Als sich der Unrat über den Kanzler ergoss

Das Gesetz gegen Hass im Netz ist nutzlos, wie ein besonders widerliches aktuelles Beispiel belegt. Auch die "User" linksliberaler Foren gefielen sich in Entgleisungen, die Abscheu erregen

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Drei Mal binnen weniger Tage formierte sich der digitale Mob, dem ich mich nicht einmal auf Riechdistanz nähern will, zum Lynch-Kommando. Erst entlud sich der Unrat über drei englische Fußballspieler, die beim finalen Elfmeterschießen das Tor verfehlt und ihr Team damit auf den ehrenvollen zweiten Platz der Europameisterschaft befördert hatten. Dann gab der Bundeskanzler seine bevorstehende Vaterschaft bekannt, und über dem zu diesem Behufe bemühten Kornblumenfeld gingen Hektoliter intellektueller Jauche nieder. Das Gesindel stand nicht an, auch die Lebensgefährtin und das ungeborene Kind des Bundeskanzlers mit nicht wiederzugebenden Drohungen, Verhöhnungen und Unterstellungen zu überschütten. Der dritte Fall ist ein Nichts, eine Albernheit, aber trefflich zu Vergleichszwecken heranzuziehen: Die deutsche Fernsehmoderatorin Katja Burkard hatte einen sesshaft gewordenen Irgendwer darauf verwiesen, dass das Zigeunerleben nun wohl ein Ende habe. Mehr hatte die angesehene Journalistin nicht gebraucht. Nur mittels gewissenhafter Selbstgeißelung konnte sie, zumindest vorläufig, die Steinigung wegen rassistischen Gebrauchs des Z-Worts abwenden.

Ich will Sie nicht schon wieder mit Kulturund Sprachgeschichte behelligen. Im Besonderen nicht schon wieder mit dem Verweis auf Brahms, Johann Strauß, Nikolaus Lenau und die ungezählten anderen, denen "Zigeuner" ein Sehnsuchtsbegriff war, der für Freiheit, Erotik, Selbstbestimmtheit und Verachtung einer ganzen feindseligen Welt stand. Zigeunerleben ist da nichts Geringeres als ein berauschender, unerreichbarer Lebensentwurf.

Lohnender ist es, sich mit den Korrektheitsflatulenten selbst auseinanderzusetzen. Man wird sie, soviel ist gewiss, in absoluter Mehrheit bei den einander nah verwandten Bobo-und Hipster-Populationen finden. Dieser Menschenschlag vereint Verlogenheit, Selbstgerechtigkeit und Aggressivität mit Trägheit. Deshalb hat er die Empörung als ressourcenschonende breitensportliche Disziplin entdeckt. Statt sich zu bilden oder sich gar für die Gesellschaft nützlich zu machen, empört er sich am digitalen Endgerät und nimmt dafür eine Art Fitness-App für anonyme Denunzianten in Betrieb.

Dabei ist er sein eigenes Gesetz, womit ich wieder bei den familiären Perspektiven des Bundeskanzlers bin. Keineswegs nämlich waren es in erster Linie Krawallisierer aus dem Kosmos des sogenannten Boulevards, die sich hier erbrachen. Im Gegenteil verweigerten die meisten Medien aus diesem Segment dem Pack den Auftritt in ihren Foren. Aber in der (ebenfalls bloß sogenannten) linksliberalen Qualitätspresse - wie es sich da abspielte! Gewiss kam das hämische, abstoßende Gepöbel hier ein wenig ziselierter des Wegs als in der freien Wildbahn. Aber nur ein wenig, denn der Bobo, der auch ein Hipster sein kann, ist tendenziell ungebildet. Ein gegebenenfalls auch akademisch graduierter Analphabet, dessen Artikulationsfähigkeit im Hoheitsgebiet von Twitter und Youtube bis zur Sprachlosigkeit degeneriert ist.

Und so kommt es, dass die nämliche Gesinnung, die einer Fernsehmoderatorin den Gebrauch des Z-Worts nicht nachsehen will, den Bundeskanzler, seine Frau und sein ungeborenes Kind mit Gemeinheiten und Niederträchtigkeiten bedrängt, die umgehendes Eingreifen der Exekutive wie der Legislative erfordern würden.

Würden. Denn das kürzlich namens der grünen Justizministerin verabschiedete Gesetz gegen Hass im Netz sanktioniert nur kommerzielle Kommunikationsplattformen im Umsatzgigantenformat. Verleumdung, Ehrabschneidung, Existenzvernichtung ohne Gewinnabsicht hingegen bleiben durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung geschützt. Deshalb konnte sich auch ein "User" aus der Bobo-publizistischen "Community" ehrlich empören, als ihn ein anderer "User" zur Mäßigung aufforderte: Der Kanzler habe sich medienoffensiv ins Kornfeld begeben und damit auch die Konsequenzen zu tragen. Der Gedanke, dass solch ein Psychopath den Mähdrescher in Betrieb nehmen darf, lässt mich schaudern.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: sichrovsky.heinz@news.at

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