Wer Rammstein hören will, soll hingehen

Das deutsche Krawall-Idol Till Lindemann steht im Zentrum hässlicher Beschuldigungen. Vorverurteilung ist dennoch abzulehnen. Und die Konzerte in Wien abzusagen? "Woker" Unsinn

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Sollten Sie beabsichtigen, mich nachhaltig zu beleidigen, so müssten Sie mich nur öffentlich der Affinität zur Band Rammstein ("neue deutsche Härte") verdächtigen. Sollten Sie mir gar etwas Gutes tun und mich zu einem der beiden Konzerte Ende Juli im Happel-Stadion einladen wollen, so müssten Sie zuvor mit betäubenden Substanzen argumentieren. Sollten Sie mich aber andererseits für die Forderung der Wiener Grünen gewinnen wollen, die Absage des Konzerts zu erzwingen: Da würde ich mit aller mir zur Verfügung stehenden, wenn auch nicht mehr blutjungen österreichischen Härte dagegenhalten.

Auch, aber nicht in erster Linie aus Erbarmen mit dem Veranstalter, der dann im Konkurs wäre. Sondern aus Abneigung gegen eine Mentalität, die ständig in geblähtem Küchenlatein von "Diskurs" faselt, auf dem Boden der Tatsachen aber bloß ausgewürgte englische Sprachbrocken hinterlässt. Die intellektuelle Reichweite endet beim "Shitstorm" mit finalem "Cancelling". Rammstein haben, so fern können sie mir gar nicht sein, der Geschichte der Populärkultur Maßgebliches hinzugefügt. Doch auch wenn sie Mitglieder der hinterletzten Agrarphilharmonie wären ("Bauernband" könnte als diskriminierend verstanden werden): Solange sie nicht Verhetzung auf offener Szene treiben, ist gegen den Auftritt nichts einzuwenden. Als Roger Waters vom aufblasbaren Schwein, das er während seiner Auftritte beschossen hat, den dort schändlicherweise affichierten Zionsstern entfernt hat, war er wieder nichts anderes als einer der größten Künstler der Pop-Geschichte mit Tendenz zu außerkünstlerischer Hirnwirrnis. Rammstein werden seit längerem rechtsradikale Sympathien unterstellt, weil sie in ihren Programmen Sequenzen aus Filmen Leni Riefenstahls verwendet haben. Nur, dass die Dame außer Hitlers Propagandistin auch eines der herausragenden Talente der Filmgeschichte war. Hans-Jürgen Syberberg hat sie porträtiert. Und wie Eisensteins von Stalin ästimierter "Panzerkreuzer Potemkin" war auch ihr Zweiteiler "Olympia" Unterrichtsgegenstand an Seminaren, als man dort noch nicht flennend "Richtlinien zu Themen wie Diskriminierung, Gender und Diversität" anmahnte, sondern etwas lernen wollte.

Wer also Rammstein "canceln" will, soll, so er intellektuell dazu in der Lage ist, ihre Texte und Partituren erst Vers für Vers, Takt für Takt analysieren und Gesetzesverstöße nachweisen. Findet er etwas wie bei den Schmutz- und Schundrappern Kollegah & Farid Bang ("mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen"), kann er gern Anzeige erstatten.

Ja, aber, werden Sie mir jetzt entgegenhalten, die Vorwürfe gegen Till Lindemann sind doch ganz anderer Art! Da kann ich nicht widersprechen, und sollten sie zutreffen, wird er sich vorbehaltlich ihrer Beweisbarkeit und strafrechtlichen Relevanz vor Gericht verantworten müssen. Er, nicht die Band und nicht 100.000 Besucher in Wien (die Parallelen zum Film "Corsage" mit Florian Teichtmeister liegen auf der Hand). Ich beharre außerdem auf dem Modalverb "sollte": Nicht jeder, der etwas anzuklagen hat, folgt damit lauteren Absichten (und in dem Zusammenhang den biederen, umfassend von Korruptionsvorwürfen exkulpierten Vorarlberger Landeshauptmann zu bemühen, hat zugegeben etwas Surreales). Der "Spiegel" hat recherchiert? Er wollte auch mit altem, haltlosem, sich rückstandsintensiv auflösendem Schmutz den großen Filmregisseur Ulrich Seidl beruflich zerstören.

Ich habe hier, wohlgemerkt, nichts zu beschönigen. Die Massenrekrutierung von Frauen zu irgendjemandes Gebrauch und Triebabfuhr ist ein widerlicher Vorgang. Sollten die Frauen minderjährig gewesen oder sollten Vergewaltigungsdrogen, auch gewaltsam verabreichter Alkohol, eingesetzt worden sein: keine Höchststrafe, die ich nicht verhängt wissen wollte. Ich habe mich auch nicht moralisierend über Groupies zu erheben: Dass hysterisch Entrückte um ein paar Entwicklungsstufen zurückfallen, weiß man nicht erst seit dem kollektiven Begehr, dem Führer Kinder zu schenken. Aber wie man einen großjährigen Menschen zwingen will, an einer unmissverständlich definierten Party teilzunehmen, das erschließt sich mir nicht. Berechtigt hingegen, wenn auch vielfach Illusion, ist die Forderung an ein Idol, erhöhte Verantwortung zu üben. Nur dass "ein Konzert dieser Band kein sicherer Ort für Frauen" sein soll, wie die Grünen argumentieren: Das ist, Sie gestatten die Offenheit, dummes, Frauen zu Tepperln entmündigendes Geklapper.

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