Auf der Flucht vor dem Leben

Alexandra Liedtke inszenierte die Uraufführung von Thomas Vinterbergs "Suff" in den Kammerspielen

von
THEMEN:
Theaterkritik - Auf der Flucht vor dem Leben

Erbarmungslos führte Thomas Vinterberg mit Dramen wie "Fest" und "Begräbnis" in die Abgründe menschlicher Seelen. Diese erzählen von Kinderschändern und was aus den Geschändeten werden kann. Vor elf Jahren hat Herbert Föttinger die Bühnenfassung von "Fest" gezeigt. Dessen Fortsetzung, "Begräbnis", brachte Matthias Hartmann am Burgtheater. Beide Stücke hatten Kraft und hoben die Erwartungen auf die Uraufführung von "Suff", das Vinterberg mit Mogens Rukov für die Kammerspiele geschrieben hat.

Erfüllt wurden sie vor allem durch Alexandra Liedtkes kluge Regie und ein starkes Ensemble.

Vier betagte Damen aus gutem Hause haben sich mit Leib und Geist Hochprozentigem verschrieben. Hedwig (Sona MacDonald) war einmal eine anerkannte Hautärztin. Die ehemalige Pianistin Irma (Elfriede Schüsseleder) verdingt sich als Klavierlehrerin, die pensionierte Staatsopernballerina Constance (Therese Lohner) leidet an einer lädierten Hüfte, ihre Freundin Marion (Marianne Nentwich) ergänzt das Quartett. Gemeinsam will man zum Begräbnis einer Freundin fahren, doch der Alkoholspiegel jeder einzelnen lässt es nicht zu. Constance übergibt sich gar, wenn sie die hohe Schwelle zu Hedwigs Wohnung überwinden will. Solche Szenen verkommen leicht zu plumpem Slapstick. Nicht aber bei Therese Lohner, die in der Rolle der abgetakelten Balletttänzerin eindrucksvoll überzeugt wie jede ihrer Kolleginnen, in deren Zentrum Sona MacDonald als Frau bewegt, die ihre Demenzerkrankung erkennt.

95 Minuten lang zeigen diese vier grandiosen Darstellerinnen unter der feinsinnigen Personenführung von Alexandra Liedtke, wohin Trunksucht führen kann. Ungewöhnlich für Vinterberg ist hier der Verlust jedweden Tiefgangs. Gezeigt werden nur Umrisse von Frauen, die möglicherweise aus Frust, aus Angst vor dem Altern oder aus Verzweiflung vor dem Leben fliehen. Eine andere Art von Lebensflucht könnte auch Hedwigs Sohn vorführen. Jacob (Martin Niedermair), Vater von zwei Kindern, hat sich der Askese verschrieben.

Als Filmemacher hatte sich der Däne Vinterberg den strengen Regeln eines Manifests verpflichtet, das er selbst mit Lars von Trier erstellt hatte: Dogma 95 forderte den Verzicht auf Spezialeffekte, künstliche Beleuchtung, nachträgliche Musikeinspielungen und Einfachheit wie die Verwendung von Handkameras. Reduktion und vor allem Fokussierung hätte auch "Suff" gut getan.