigoroser, als er unter falschem Namen haltlose Gerüchte über einen Putsch der Berliner Philharmoniker gegen ihren damaligen Musikchef Simon Rattle streute und nach seinem Auffliegen aus der FAZ und dem Großteil der seriösen Branche gefeuert wurde.

Jetzt wollte er über "soziale Medien" den Pianisten Igor Levit zur Absage des Salzburger Festspielkonzerts bewegen und verbrüderte sich digital mit dem mittlerweile gefeuerten ukrainischen Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk (offenbar verbindet ihn mit dem Bewunderer des Nazi- Kriegsverbrechers Bandera das Grundeinverständnis im zivilisatorischen Dschungelcamp). Levit hat zwar erwartbar nicht geantwortet, doch verschärft sich die Frage, wie sich angesichts direkter Sabotageversuche gegen das Programm der Festspiele deren maßgeblicher Dirigent Welser-Möst verhält. Er hat seinerzeit die Formulierung seiner Memoiren dem Schreihals überantwortet und sich bis dato von dessen Wirken nicht distanziert. Selbstverständlich kommt es nicht infrage, den höchst geschätzen Maestro für seinen Biografen in Sippenhaft zu nehmen. Unter exakt dieser Prämisse hat man allerdings auch die russischen Künstler in Ruhe zu lassen. Zumal das Ghostwriter-Würstel in diesem Leben kein Putin mehr wird.

Die Festspiele haben sich übrigens soeben von einem Schweizer Sponsor getrennt, weil der die Regenwälder schädigen soll. Den Wirbel entfacht haben Festspielmitwirkende aus dem hinterletzten Programmsegment. Abgesagt haben sie aber nicht, auch nicht, als ihre Gage noch vom inkriminierten Sponsorunternehmen beglichen werden sollte.

Ich halte das für bedenklich, denn ich frage mich, welches Unternehmen vollkommenen ethischen Maßstäben genügt. "Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?", wollte schon Brecht wissen, und ich gebe die Frage an Sie weiter.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: sichrovsky.heinz@news.at