Bis zum Tod: Druck im Fußball

Anfang dieses Monats wurde der italienische Abwehrspieler Davide Astori leblos in seinem Hotelbett aufgefunden. Durchtrainiert. Gesund. Medizinisch bestens versorgt. Mit nur 31 Jahren. Die Obduktion ergab einen Herzstillstand als Todesursache. Ein paar Tage später dann die Meldung des französischen Fußballers Thomas Rodriguez: 18 Jahre. Ebenfalls im Schlaf gestorben. Ist der große Druck im Profisport Schuld daran?

Fussball - Bis zum Tod: Druck im Fußball © Bild: shutterstock

Der Weltmeister und Kapitän von Arsenal London Per Mertesacker kritisiert nun jedenfalls in einem Interview mit dem Magazin "Spiegel “ den enormen Druck, der auf den Fußballprofis lastet: "Als sei das, was dann kommt symbolisch nur zum Kotzen“, beschreibt der 33 Jahre alte Innenverteidiger die hohe Erwartungshaltung und den "desaströsen Druck“, auf die er vor jedem Spiel mit Unruhe, Brechreiz und Durchfall reagierte.

»Im Profi-Fußball geht es null mehr um Spaß!"«

Er spricht davon, dass es im Profi-Fußball "null mehr um Spaß gehe", dass die Spieler rein auf die Performance reduziert würden, der Mensch selbst nicht mehr zähle. Verletzungspausen seien seine "einzig legitimierte Auszeit" gewesen: "Ich war durch, völlig durch. Mein Körper war nicht bereit für eine weitere Anstrengung." Besonders belastet hätte ihn damals die Heim-WM im Jahr 2006. Als die DFB-Auswahl im Halbfinale in Dortmund 0:2 nach Verlängerung gegen Italien verlor und am Ende Dritter wurde, waren die Gedanken des 104-fachen Nationalspieler weniger Enttäuschung als pure Erleichterung: "Ich weiß es noch, als wäre es heute. Ich dachte nur: Es ist vorbei, es ist vorbei. Endlich ist es vorbei."

Mertesackers Aussagen lassen aufhorchen und rufen auch unweigerlich den Fall von Robert Enke in Erinnerung. Dieser nahm sich nach einer langen Depression 2009 das Leben. Auch er war deutscher Nationalspieler, auch er hat vermeintlich das erreicht, was viele Kinder und Jugendliche auch wollen.

»Der Druck im Fußball hat mich aufgefressen!«

Das Interview schlägt daraufhin besonders in den eigenen Reihen große Wellen. "Weil es ehrlich ist; und ungeschönt. Die Öffentlichkeitsmachung von Mertesacker halte ich also für vollkommen richtig", wie der Grazer Sportpsychologe Alois Kogler analysiert. Während vor allem von Fans die Offenheit des Spielers ebenfalls geschätzt wird, teilen viele seiner Kollegen die Meinung keineswegs. Der Fall Enke scheint damals nicht alle wachgerüttelt zu haben: "Ich habe die WM 2006 überhaupt nicht so empfunden. Ab einem gewissen Punkt waren wir auf einer Welle“, sagte so zum Beispiel sein damaliger Teamkollege Christoph Metzelder als Sky-Experte. Und auch Lothar Matthäus übt starke Kritik: "Er hätte ja aufhören können, wenn der Druck so groß war."

Der Druck war tatsächlich groß. Aufgegeben hat Mertesacker aber trotzdem nicht. Kogler: "Wie man am Beispiel Mertesacker sieht, ist er nach der WM 2006 nicht unter gegangen, sondern vielmehr damit um gegangen. Das Spannende an den Spitzenleistern ist ja, dass sie für den hohen Preis, immer wieder Leistungen zu erbringen auch unfassbar viel Energie zurückbekommen."

So liegt für den Sportpsychologen das Problem auch gar nicht am Druck selbst oder der Angst davor, nicht genügend zu leisten: "Druck ist in einem solchen Umfeld und auf diesem Level per se normal. Genauso wie die Angst oder der Respekt, der dabei mitschwingt ein normaler menschlicher Zustand ist. Plakativ gesagt: Jeder Körper reagiert anders auf Stress. Mit Druck auf Brechreiz zu reagieren ist also eigentlich durchaus normal. Man traut es sich nur nicht sagen." Was dann das eigentlich Problem sei? "Nicht die Angst selbst, sondern dass es nach wie vor ein Tabu ist, offen über sie zu sprechen."

Gerade Spitzensportler müssen dauernd Tempo und Durchsetzungsvermögen zeigen, stark sein. Daraus ergibt sich laut dem Sportpsychologen ein emotionaler Zwang. Dieser ständige Druck braucht aber eine Abfuhr. Könne man nicht über seine Sorgen und Ängste sprechen, ließe sich das kaum unbeschadet überstehen.

»Mit Druck auf Brechreiz zu reagieren ist per se normal«

Mit dem aktuellen Interview will Per Mertesacker aufrütteln und "etwas hinterlassen". Das scheint er zu schaffen. Es wird wieder geredet. Und es wird dabei immer klarer, dass dies kein Zeichen von Schwäche ist. Es muss auch in der "Testosteronwelt Fußball" möglich sein, offen über seine Ängste zu sprechen; genauso wie über Depression und Homosexualität. Robert Enke sagte seiner Frau kurz vor seinem Tod, dass es weniger Wirbel um seine Person geben brächte er sich um, als würde er offen über seine Depressionen reden. "Das ist die Krux, da liegt der Hund begraben. Die emotionalen Lasten müssten abgetragen werden", fasst es Kogler zusammen. Verantwortlich dafür seien aber nicht nur die Spieler allein, sondern auch Trainer und Verein.

Bezugnehmend auf dieses Thema spricht der Grazer aber von einem Paradigmenwechsel. Mittlerweile gibt es Sportpsychologen wie ihn, die die Vereine unterstützen. was auch Iris Stöckelmayer, Sprecherin des ÖFB bestätigt. Auch in der Trainerschulung gehört mittlerweile die Psychologie zum Ausbildungsprogramm: "Es wird der Stil der heutigen Zeit angepasst, daran wird auch in den Akademien gearbeitet", weiß Kogler. Es tritt Änderung ein. Langsam, aber doch.

Mertesacker selbst beendet nach dieser Saison und über 500 gespielten Matches seine Karriere. Er wird die Leitung der Nachwuchsakademie des FC Arsenal in London übernehmen. Dort will er laut eigenen Aussagen das System angreifen. Er nämlich habe keine Ahnung gehabt, worauf er sich einlasse: "Wir sind für die Jungs verantwortlich, die zu uns kommen. Die dürfen nicht alles auf die Fußballkarte setzen, die Schule vernachlässigen." Schließlich schaffe es am Ende nur ein Prozent von Ihnen. Am Ende sagt er aber trotzdem: "Das alles war es wert!"