"Wir wollen ja nicht
klingen wie alte Männer"

Lauter denn je werden die Fantastischen Vier auf ihrem neuen Album politisch. Es ging nicht mehr anders, erklärt Thomas D. Und das hat wenig mit seinem bevorstehenden 50. Geburtstag zu tun - obwohl der schon hart wird

von Musik - "Wir wollen ja nicht
klingen wie alte Männer" © Bild: Christoph Köstlin/Sony Music

Ungewohnt harte Worte von den Hip-Hop-Gründervätern aus Stuttgart. Nächstes Jahr feiern die Fantastischen Vier 30-Jahre-Jubiläum und haben erfolgreich alle Moden überlebt. Vom Hitparadenwunder "Die da" (1992) weg lieferten sie zahlreiche musikalische Metamorphosen mit stets ausgefeilten, nachdenklichen Texten. Politisch laut gab sich die Band nie. Das ändert sich nun auf ihrem zehnten Studioalbum "Captain Fantastic". "Es wär 'ne wunderschöne Welt ohne Religion ( ). Geht mir weg mit eurem Stolz auf die eigene Nation. Ihr seid nicht das Volk, ihr seid Vollidioten", rappen sie zwischen Wut und Leidenschaft. Irgendwann müsse man nun einmal den Mund aufmachen gegen populistische Strömungen, erklärt Thomas D. im Gespräch den ungewohnt lauten Aufschrei der Musiker.

Er vermittelt glaubhaft den Eindruck, als habe die Band - sie gewann seit dem zweiten Album "4 gewinnt"(1992) für jedes Werk Gold oder Platin - ihren Legendenstatus in der relevantesten Jugendkultur erst kürzlich wahrgenommen. Viel wichtiger ist Thomas D und seinen Kollegen Smudo, Michi Beck und And. Ypsilon, dass sie nicht klingen wie "alte Männer". Immerhin sind oder werden die Bandmitglieder alle 50 Jahre alt; bei Thomas D ist es Ende Dezember so weit.

Die Musik soll frisch bleiben. Dafür hat die Band nun erstmals Kollegen mit in den Text-Think-Tank genommen. Mit Erfolg. Für falsche Eitelkeit ist in ihrer Welt kein Platz. Das lässt Thomas D. erahnen, wenn er im Interview tiefgründige Analysen immer wieder mit seinem ansteckenden, herzhaften Lachen grundiert. Man muss sich und die Dinge schon ernst nehmen. Aber nicht zu sehr.

Es ist kurz nach zehn Uhr früh. Ist das die Zeit, zu der Sie frühstücken, oder waren Sie schon eine Runde joggen?
Ich war schon mit dem Hund draußen, habe geguckt, dass die Lunge frische Luft kriegt und die Laune gut ist, und nun gebe ich Interviews ...

Sie wollen vom neuen Studioalbum der Fantastischen Vier erzählen, bei dem erstmals Gastmusiker mittexten durften. Warum war das diesmal wichtig?
Wir feiern nächstes Jahr 30-jähriges Bandjubiläum, es ist das zehnte Studioalbum, da wächst das Gefühl, dass man schon viel gesagt hat und die Inspiration dünner wird. Deshalb wollten wir sehen, was es da draußen für kreative Köpfe gibt. Dieses Hoheitsgebiet haben wir erst einmal bei der Arbeit mit Samy Deluxe verlassen und festgestellt: Es ist interessant! Samy hat damals getextet: "Thomas, Smudo, Andy, Michi rocken die gesamte City." Und wir Fantas haben gesagt: "Krass, das würden wir nie sagen! Das wäre ja blasphemisch!" Aber Samy sagt: "Alter, ihr seid lebende Legenden! Die Leute feiern euch! Alle jungen Rapper kennen euch. Die haben angefangen zu rappen, weil sie euch geil fanden oder weil sie euch scheiße fanden."

Sind Sie lebende Legenden?
Wir sind offenbar eine feste Größe, die wir selbst als Band nicht sehen, weil wir selbstkritisch sind und ständig zweifeln. Nichtsdestotrotz will man mit jeder neuen Platte auch einen Nagel reinhauen. Man will es allen nochmal richtig zeigen. Dafür war die textliche Auseinandersetzung mit anderen Schreibern hilfreich, weil sie das Album frischer gemacht hat. Wir wollen ja nicht klingen wie alte Männer.

»Musik kann dein Leben retten - und wenn es nur für dreieinhalb Minuten ist«

Sie haben Gesellschaftskritik immer positiv verpackt. Diesmal ist der Ton sehr scharf geraten. Ist es aktuell besonders wichtig, eine Botschaft zu bringen, die verändern kann?
Ich kann nicht sagen, wie viel Kunst wirklich bewegen kann. Man könnte auch über die Hippiebewegung sagen, dass sie gar nichts verändert hat. Oder man teilt meine Ansicht, dass Musik dein Leben retten kann. Und wenn es nur für dreieinhalb Minuten ist. Nur für diesen Moment, wo du im Auto sitzt und vor Freude weinst, weil dir einer aus der Seele singt, was dir selbst nie eingefallen wäre. Wenn dir das gelingt, hast du etwas bewegt. Mir hat ein Mädchen ihre Geschichte geschrieben und mich zum Weinen gebracht: Sie ist gemobbt worden und hat sich zu der Zeile "bevor wir fallen, fallen wir lieber auf" entschieden, sich nicht mehr mobben zu lassen, sondern dazu zu stehen, wie sie ist. Was willst du dazu sagen, außer: Musik ist fast heilig? Was kommt sonst so nah ans Herz und die Seele?

Tragen solche Erfahrungen dazu bei, dass Sie in Ihrer Kritik lauter wurden?
Vermutlich haben wir uns Lieder wie "Endzeitstimmung" und "Affen Mit Waffen" früher nicht erlaubt, weil sie so nah am Weltgeschehen sind, dass sie kurze Halbwertszeiten haben. Aber manchmal sagt man: Scheiß drauf! Ich muss das jetzt sagen, weil es mir auf der Seele brennt. Es gibt die Flüchtlingskrise und den Populismus und Menschen, die sich von Parolen in eine einfache Denkstruktur von Schwarz und Weiß verführen lassen. Dieses Denken funktioniert aber nicht, weil die ständige Veränderung des Lebens ein Fakt ist. Manche wollen das nicht wahrhaben und sehnen sich nach früher, weil sie glauben, das gibt ihnen Sicherheit. Da muss ich einfach sagen: Haltet euer Maul und macht die Augen und das Herz auf!

Was sagen Sie zu Rappern wie Kollegah und Farid Bang? (Sie texteten: "Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen", Anm.). Seit die beiden den Echo gewonnen haben, läuft eine laute Diskussion über künstlerische Freiheit.
Campino hat mit seiner Kritik genauso recht wie jene, die sagen: Entspannt euch, das sind Battle-Rhymes. Ich glaube nicht, dass die Herren mit Kalkül provozieren wollten, und ich glaube auch nicht, dass sie antisemitisch denken. Das sind keine Nazis, die sind einfach nur doof und das war unreflektiert rausgesagt, weil es im Battle-Rap darum geht, asozial zu sein und zu zeigen, wer den Dicksten hat. Das ist Ghetto- Rap, da ist künstlerische Verantwortung fehl am Platz, denn das hat mit Kunst sehr wenig zu tun, auch wenn die Art, wie Kollegah rappt, eine hohe Rhyme- Dichte hat und gute Punchlines. Das Thema ist angesichts der deutschen Vergangenheit schwierig, weil es furchtbar ist, was passiert ist. Deshalb gibt es dazu keine einfachen Antworten. Generell lehne ich an dieser Musik die Negativität ab, weil ich alles ablehne, was Hass und Egomanie in der Gesellschaft fördert. Musik sollte uns verbinden. Musik dazu zu benutzen, uns zu trennen, ist ein Verbrechen. Das ist ein Verbrechen an der Kunst. Musik hat mit Harmonie zu tun. Wenn man sich als Künstler mit dieser Harmonie beschäftigt, fände ich schön, wenn auch der Geist des Künstlers dadurch reift und begreift, dass man Harmonie auch durch den Text erzeugen kann, den man bringt.

Auf "Weitermachen" heißt es "Geh und folg deiner Sehnsucht/deine Seele ist deswegen hier". Was sagen Sie jenen, die meinen: "Der hat leicht reden mit seiner Hip-Hop-Kohle im Rücken"?
Der potenzielle Vorwurf, mit viel Geld ging's mir besser, ist falsch. Wir wissen alle, wenn wir reiche Leute angucken, dass die generell unglücklich sind. Die größte Yacht ist nur so lange eine Schwanzverlängerung, bis daneben einer parkt, der eine noch größere Yacht hat. Wenn wir also wissen, dass das wahre Glück nicht in den äußeren Dingen liegt, muss man fragen: Wofür schlägt dein Herz? Für was brennst du? Was gibt dir das Gefühl, deinem Leben einen Sinn zu verleihen? Für eine Geisteshaltung, die einen erfüllt, muss man ein bisschen relativieren und darf sich nicht als Zentrum des Universums sehen. Im Buddhismus heißt es, der Einzelne soll sein Wohl unter das Wohl der Gesellschaft stellen.

»Heute muss ich einfach sagen: Haltet euer Maul und macht das Herz auf«

Das klingt hart.
Das ist wahnsinnig hart, aber: That's what we are here for! Für alle, die an die heilige Schrift glauben: Macht euch die Erde untertan ist ein Übersetzungsfehler! Es sollte heißen: Macht euch der Erde untertan. Wir sind Kinder dieser Erde, und sie ist unsere Mülltonne geworden, in die wir unseren Dreck schmeißen und auch noch darin leben. Deshalb schreibe ich Songs wie "Krieger" oder "Weitermachen", um Mut zu machen. Wenn du rückblickend erkennst, dass es die schwierigen Zeiten sind, die uns verändert haben, dann verändert es deinen Blick auf Probleme. Ich weiß genau bei all der Scheiße, die mir im Leben passiert ist: Das passiert mir nicht nochmal. Noch bin ich hier, und wir reden darüber, das heißt, ich bin am Leben. Wer das liest, ist am Leben. Solange du lebst, hast du nicht alles falsch gemacht. Egal, wie scheiße es sich anfühlt, wenn du weiterlebst, wird es besser.

Fällt es Ihnen manchmal schwer, positiv zu bleiben?
Ja, natürlich! Ich verharre in einer Mischung aus Menschenhass und Menschenliebe. Blicke ich mich um, denke ich, wir sind verloren. Aber dann rede ich mit jemandem, wie wir beide jetzt, und merke, das stimmt gar nicht. Jeder Mensch ist wunderbar. Jeder Mensch hat etwas Besonderes, hat Träume und Mitgefühl und gibt dem anderen etwas ab, wenn er in der richtigen Stimmung ist. Wir Menschen sind mitfühlend, wir sind nicht so doof, wie wir in der Masse rüberkommen. Das tröstet mich. Und man darf den Humor nicht verlieren, sich und die anderen nicht zu ernst nehmen.

Im Lied "Hitism" feiert die Band humorvoll ihr anstehendes Jubiläum. Sie selbst werden im Dezember 50 Jahre alt und sind erfolgreicher denn je. Welche Einstellung pflegen Sie zum Alter?
Natürlich macht einem der Fünfziger Gedanken. Ich merke, wie das Alter mich verändert, wie die Zeit mich verändert. Ich schaue auf mehr zurück, als ich potenziell vor mir habe. Trotzdem fasse ich mir immer wieder an den Kopf und denke: Wem wird so ein Schicksal zuteil? Seit knapp 30 Jahren eine gewisse Größe und Relevanz zu haben mit einer Band aus vier Typen, die keine Instrumente spielen und nicht singen können.

Finden Sie das immer geil oder wundern Sie sich manchmal auch darüber?
Das ist crazy! Ich sehe so viele 15-Jährige auf unseren Konzerten -die können nicht alle von ihren Eltern gezwungen worden sein. Die feiern, was alte Männer von sich geben. Also muss ja was dran sein. Mittendrin in diesem Leben denke ich oft: Das ist Wahnsinn! Und ich habe noch immer das Gefühl, ich muss diesen Job machen. Nicht weil ich keine Haare mehr schneiden kann, sondern weil er so viel Sinn macht in Momenten, wenn ich solche Briefe bekomme oder einen Song geschrieben habe, der wichtig für mich ist. Das macht mich demütig, dann denke ich, deswegen bin ich hier. Solange ich jemandem etwas geben kann, mache ich es gerne. Obwohl: Manchmal mache ich es auch total ungern, aber ich kann nicht anders. Das ist mein Leben.

Neues Album: Die gute Seite der Macht

© Sony Music

Hip-Hop ist mehr als Pimmel und Image, singen die Fantastischen Vier ("Aller Anfang ist Yeah") und beweisen es mit ihrem zehnten Album "Captain Fantastic" einmal mehr. Neben humorigen Wortspielen ("Zusammen") und poppigen Tanznummern ("Hitisn") liefern sie politische Ansagen gegen Nationalismus und Populismus ("Captain Fantastic", "Tunnel"). Erstmals durften Kollegen - u.a. Samy Deluxe, Hookliner Curse, Punchliner Damion Davis - mittexten. Es hat der Band nicht geschadet. (Live in Wien: 9.1.2019 Stadthalle.) Columbia /Sony Music

Dieser Artikel ist der Printausgabe von News Nr. 17/2018 erschienen.