Ekstase, Ekel, Eleganz, Ende

Techno ist tot. Liest man seit Jahren. Doch weiter ertönt izz-izzz-izz

Als die Technojünger 2008 mit dem Film "Berlin Calling" ihre Etabliertheit feierten, war die Bewegung, der sie angehören, längst erwachsen, auf- und ausgestiegen aus einer Subkultur, die man auch heute noch mit dunklen und dreckigen Clubs verbindet - und mit Sex auf Toiletten, die von der UNO als Katastrophengebiet eingestuft würden. Techno: Das war Ende der Achtzigerjahre gegenkulturell, minimalistisch und cool.

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Techno - Ekstase, Ekel, Eleganz, Ende

Techno: Das ist heute ein Millionengeschäft, eines der letzten der Musikbranche, an dem die großen Labels und Plattenfirmen jedoch kaum noch kreativ und finanziell beteiligt sind, denn Techno hat die Deutungshoheit der Pop-Rock-irgendwas-Bands abgelöst, Techno feiert jene, die den Ton angeben, die Beats gestalten, die das Leben tanzbar machen, wie wenige Interpreten der Popkultur zuvor. Doch es gibt Anzeichen, dass Kommerzialisierung und das endgültige Austreten aus der Subkultur die Bewegung nun zum Halten bringen. Und es ist keine Fahrt gegen die Wand, wie sie etwa Grunge nach dem Tode Kurt Cobains machte; es ist ein stilles und lautes Erodieren zugleich.

Um über Techno sprechen zu können, muss man nach Berlin fahren, in die Stadt, in der Techno Größe fand, die Stadt, in der Techno Mainstream wurde. Als Urheberin von Techno erkennt sich - unbescheiden wie immer - die Düsseldorfer Kultband Kraftwerk, die 1983 ihr Album "Techno Pop" herausbrachte. Ein Jahr später schon eröffnete in Frankfurt der Technoclub, in dem man elektronische Musik aller Art spielte. Ein Hit dieser Zeit war "Blue Monday" der britischen New-Wave-Band New Order - der erste extrem minimalistische Popsong, der die Hitparaden eroberte. Melodie? Brauchte man nun nicht mehr. Die Beats waren der neue Herzschlag, ihr Wummern der Sound des Untergrunds.

Techno, rübergeschwappt aus Chicago und Detroit (wo Ende der 80er-Jahre das Plattenlabel Underground Resistance Furore machte), wurde zur beherrschenden Subkultur großer Metropolen. Hip-Hop war fast ausschließlich schwarz, Pop uncool und Punk nun wirklich tot. Aufbruch war Sinn und Ziel, neue Labels, früher nannte man sie Musikverlage, wollten nicht lange am Markt oder über die eigene Wirtschaftlichkeit hinaus erfolgreich sein - eine fast schon altruistische Einstellung. Hinzu kam das Unpolitische, das Techno sofort den Ruf der Vergänglichkeit einbrachte.

Und es roch nach Anarchie

Nach der Wende gab es in Berlin jede Menge leer stehende Gebäude, die dazu einluden, ohne Gewerbeschein und Steuererklärung abzufeiern. Im Tresor, dem aufgelassenen ehemaligen Geldschrank der DDR ("kein Wasser, kein Strom, kein Gas, kein gar nichts" - so der damalige Chef Dimitri Hegemann), fand Techno jene Heimat, die ihm ein Jahrzehnt später dann das Ostgut, Vorgänger des Berghains, des heute noch berühmtesten Clubs der Welt, zu geben vermochte. Es herrschte jene Regelfreiheit, die Techno das subkulturelle Deodorant aus Avantgarde und Anarchie in die Reisetasche steckte. Und so kommt es auch, dass Techno die erste Musikrichtung ist, die wohl -und in Berlin wohl sicher - von mehr als 50 Prozent der Anhänger und Clubgänger mit dem Konsum bewusstseinserweiternder Drogen verbunden wird. Begonnen hat das mit der Schwulenszene, die Ecstasy unter die Leute brachte. Techno ist als Populärkultur mehr denn alle anderen popkulturellen Strömungen eine Gegenwelt, auch gegen sich selbst. Und deshalb für viele die Heimat schlechthin.

"Früher", so berichtet ein Berliner DJ, "haben wir nur für eine Nacht lang die Anlage ins Dachgeschoss vom alten E-Werk in Mitte geschleppt." Nachsatz: "Das war so was von verboten." Und das war es auch völlig zu Recht, denn jeder konnte dort auf das schräg abfallende Dach steigen, die Aussicht auf Berlin genießen und die wabernden Bässe durchs Rückenmark zucken fühlen. Heute undenkbar. Runtergefallen ist übrigens keiner.

Sofas statt Sperrholz

Hartes Kokain, mehr Herzrasen und weniger Liebe folgten, die Regelfreiheit und das Enthemmte riefen auch Schichten in die Clubs, die mit der Subkultur vor allem Sex und Koks verbanden. So flog 2015 laut Hörensagen ein Kölner Staranwalt aus dem Berghain, als er versuchte, mit seiner Freundin auf den Stiegen zu vögeln. Hört man sich bei den Berliner Türstehern um, die nirgends wichtiger sind als an den Türen der Technoclubs, dann sind es fast ausschließlich die Easyjet-Touristen, die ihnen die Arbeit vermiesen. Von "den guten alten Zeiten mit harten Beats und weichen Mienen" ist wenig geblieben. Auch vermisst Techno schon seit Jahren das nächste große Ding, eine Subkultur in der Subkultur oder einen Interpreten wie Fritz Kalkbrenner, der 2008 mit dem Track "Sky and Sand" Berlin und der Welt den Sound der Gegenwart gab. Diesmal auch mit Melodie.

Berlin also. Samstagabend, 20 Uhr. Vor der großen Techno-Sause trifft man einander im durchgestylten Crackers nahe der Berliner Friedrichstraße zu Steaks, Drinks und noch mehr Drinks. Das Crackers logiert im ehemaligen Cookies, dem legendären, sexy Club, der vor drei Jahren die Schlüssel abgab und der über zwanzig Jahre und sieben Adressen lang glamouröses Zuhause für nicht allzu glamouröses Verhalten war. Man blieb hier bei lauter, elektronischer Musik und bei leisen, ästhetischen Flirts unter sich, ohne je exklusiv zu sein. Heute bieten unter den zwölf Meter hohen Decken bequemst gepolsterte Sitzreihen eine türkisfarbene Bühne für Stil, Lässigkeit und den Start in rauschende Nächte. Schöne Menschen starren in empfangsbefreite Telefone und planen trotzdem ihr Fortkommen. Wer legt wo auf? Die neue Bourgeoisie informiert sich mit gefülltem Magen. Ist das noch Techno? Sind das noch die Leute, die man einst in der legendären Bar25 traf, dem Pflicht-Stelldichein auf Sperrholz und Caritas-Mobiliar, das zwischen 2004 und 2010 alle möglichen Richtungen der elektronischen Musik zusammenfasste?

"Die Tür" bleibt Mythos

Lokalaugenschein im Berghain, einem grauen, dreckigen Monolith, der 2016 offiziell und durch Gerichtsbescheid zur Hochkultur erklärt wurde und deshalb laut Berliner Finanzgericht nicht mehr mit neunzehn, sondern lediglich mit sieben Prozent zu besteuern ist. Wie auch Museen, Theater und Konzerthäuser - nur dass dort nicht die Gefühlsdroge MDMA zum Dippen gereicht wird.

Vor dem Berghain steht heute zur besten Zeit, also am späten Sonntagvormittag, nur noch ein Bruchteil der üblichen Technojünger aus aller Welt in der Schlange an. Eine Mitgliedskarte erhält man jedes Mal aufs Neue. Oder eben gar nicht, wie hier schon fast jeder erfahren durfte - egal ob Promi, Touri oder "Druffi"(eine Berliner Umschreibung für den "durchgefeierten" Gast). Der Türsteher ("die Tür") des Berghain sorgt für Mythos, Harmonie und künstliche Verknappung. Und das nicht nur aus Sicherheitsgründen, sondern auch zur Einschätzung und Vorsortierung vor dem Eintreten, denn ein Club ist heute immer auch eine Maschine, die Geld verdient. Fairerweise muss man sagen, dass das Wasser im Berghain noch immer so gut wie nichts kostet.

Das Ende der Rebellion

So sind die elektronische Musik und ihre Clubs über die Jahre zu einem eigenen Kosmos mit eigenen Regeln, Berufsgruppen und Verhaltenskodex geworden. Das lange Wochenende mit Wildfremden durchtanzen, schwitzen und seinen Geist entblößen - das ist immer noch Ziel und erstrebenswert. Das Recht auf Rausch wird aber vor der Tür entschieden. Und dort rebelliert man nicht, man fügt sich. Keine Anarchie mehr. Dafür aber bittende Blicke. Das ist Techno im Frühjahr 2017. Vor dem Berghain, dem Ort der Instanz.

Ein Blick über den Kanal, nach England. Früher ein Land, das laufend top DJs ausspuckte, ist es in Großbritannien nun ruhiger geworden. In London, wo die Szene spürbar nach einem Ende schrie, schloss letztes Jahr der legendäre Club Fabric seine Pforten. Kein Wunder, denn London hat seit ein paar Jahren wieder eine Sperrstunde - etliche Drogentote, die es in Berlin in dieser Zahl nie gab, taten das Übrige. Nun hat die Fabric wieder aufgemacht, doch Einlasskontrollen mit Ausweiskopie, Abtasten und Ausräumen der Handtasche gehören jetzt zum zeitraubenden Procedere. Und um sieben Uhr früh - früher undenkbar - ist Feierabend. Weiters abturnend: Auf den Toiletten sorgen mehr als zehn Sicherheitsleute für Ordnung, die streng darauf achten, dass in jeder Kabine nur ein Gast Zuflucht sucht. Sich hier gehen zu lassen und frei zu sein, ist nicht mehr vorstellbar.

Eine Meinung unisono, nachzulesen auf einschlägigen Electro-Portalen: Die neue Mischung aus hartem Sound und ordnungspolitischer Strenge ist das befremdliche Gegenteil von Techno, der grenzenlos sein und grenzenlos machen soll, der sich langsam über viele Beats, Stunden, gar Tage zu einem singulären Erlebnis entwickelt. In den "Trainspotting-Jahren" (benannt nach dem ersten Film, der 1996 Techno als Sound und Kulisse verwendete) besetzte man auch in London frei stehende Lagerhallen und ging einfach nicht heim, bis die Polizei kam. Heute schreiben die Betreiber der Clubs selbst den DJs alles vor und richten sich nach Businessplänen, die überall auf der Welt funktionieren. Barcelona, Berlin, Beirut - Ekstase, Ekel, Eleganz nach Schema F.

Ein weiterer Teil der Wahrheit, die zur Wirklichkeit wurde: Mittlerweile haben sich diese Welt und ihre oft zwanghafte Eine-Welt-Charakteristik überholt. Dutzende Subgenres und die grenzenlose Begrenzung jeder Party entkernen den Techno. Was bleibt, sind Stunden mit elektronischer Musik - Deep House, Acid, Electro -, die dann abrupt zu Ende sind, weil auch die letzte Barkraft müde nach Hause will und die Putzkolonne in den Hinterräumen wartet. Dort, wo man dem Alltag entfliehen will, kann man ihm nicht entkommen.

Ewiges Leben als Zitat

Was bleibt von Techno? Vor allem das Zitat, denn überall auf der Welt produzieren junge Rapper, Operntenöre, ja, selbst leichtgewichtige Interpreten wie Justin Bieber ihre Hits mit brettharten Bässen und Auto-Tune-Melodien. Was noch? Vielleicht eine romantische Vorstellung von Tinnitus und Leberschaden, begleitet von der Erkenntnis, dass die ganze Szene, das ganze Genre weltfremd sind. Alterslos, uneitel, pazifistisch und liberal - das war gestern. Und dieses Gestern galt nur ein paar Sommer lang. Damals tanzte man Glückseligkeit in Neonstiefeln, heute bleibt man lieber zu Hause, bevor man vor einem Club drei Stunden ansteht und dann nicht reinkommt. Man kocht und trinkt mit Freunden, hört eigene und mitgebrachte Musik und fühlt sich aufgehoben. So wie vor über dreißig Jahren, als Techno begann, als die vielen Leute bald nicht mehr in Wohnungen passten und man Leerstand und Lagerhallen okkupierte, um mehr Platz zu haben und sich als Mehr zu fühlen. Techno ist tot! Ist er das?