Staatstragende Quatschbude

Erst der Kanzler bei Martin Thür, dann die Klubchefs bei Claudia Reiterer: So flugs, wie Sebastian Kurz in die "ZIB 2" eingeladen wurde, so flott wurden die geplanten Gäste von "Im Zentrum" ausgeladen. Ein Hauch von Staatsfunk zur Unzeit.

von Medien & Menschen - Staatstragende Quatschbude © Bild: Gleissfoto

Gröstraz: Was in Deutschland Markus Söder in Anlehnung an Franz Josef Strauß gilt, bezeichnet in Österreich eine andere Tradition von Superlativen. Reinhold Lopatkas "größter Steuerreform der Zweiten Republik" (2003) folgte Karl-Heinz Grassers "größte Steuerreform aller Zeiten" (2004) und Hubert Gorbachs "größte Steuerreform der Republik" (2005). Alfred Finz kehrte zurück zur "größten Steuerreform aller Zeiten"(2006). Nach ein wenig Pause variierte Reinhold Mitterlehner das zur "größten Steuerreform jemals in Österreich"(2014) und Werner Faymann bewies, dass Superlative nicht nur schwarz und blau sein können: "Die größte Steuerreform in der Geschichte der Zweiten Republik"(2015) stand auf dem roten Mascherl. Doch das neue Geschenkpaket mit der türkis-grünen Schleife ist wieder eine "größte Steuerreform aller Zeiten". Sebastian Kurz hat seinen Grasser gelernt.

Diese Großtat einer 18 Milliarden Euro schweren Gröstraz verdiente entsprechende Verkündigung. Also kam der beste Sonntagsvorarbeiter für "alle fleißigen Österreicher" in die "ZIB 2". Martin Thür suchte dort nach Schwachstellen und verführte Kurz zu schwer haltbaren Einschätzungen der kalten Progression. Doch der Kanzler entwich per Zielgruppenansprache für höhere Kleinpensionen. Denn die Renten waren das wichtigste Thema der deutschen Wahl. Kurz hat auch seinen Scholz gelernt.

Eine Premiere lieferte hingegen "Im Zentrum": Statt wie angekündigt zu diskutieren, "was die Energiewende uns alle kosten wird", hieß es nun: "Die Steuerreform steht: Wie ökosozial sind die Pläne der Regierung wirklich?" Und statt ursprünglich gebuchter Teilnehmer wie Stefan Kaineder (Grüne) und Andreas Babler (SPÖ), aber auch einer Wissenschaftlerin und einer Klimaaktivistin debattierten die Vertreter der fünf Parlamentsklubs. So schnell wurden nie zuvor Thema und Gäste gewechselt. Doch statt Aufklärung gab es parteipolitisches Verwirrspiel. Vergeudete Zeit. "Anne Will" in der ARD, aber auch "Links. Recht. Mitte" in ServusTV brachten deutlich mehr Erkenntnisgewinn.

Das Ganze ließe sich als Fehlversuch im Einzelfall abtun. Auf der Haben-Seite steht ungewohnte Flexibilität, im Soll die Diskussionsqualität. Sie ist weder Moderatorin Claudia Reiterer noch Sendungschef Matthias Schmelzer anzulasten -auch wenn pure Parlamentarierrunden immer dem begründeten Vorabverdacht der Selbstbeschädigung unterliegen. Es war aber erst die fünfte derartige Besetzung seit Türkis-Grün. Sie hatte zwar bloß zwei Drittel der Seher der "ZIB 2" davor, fiel jedoch im Marktanteil kaum ab. Das war nur im Mai 2020 der Fall -als gefragt wurde: "Wer schafft Arbeit?"

Als prinzipieller Vorbehalt gegen Klubchefrunden taugt also lediglich der Mangel an parteipolitischer Diskussionskultur. "Die immer gleichen Gesichter" sind der Kleinheit Österreichs geschuldet. Dagegen ist auch "Links. Recht. Mitte" nicht gefeit, wo keine Politiker auftreten. In den erst 24 Ausgaben waren neun Teilnehmer bereits zweimal zu Gast, vier kamen sogar dreimal dran. Doch so, wie sich ServusTV eigentümerbedingt vorwerfen lassen muss, dass die Linke dort unterrepräsentiert ist, steht der ORF konstruktionsverursacht unter dem Generalverdacht zu großer Staatsoder gar Regierungsnähe. Deshalb sind Abfolgen wie zuletzt am Sonntag fatal: Exekutive trifft Legislative. Das bisschen Opposition in dieser Zusammensetzung wirkt wie ein Feigenblatt. Es braucht weitere Stimmen.

Die Wahlbeteiligung für den Nationalrat lag bei 75 Prozent. Auch das vierte Viertel zahlt GIS-Gebühr. Wenn der ORF es Servus überlässt, riskiert er eine Parallele zum Einzug von MFG in Oberösterreichs Landtag. Der öffentlich-rechtliche Sender braucht im politischen Diskurs eine Vielfalt, die über das etablierte Parteienspektrum hinausgeht. Sonst fördert er die Entstehung von Parallelgesellschaften.