Mit Leib und Seele

Mit 14 spielte sie ihre erste Hauptrolle, mit 20 ist sie ein Star: Die Verwandlungskünstlerin Sophie Stockinger beeindruckt im Film "L'Animale". Das Porträt einer geborenen Schauspielerin

von Film - Mit Leib und Seele © Bild: News/Matt Observe

Für Größeres entdeckt wurde sie mit 14: Da glänzte die Gymnasiastin Sophie Stockinger neben Nina Proll als Protagonistin des preisgekrönten Spielfilms "Talea". Es folgten drei Fernsehfilme und eine Episode der Serie "Schnell ermittelt", alles im überschaubaren Zeitraum von vier Jahren. Ob auch der Auftritt in Robert Dornhelms "Sacher"-Saga und die Hauptrolle im aktuellen Kino-Ereignis "L'Animale" in die Schulzeit einzuberechnen sind - darüber gibt es verschiedene Ansichten. Zum Hotel-Dreh wurde sie jedenfalls unmittelbar von der Englisch-Matura ins "Sacher" transportiert: Die Aufregung galt weniger der souverän bestandenen Reifeprüfung als dem Produktionsautomobil, das gleichsam mit laufendem Motor vor dem Gymnasium Wasagasse wartete.

Das allerdings war schon Routine in einer fast lückenlos verplanten Schulzeit. Komplizierter war die Vorbereitung auf Katharina Mücksteins Spielfilm "L'Animale", der soeben ins Kino gelangt ist. Eine umfassende Verwandlung war da anzubahnen: Das Mädchen aus gutem Haus, das im Fach sensibler, vom Schicksal gebeutelter Teenager beeindruckt hatte, musste sich glaubhaft in eine Burschen-Gang assimilieren. Also erlernte sie das Motorradfahren und diverse Kampftechniken und vollzog eine gewöhnungsbedürftige Generalreform des Erscheinungsbildes. Alles inmitten der letzten, heißen Wochen vor der Matura.

Zwischen der besonnen argumentierenden, stets etwas distanzierten jungen Dame und der wilden Motocrosserin Mati scheint tatsächlich eine Welt zu liegen. "Mati hat eine harte Seite und ist zugleich verletzlich. Vor allem die Härte ist mir schwergefallen. Ich bin kein Mensch, der auf Konfrontation geht oder Gewalt ausübt", sagt Sophie Stockinger und kommt auf die Essenz ihres Berufsverständnisses: "Das Herausfordernde war, all das im entscheidenden Moment zu vergessen und ein stimmiges Bild zu schaffen." Gerade dort sieht Katharina Mückstein die Qualität ihrer Hauptdarstellerin: "Dass sie ihr ganzes Wesen einer Figur verschreibt. Das findet man auch bei ausgebildeten Schauspielern ganz selten."

Theaterkind

Die Regisseurin weiß, wovon sie spricht, denn sie war schon für "Talea" zuständig: den Film, mit dem Sophie Stockinger zum Begriff wurde. Nina Proll verkörperte eine Haftentlassene, die um Nähe zu ihrer Tochter ringt. Federleicht und doch so schwer wie der Kummer in einem Kinderherzen glückte der Vierzehnjährigen die Balance zwischen Komödie und Tragödie.

Sie war damals schon ein geeichtes Theaterkind. Als Spross der eleganten Vorstadt Grinzing - der Vater ist Manager beim Kartonagen-Konzern Mayr-Melnhof, die Mutter im Kulturmanagement tätig - profitierte sie von der kulturaffinen Atmosphäre daheim. In der "Drama Class" der bilingualen Volksschule schlug die Geburtsstunde der Schauspielerin Stockinger: Der mittlerweile verstorbene Schauspielstar Karlheinz Hackl, der für seine Tochter eine Volksschule suchte, sah dort einen inspirierten "Sommernachtstraum" und veranlasste die Übernahme in die Grinzinger Hörbiger-Villa, wo die Giganten-Tochter Maresa ein blühendes Theaterleben auch für Kinder etabliert hatte.

»Man ist eine integre Persönlichkeit und will sich nicht selbst verraten«

Mehrere Sommer lang spielte die Truppe dort, Hackls Ehefrau Maria Köstlinger übernahm die Inszenierungen: "Die Sophie war sehr klein, aber sie hat den Fokus sofort auf sich gezogen. Sie war unheimlich schnell im Aufnehmen, frech und präsent", erinnert sie sich. Das "Naturtalent" (Köstlinger) enterte das erste Fach: die Salome Pockerl im "Talisman", die Buhlschaft im "Jedermann". "Es war wahnsinnig schön", erinnert sie sich heute. "Auf diesem Humus ist meine Karriere gewachsen. Das Herzblut ist in Wallung geraten." Vor Kurzem fand sie einen Fragebogen, den sie in der Volksschule ausgefüllt hatte. "Berufswunsch: Schauspielerin" stand da.

Wenig später suchte Katharina Mückstein die Protagonistin für ihren ersten Spielfilm. Mehr als 100 sprachen vor, eine gewann souverän. "Sie war umwerfend", erinnert sich die Regisseurin. "Sie konnte augenblicklich Anweisungen umsetzen, und sie sagte etwas Hochinteressantes: 'Ich bin gern eine andere Person.'"

Der Urknall

Nach "Talea" war Sophie Stockinger für das - in Neugroßdeutsch so bezeichnete - "Coming of Age"-Fach gebucht. Es folgte der TV-Film "Meine fremde Frau", zu erspielen war das Leid eines Kindes, dessen Mutter (Ursula Strauss) im Gefolge eines Unfalls das Gedächtnis verliert. Dann wieder eine Hauptrolle, und was für eine. In Nikolaus Leytners "Die Kinder der Villa Emma" musste sie als behütete jüdische Bürgertochter elternlos in die Fremde, auf den Kindertransport nach Palästina, den letzten Zufluchtsort vor dem Zugriff der Nazis. Der mittlerweile verstorbene Publizist Ari Rath, der selbst auf einem Kindertransport überlebt hatte, besuchte die Truppe auf dem Set. "Als wir da kostümiert standen und Aris Schicksal nachspielten, lief es mir kalt den Rücken hinunter. Als politisch und zeitgeschichtlich interessierter Mensch habe ich mich gefragt, wie man die Dimension dieser Gräuel überhaupt darstellen kann", erinnert sie sich an die emotional fordernde Arbeit und schreckt sich vor aktuellen Entwicklungen.

© News/Matt Observe

Der nächste Film hieß "Die Stille danach", sie spielte die Schwester eines Amokläufers. Da wurde sie schon für die "Romy" nominiert, im selben Jahr auch für die "Sacher"-Saga. "Es war fast unheimlich", erinnert sich der Hollywood-erfahrene Regisseur Dornhelm. "Sie verlagert sich komplett in die Figur, wird eine andere Person." Und ihre Agentin Doris Fuhrmann, die sie vom Kindertheater weg unter Vertrag nahm: "Sie brennt. Man sieht ihr in die Seele." Weiter und weiter geht es: Der Landkrimi "Grenzland", eine Rolle in Sepp Bierbichlers bald anlaufendem Film "Zwei Herren im Anzug", die Serie "Walking on Sunshine" über die ORF-Wetterredaktion, Dreharbeiten zur Krimireihe "Die Toten vom Bodensee". "Ich habe Hummeln im Arsch", charakterisiert sie sich umstandslos. "Ein Zuviel kenne ich nicht. Es ist doch ein Geschenk, wenn man gebucht ist."

Ob man sich da nicht Sorgen machen sollte für die Zeit, wenn das Leuchten, das vielen ganz jungen Schauspielern eignet, verlischt? Keineswegs, ist sich Katharina Mückstein sicher: Man habe es ja mit keinem Kinderstar zu tun, sondern mit einer vielschichtigen, wandlungsfähigen, erwachsenen Schauspielerin.

»Ich weiß genau, dass ich nicht das goldene One-Way-Ticket habe«

Zudem hat Sophie Stockinger ihre Vorkehrungen getroffen: Im September beginnt sie die Ausbildung an der renommierten Ernst-Busch-Schule in Berlin, da sie vom Reinhardt-Seminar abgewiesen wurde. Nicht grundlos nennt sie die in beiden Disziplinen erstklassige Birgit Minichmayr als Vorbild. Sie will auch wieder zum Theater, spielt derzeit bei Bronski & Grünberg Kleists aberwitzige "Romeo und Julia"-Paraphrase "Familie Schroffenstein". "Jeder Film kann der letzte sein", sagt sie. "Ich weiß genau, dass ich nicht das goldene One-Way-Ticket habe." In der Schauspielschule das Anfängerleuchten einzubüßen, ist gewiss eine Option. Aber dafür ist es dann "hoffentlich" mit den Teenager-Rollen vorbei. Schillers wehrhafte Liebende Johanna, Kleists Amazonenkönigin Penthesilea: Das wäre es, sagt die bekennende Feministin.

Womit das Gespräch im Finale und bei "Metoo" eingetroffen ist. Es gehe um Solidarisierung, gegen Schlimmes wie gegen Banales. "Diese gewissen Männertypen, die glauben, es ist ein Kompliment für mich, wenn sie mich in der U-Bahn blöd anzwinkern! Nur, weil ich einen Busen habe, muss ich doch nicht Teil seiner Fantasiewelt sein." Und die Grenzen des Regisseurs respektive der eigenen Selbstverleugnung? "Prinzipiell ist meine Berufsbeschreibung, dass ich zu erfüllen habe, was der Regisseur sich vorstellt. Aber man ist auch eine integre Persönlichkeit und will sich nicht selbst verraten. Muss eine junge Frau sich auf der Bühne ausziehen?" Muss sie? "Das hängt von der Situation ab."

Und, ja: Spielen ist ein Weg der Verletzungen und der Extreme. "Aber ich hoffe, dass sich mit meiner Generation und mit mehr jungen Regisseurinnen ein etwas anderer Umgang einstellt." Man traut ihr zu, da etwas in Bewegung zu setzen.

Im Kino

Das Mädchen Mati behauptet sich in einer Bubenclique -Katharina Mücksteins beeindruckendes Porträt einer Heranwachsenden. Derzeit im Kino.

Im Theater

Heinrich von Kleists "Familie Schroffenstein", eine wahnwitzige "Romeo und Julia"-Paraphrase. Bronski &Grünberg, Wien 9., Porzellangasse 8

Dieser Artikel ist der Printausgabe von News Nr. 12/2018 erschienen.